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Politik

Erdoğan in Berlin: Israel im Vordergrund, Spitzen gegen Deutschland

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Präsident Erdoğan (l.) kam bei seinem Kurzbesuch in Berlin unter anderem mit Bundeskanzler Scholz zusammen. Fotos: Michael Kappeler/dpa
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Differenzen in Sachen Gaza-Krieg, aber kein Eklat: Scholz und Erdoğan haben ihr Treffen in Berlin ohne Karambolage über die Bühne gebracht. Am Ende legt die deutsche Seite eine Liste mit Punkten vor, warum sich das alles gelohnt hat.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan für eine verstärkte Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern in die Türkei stark gemacht. Der Kanzler habe betont, dass es dafür „einen belastbaren Mechanismus“ geben müsse, hieß es am Freitagabend nach dem etwa zweistündigen Abendessen im Kanzleramt aus deutschen Regierungskreisen. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe solle nun bald Ergebnisse dazu vorlegen.

Beim Streitthema Nahost-Konflikt habe sich das Gespräch auf die humanitäre Lage im Gazastreifen, die Freilassung von Geiseln der Hamas sowie die Sorge vor einer regionalen Eskalation konzentriert. Man habe auch über längerfristige Perspektiven für den Gazastreifen und den Nahost-Konflikt gesprochen, hieß es. „Der Bundeskanzler unterstrich die deutsche Haltung der Solidarität mit Israel und verurteilte in aller Klarheit den terroristischen Anschlag der Hamas.“

„Terrorstaat“ und „Faschismus“: Erdoğan wiederholt Vorwürfe nicht

Erdoğans Besuch in Deutschland, der erste seit fast vier Jahren, war wegen dessen scharfer verbaler Attacken gegen Israel im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg umstritten. Der türkische Präsident hatte die Ermordung vieler Hundert israelischer Zivilisten beim Terrorangriff am 7. Oktober zwar verurteilt, die dafür verantwortliche Hamas aber später als „Befreiungsorganisation“ bezeichnet. Israel warf er dagegen einen „Genozid“ (Völkermord) im Gazastreifen und „Faschismus“ vor, bezeichnete das Land als „Terrorstaat“ und stellte sein Existenzrecht infrage.

In der Pressekonferenz mit Scholz vermied Erdoğan jedoch eine weitere Eskalation. Auch auf Nachfrage wiederholte er die Vorwürfe des Völkermords und des Faschismus gegen Israel nicht. Er zweifelte auch die Legitimität Israels nicht erneut an und verzichtete darauf, die Hamas als „Befreiungsorganisation“ zu titulieren.

Neue Spitzen gegen Israel und Deutschland

Allerdings gab es neue Spitzen des türkischen Präsidenten. Israel beschuldigte er, mehr Geiseln zu halten als die mehr als 200 der Hamas im Gazastreifen. Seit Jahren seien „Geiseln und Gefangene“ in Israels Händen und „bei weitem mehr“ als in den Händen der Hamas. Auf was genau Erdoğan sich bezog, blieb aber offen.

Deutschland warf der türkische Präsident verklausuliert vor, Israel wegen seiner historischen Schuld für den Holocaust zu stark in Schutz zu nehmen. Israel habe Tausende Palästinenser getötet, Krankenhäuser vernichtet, Gebetshäuser und Kirchen zerbombt. „Warum gibt es keine Reaktion?“, fragte er. Er selbst könne frei reden, „denn wir schulden Israel nichts“, sagte Erdoğan. Sein Land sei ja nicht am Holocaust beteiligt gewesen. Von Scholz gab es dazu keinen Kommentar.

Scholz: „Sehr unterschiedliche Sichtweisen“

Der Kanzler hatte die Verbalattacken Erdoğans gegen Israel schon vor dem Gespräch als „absurd“ zurückgewiesen. In der Pressekonferenz war er darauf bedacht, kein weiteres Öl ins Feuer zu gießen. „Dass wir zu dem Konflikt sehr unterschiedliche Sichtweisen haben, ist ja kein Geheimnis“, sagte er.

Beide Politiker stimmten darin überein, dass kurzfristig humanitäre Feuerpausen zur Versorgung der Zivilbevölkerung und langfristig eine Zwei-Staaten-Lösung mit einem friedlichen Nebeneinander von Israelis und Palästinensern nötig seien.

