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Politik

Nach über einem Jahr Isolation: PKK-Chef Öcalan ruft zu neuem Friedensprozess auf

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Erstmals seit einem Jahr wurde ein Lebenszeichen des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan öffentlich verlesen. Darin fordert er auf, die Kämpfe einzustellen und eine erneute Verhandlungslösung zu suchen. Die Regierung hält davon nichts und setzt im Südosten der Türkei verstärkt auf Repression.

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Über ein Jahr hatte man nichts mehr von Abdullah Öcalan gehört. Nun hat sich der Gründer und inhaftierte Führer der PKK erstmals wieder zu Wort gemeldet – mit einer Friedensbotschaft. „Das Blut, die Tränen, das soll nun aufhören“, schreibt der ehemalige Staatsfeind Nr. 1 in einem Brief an die Öffentlichkeit, den sein Bruder aus dem Gefängnis mitgebracht und in Diyarbakır verlesen hat.

Es war die erste Nachricht Öcalans seit seiner Bestärkung des Waffenstillstands zwischen AKP-Regierung und der kurdischen Terrororganisation im März 2015. Seit dessen Ende im Sommer letzten Jahres war Öcalan auf der Gefängnisinsel İmralı, wo er seit seiner Verhaftung 1999 inhaftiert ist, vollkommen isoliert worden. Nun ermöglichten die Behörden anlässlich des Opferfestes erstmals wieder einen Besuch seines Bruders Mehmet Öcalan (Foto, Mitte) und seines Anwalt Mazlum Dinç.

In seiner Nachricht macht Öcalan deutlich, dass er sich für eine Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der PKK ausspricht. „Wenn der Staat bereit ist, kann er zwei Leute hierherschicken. Unser Plan steht, wir können alles innerhalb von sechs Monaten lösen“, äußert er sich zuversichtlich, dass man neue Gespräche aufnehmen könne.

„In einem Land, in dem täglich 40 Menschen sterben, kann es kein Bayram geben“

Gleichzeitig betonte der 67-Jährige, dass es nicht die PKK gewesen sei, die die Friedensgespräche letztes Jahr beendet habe. Vielmehr sieht er die Schuld beim Staat und der Regierungspartei AKP: „Wir haben den letzten Friedensprozess nicht beendet. Eine Lösung kann nicht nur einseitig erreicht werden. Wäre der Staat aufrichtig, würden nicht so viele Menschen sterben, wäre das Problem gelöst worden. In einem Land, in dem täglich 40 Menschen sterben, kann es keine Festtage (Bayram) geben.“

Zugleich zerstreute er von seinen Anhängern geäußerte Sorgen um seinen Gesundheitszustand. Dieser sei gut, seine Isolation gehe jedoch weiter. Vor einer Woche waren 50 Aktivisten, darunter fünf Parlamentsabgeordnete der HDP, in einen Hungerstreik getreten. Sie verlangten ein Ende der Isolationshaft Öcalans. Vor ihnen verlas Mehmet Öcalan den Brief bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. Daraufhin gaben sie bekannt: „Da wir eine Nachricht von Öcalan erhalten haben, beenden wir den Streik.“

Für die Anhänger eines unerbittlichen militärischen Vorgehens gegen die PKK wird Öcalans Botschaft wohl null und nichtig sein, sie werden sie als einen Hilferuf angesichts der vermeintlich aussichtslosen Lage der Organisation sehen. Auch die Regierung hat bereits mehrfach klargemacht, dass sie mit aller Härte weiter gegen die PKK vorgehen wolle und die Terrororganisation die Chance auf eine erneute Friedenslösung vertan habe.

Regierung ersetzt kurdische Bürgermeister durch staatliche Zwangsverwalter

Neben fortgesetzten militärischen Operationen im Südosten der Türkei setzt sie dabei auch auf die politische Eskalation: Am Sonntag hat sie 24 HDP-Bürgermeister und Präsidenten von Bezirksverwaltungen abgesetzt, verhaften lassen und durch von der Regierung ernannte Zwangsverwalter ersetzt, darunter auch die in der Nähe von Bremen aufgewachsene Leyla Imret. Als Begründung wurde angegeben, sie hätten die PKK und ihre Dachorganisation KCK unterstützt. Die Einsetzung der Zwangsverwalter durch die Regierung hatte Innenminister Süleyman Soylu damit begründet, dass diese Posten nun „nicht mehr unter dem Befehl der Kandil-Berge (dem Hauptquartier der PKK, Anm. d. Red.) stehen.“

Hinzu kommen 4 abgesetzte AKP-Bürgermeister, denen eine Verbindung zur Gülen-Bewegung vorgeworfen wird. „Ein gewählter Amtsträger zu sein, ist kein Freifahrtschein, Verbrechen zu begehen“, rechtfertigte Premierminister Binali Yıldırım die Maßnahme. Die Aktivisten, die sich am Hungerstreik für Öcalan beteiligten, haben nach der Verlesung von Öcalans Botschaft dazu aufgerufen, gegen die Inhaftierung der HDP-Bürgermeister zu protestieren.

Teilnahme an Lehrerstreik reicht als Beweis für PKK-Anhängerschaft

Bereits am 8. September wurden per Dekret über 11.000 kurdische Lehrer im Südosten der Türkei suspendiert, weil sie Verbindungen zur PKK haben sollen. Seitdem wächst die Sorge, dass nach der Gülen-Bewegung nun der Südosten der Türkei das nächste große Ziel der Säuberungen des AKP-Staates ist. Empörung rief auch die Art und Weise hervor, auf die die Anschuldigungen gegen die Lehrer erhoben wurden.

Wie Kamuran Karaca, der Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft Eğitim Sen, der fast alle der Lehrer angehörten, dem Nachrichtenportal Al-Monitor nach einer Besprechung im Bildungsministerium berichtet, seien die Betroffenen bereits vor dem Putschversuch am 15. Juli auf einer schwarzen Liste gelandet. Grund: Am 29. Dezember letzten Jahres hatten sie an einem eintägigen Warnstreik teilgenommen, um eine Aufklärung der Hintergründe des Terroranschlags von Ankara am 10. Oktober zu fordern. Bei diesem starben über 100 HDP-nahe Demonstranten, die für eine friedliche Lösung des Konfliktes im Südosten des Landes protestieren wollten. Die Teilnahme an diesem Streik scheint nun offenbar auszureichen, um als Beweis für eine Verbindung zur PKK zu dienen.

Karaca kritisierte die Maßnahme scharf und warf der Regierung vor, sie zu nutzen, um politische Gegner aus dem Weg zu räumen. Seine Gewerkschaft hingegen setze sich für eine demokratische, wissenschaftliche und säkulare Bildung ein. „Wenn einer dieser Lehrer dabei gesehen wird, wie er Schützengräben aushebt oder sich an bewaffneten Kämpfen beteiligt, dann müssen alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden. Aber das ist nicht, was hier geschieht. Nun, da Recht und Gesetz durch den Ausnahmezustand außer Kraft  gesetzt sind, versuchen sie aber alle ihre Gegner aus dem Weg zu räumen. Das wird einen hohen Preis kosten, die Menschen noch weiter polarisieren und ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen.“