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Merih Demiral und der Wolfsgruß: Was hat es damit eigentlich auf sich?
Mit dem Zeigen des Wolfsgrußes beim Achtelfinale gegen Österreich hat der türkische Fußballer Merih Demiral eine Debatte entfacht und den Erfolg der Nationalmannschaft leider ein wenig in den Schatten gestellt. Was steckt hinter dem Symbol? Sicher ist: Es ist tief in der türkischen Geschichte verwurzelt.
Der türkische Nationalspieler Merih Demiral hat nach dem Sieg der Türkei im Achtelfinale gegen Österreich für Schlagzeilen gesorgt. Der 26-jährige Verteidiger zeigte beim Torjubel das Wolfssymbol – ein Zeichen, das weit über seine moderne politische Bedeutung hinaus tiefe kulturelle und historische Wurzeln hat. Doch was steckt wirklich hinter diesem Symbol, das in der türkischen Geschichte eine so zentrale Rolle spielt?
Historische Ursprünge des Wolfssymbols
Die Bedeutung des Wolfssymbols in der türkischen Kultur reicht weit zurück in die Antike. Eine der frühesten Darstellungen findet sich auf der „Miho funerary couch“, einem antiken Artefakt aus dem 5. Jahrhundert v. Chr., das heute im Miho Museum in Japan ausgestellt ist. Diese Begräbnisliege zeigt Szenen aus dem Leben eines Kriegers, darunter eine Darstellung eines türkischen Kämpfers mit einem Wolfssymbol. Diese Darstellung verweist auf die enge Verbindung zwischen den frühen Turk-Völkern und dem Wolf.

Der Sozialdemokrat und letztjährige Präsidentschaftskandidat Kemal Kılıçdaroğlu zeigt das Wolfssymbol. Foto: CHP
Der Wolf gilt in der türkischen Mythologie als heiliges Tier und ist tief in den Legenden und Mythen der frühen Türken verankert, die damals noch nicht muslimisch waren. Eine der bekanntesten Geschichten ist die Legende von Asena, einer Wölfin, die die Ahnen der Türken gerettet und großgezogen haben soll. Diese Legende symbolisiert nicht nur den Überlebenswillen und die Stärke der türkischen Völker, sondern auch ihre Verbindung zur Natur und ihre Kriegerkultur.
Im Mittelalter setzte sich die Bedeutung des Wolfes in der Symbolik der türkischen und zentralasiatischen Völker fort. Der Wolf wurde oft als Schutzgeist und als Symbol für Führung und Stärke angesehen. Türkische Stammesführer und Krieger sahen den Wolf als Vorbild für Tapferkeit und militärische Taktik. Viele Stämme führten Banner mit Wolfssymbolen, um ihre Zugehörigkeit und ihren Stolz zu zeigen.
Der Wolf im Osmanischen Reich
Auch im Osmanischen Reich blieb der Wolf ein wichtiges Symbol. Obwohl der Einfluss islamischer Kultur und arabischer Symbolik zunahm, behielten die Osmanen viele der alten Traditionen bei. Der Wolf wurde weiterhin als Symbol für Mut und Loyalität geschätzt und fand seinen Platz in der Kunst, Literatur und Heraldik der Zeit.

Das Panel des marmornen Leichenbettes aus dem Miho Museum zeigt Bilder von Reitern, darunter eine eindeutig turkstämmige Persönlichkeit, die allein dargestellt ist. Interessanterweise trägt diese Figur ein Wolfssymbol, das tief in der historischen und kulturellen Identität der Turkvölker verwurzelt ist und sich seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. erhalten hat. Foto: Miho Museum
Im 20. Jahrhundert erlebte das Wolfssymbol eine Wiederbelebung in verschiedenen kulturellen und nationalen Kontexten. Besonders eng verknüpft ist es mit der Partei der rechtsgerichteten Nationalistischen Bewegung (MHP), deren Symbol es seit den 1960er-Jahren ist. Die MHP, die politische Heimat der sogenannten Grauen Wölfe, vertritt eine ultranationalistische Ideologie, die oft mit Gewalt und politischen Unruhen in Verbindung gebracht wird. Mitglieder der Grauen Wölfe wurden in der Vergangenheit in verschiedene Straftaten verwickelt, darunter politische Morde und gewaltsame Auseinandersetzungen. Sie zeigten sich oft mit dem Wolfssymbol. Auch bei der EM war bei den türkischen Spielen oder in deren Vorfeld der „bozkurt“ schon oft zu sehen.
Einige setzen den Wolfsgruß mit dem Hitlergruß gleich
Wenn Merih Demiral das Wolfssymbol zeigt, ist es wichtig, dies nicht nur im Kontext der modernen politischen Bedeutung zu sehen, sondern auch die tief verwurzelte kulturelle Geschichte zu erkennen. Für viele Türken repräsentiert das Symbol Nationalstolz, historische Identität und die spirituelle Verbindung zu ihren Vorfahren. Es ist ein Zeichen der Stärke, des Überlebens und der Einheit, das tief in der kollektiven Erinnerung und Identität der türkischen Völker verankert ist.
Das Spiel, bei dem Demiral das Wolfssymbol zeigte, fand ausgerechnet am Jahrestag des Sivas-Massakers statt, einem tragischen Ereignis aus dem Jahr 1993. Bei diesem Vorfall kamen mehrere türkische Intellektuelle und Künstler ums Leben, als ihr Hotel von einem aufgebrachten islamistisch-nationalistischen Mob angegriffen wurde. Das Gedenken an dieses Ereignis verstärkte die Sensibilität bezüglich nationalistischer Symbole und Gesten, insbesondere solcher, die mit der extremistischen Ideologie der Grauen Wölfe in Verbindung gebracht werden.
Das Zeichen allerdings mit dem Hitlergruß zu vergleichen oder gar gleichzusetzen, wie es in diesen Tagen vor allem auf der Plattform X geschieht, kommt vermehrt aus rechten, europäischen Kreisen, die damit mindestens die Opfer des Nationalsozialismus verhöhnen.