Zügige Ausweitung der Imam-Ausbildung vereinbart

Nach dem Gespräch wurde aus deutschen Regierungskreisen eine lange Liste mit Ergebnissen des Gesprächs verbreitet. Die beiden hätten sich auf eine zügige Ausweitung der Imam-Ausbildung in Deutschland verständigt, um die Entsendungen von Imamen aus der Türkei schrittweise zu beenden. Scholz habe Erdoğan auch Unterstützung beim Wiederaufbau von Bildungseinrichtung nach dem verheerenden Erdbeben vom Februar dieses Jahres zugesagt, bei dem Zehntausende Menschen ums Leben kamen.

Die beiden seien sich zudem einig gewesen, „dass Russland weiter dringend aufgefordert“ sei, den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden. Der Kanzler habe für die noch ausstehende Ratifizierung des schwedischen NATO-Beitritts durch die Türkei geworben und die Entspannung im Verhältnis zwischen der Türkei und Griechenland gewürdigt. Erdoğan wird am 7. Dezember auch nach Athen reisen.

17.11.2023, Berlin: Recep Tayyip Erdogan trug sich vor dem Gespräch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in das Gästebuch vom Schloss Bellevue ein.

Erdoğan: Nicht auf Eurofighter angewiesen

Kurz vor Erdoğans Ankunft drängte die Türkei auf ein deutsches Ja zum Kauf von Eurofighter-Jets. Verteidigungsminister Yaşar Güler hatte am Donnerstag gesagt, die Türkei beabsichtige 40 der Kampfflugzeuge zu kaufen und habe bereits die Zustimmung von Großbritannien und Spanien. Nun wolle man Deutschland überzeugen. Scholz äußerte sich in der Pressekonferenz nicht dazu, ob Deutschland dem Export zustimmen werde.

Ein Ja zu dem Rüstungsexport gilt als unwahrscheinlich. Die Bundesregierung genehmigt schon seit Jahren nur noch wenig Rüstungsgüter an den NATO-Partner Türkei. In der gemeinsamen Pressekonferenz sagte Erdoğan, es gebe viele Länder, die Kampfflugzeuge herstellten, nicht nur Deutschland. „Das kann man natürlich auch von anderen Ländern besorgen.“

Was wird aus dem EU-Beitritt?

Scholz ging noch mit einem anderen dringenden Wunsch in das Gespräch mit Erdoğan: Das Migrationsabkommen zwischen der EU und der Türkei wiederzubeleben, dass den Zuzug von Flüchtlingen nach Europa eindämmen soll. „Uns eint das Ziel, irreguläre Migration zu begrenzen“, sagte der Kanzler. Das Abkommen von 2016 sei eine gute Vereinbarung gewesen. „Ich setze mich in der Europäischen Union dafür ein, dass diese Vereinbarung fortgesetzt wird. Sie ist zu unser beiderseitigem Nutzen.“

Scholz kündigte an, er wolle mit Erdoğan auch darüber sprechen, wie konkrete Fortschritte bei den Beziehungen der Türkei zur Europäischen Union zu erreichen seien. „In den vergangenen Jahren sind wir bei den Beziehungen zwischen der EU und der Türkei hinter unseren Möglichkeiten, hinter unseren Potenzialen zurückgeblieben.“ Erdoğan betonte, sein Land wünsche sich innigst, dass der EU-Beitrittsprozess weitergehe. Dabei sei die Unterstützung Deutschlands sehr wichtig. „Seit 52 Jahren wartet die Türkei an der Tür der Europäischen Union.“

Auch Steinmeier betont Existenzrecht Israels

Der türkische Präsident war nach seinem Eintreffen in Berlin zunächst von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue empfangen worden. Auch dieser machte nach Angaben des Bundespräsidialamts „mit Nachdruck“ die deutsche Position im Nahost-Konflikt deutlich. „Der Bundespräsident hat die Einstufung des Überfalls der Hamas auf Israel als Terrorangriff und der Hamas als Terrororganisation unterstrichen. Er hat das Existenzrecht Israels sowie sein Recht auf Selbstverteidigung herausgehoben“, hieß es.

dpa/dtj