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Politik

Nach türkischem Basta: Schweden und Finnland wollen Ruhe bewahren

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Ein in Stockholm verbrannter Koran erzürnt den türkischen Präsidenten Erdoğan. Mit Unterstützung auf dem Weg in die NATO könne Schweden so nicht rechnen, droht er. Beobachter sehen darin vor allem ein Wahlkampf-Manöver.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat Schweden im Streit um die NATO-Norderweiterung vorerst die Tür vor der Nase zugeschlagen. „Wenn ihr der türkischen Republik oder dem religiösen Glauben der Muslime keinen Respekt zollt, dann könnt ihr von uns in Sachen NATO auch keine Unterstützung bekommen“, sagte er.

Grund für seine Empörung war die Kundgebung eines islamfeindlichen Provokateurs in Stockholm, bei der ein Koran verbrannt wurde. Dabei nützte es auch nichts, dass sich Schwedens Regierung mehr oder weniger glaubhaft schnell von der fragwürdigen Aktion distanzierte. Doch hinter Erdoğans Ärger vermuten Experten auch eine altbekannte Strategie.

Türkei blockiert vor allem Aufnahme Schwedens

Wie allseits bekannt, haben Schweden und Finnland sich vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine nach langer Zeit der Bündnisfreiheit im letzten Jahr dazu entschlossen, NATO-Mitglieder werden zu wollen. Das Mitglied Türkei blockiert ihre Aufnahme jedoch seit Monaten.

Ankara reibt sich dabei vor allem an Schweden, dem es unter anderem Unterstützung der Terrororganisation PKK vorwirft. Erdoğan forderte zuletzt auch die Auslieferung von 130 Personen, die er als Terroristen betrachtet. Die Koran-Verbrennung ist der zweite Vorfall seit Jahresbeginn, der Ankara erzürnt.

Erdoğan-Puppe und Koran-Verbrennung

Eine im Zentrum von Stockholm aufgehängte, Erdoğan ähnelnde Puppe hatte erst vor anderthalb Wochen zu neuem Ärger sowie der Ausladung schwedischer Politiker von Seiten Ankaras geführt. Für Schweden und indirekt auch für Finnland ist das türkische Veto ein handfestes Problem.

Alle 30 NATO-Mitglieder müssen ihre Aufnahmeanträge ratifizieren, 28 haben das bereits getan – nur die Türkei und Ungarn noch nicht. Finnlands Außenminister Pekka Haavisto bekräftigte am Dienstag, dass Ungarn keine Bedingungen für seine Ratifizierung gestellt habe und er mit dieser nach wie vor im Februar rechne. Geht es nach einem Beitrag der renommierten österreichischen Zeitung „Standard“, sind daran allerdings Zweifel erlaubt.

Erdoğan liebt und sucht den Streit

Das große Problem dürfte dennoch die Türkei bleiben – und das hat auch mit dem Datum 14. Mai zu tun. Dann nämlich sollen in der Türkei Wahlen stattfinden. Erdoğan, seit gut 20 Jahren an der Macht, will sich erneut wählen lassen. Umfragen versprechen ihm derzeit keinen klaren Wahlerfolg – da kommt dem 68 Jahre alten Staatschef der NATO-Streit gelegen.

Beobachter unterstellen Erdoğan seit längerem, die Geschehnisse auch für innenpolitische Zwecke zu nutzen. Außenpolitische Krisen lassen das religiös-nationalistische türkische Lager allgemein zusammenrücken. Es sind mögliche Stimmen, die der Präsident bitter nötig hat.

NATO-Gipfel nach der Türkei-Wahl – gutes Timing?

Nun hat Erdoğan die Tür für die Schweden vorerst zugeschlagen, sie dabei aber nicht unbedingt endgültig verschlossen. Er ist bekannt dafür, sich international in den Weg zu stellen, dann aber zu gegebenem Zeitpunkt und nach Zugeständnissen der Verhandlungspartner doch einzulenken.

Nicht nur im hohen Norden wird deshalb vermutet, dass Erdoğan den Konflikt bewusst in den türkischen Wahlkampf trägt, sich damit die Wiederwahl zu sichern versucht und dann doch grünes Licht für die NATO-Norderweiterung gibt. Als geeigneter Zeitpunkt wird dafür der NATO-Gipfel Mitte Juli in Vilnius betrachtet – zwei Monate nach der Türkei-Wahl.

Löst sich Finnland von Schweden?

Bis dahin versuchen die Schweden und Finnen, trotz aller Unannehmlichkeiten weiter Ruhe zu bewahren. Der schwedische Außenminister Tobias Billström erklärte, vor einer Reaktion auf Erdoğans Aussagen genauer verstehen zu wollen, was gesagt worden sei. Die schwedische Botschaft in Ankara blieb derweil geschlossen.

Billströms finnischer Amtskollege Haavisto stieß am Dienstag erstmals die Tür dazu auf, dass sein Land unter Umständen dazu gezwungen sein könnte, einen NATO-Beitritt ohne seinen langjährigen Verbündeten Schweden in Betracht zu ziehen. Man müsse bereit sein, die Situation neu zu bewerten, wenn sich herausstelle, dass der schwedische Antrag langfristig festhänge, sagte er dem finnischen Rundfunksender Yle.

Plan B gibt es für Nordländer nicht

Später beteuerte er aber vor finnischen Reportern, Finnlands Linie habe sich nicht verändert: Trotz aller Hindernisse setze man die gemeinsame NATO-Reise mit Schweden fort und wolle nach wie vor zeitgleich Mitglied werden. Einen Plan B, so Haavisto, gebe es derzeit nicht.

Die Türkei und die NATO – Miteinander gegeneinander

Müssen Schweden und Finnland nun also monatelang nach Erdoğans Pfeife tanzen, nachdem sie ihm bereits in mehreren Punkten entgegengekommen sind? Mitnichten. Dank Sicherheitsgarantien anderer NATO-Verbündeter sind sie nicht zu Eile gezwungen. Vielmehr können die Nordlichter etwas Druck aus der aufgeheizten Lage nehmen.

Türkische Opposition für NATO-Erweiterung

Das verschafft ihnen auch einen Hebel: Sollten sie sich entschließen, die Verhandlungen mit Ankara bis nach den Wahlen auf Eis zu legen, dann könnte Erdoğan damit wichtiges Pulver für den Wahlkampf verlieren. Die stärkste türkische Oppositionspartei hat derweil deutlich gemacht, sich einer NATO-Erweiterung unter keinen Umständen in den Weg zu stellen.

Haavisto sprach von der Möglichkeit, eine Pause bei den finnisch-schwedisch-türkischen Gesprächen einzulegen. Ein nächstes Treffen werde sich um Wochen verzögern. Der finnische Präsident Sauli Niinistö sagte bei einem Besuch in Kiew, man müsse beim NATO-Prozess am Ball bleiben – und auf die Wahlergebnisse in der Türkei warten.

dpa/dtj

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