Extremismus
Neonazis in der Türkei: Der Fall Arda K.
In der Innenstadt von Eskişehir kam es vor rund einem Monat zu einem schockierenden Vorfall: Ein 18-jähriger Mann, Arda K., griff wahllos Menschen an und übertrug die Tat live auf Social Media. Der Täter wurde von Passanten überwältigt und anschließend von der Polizei festgenommen. Ermittlungen zeigen, dass K. von einer Person auf der Gaming-Plattform „Steam“ beeinflusst wurde und neonazistischen Ideologien nahestand. Der Vorfall löste eine landesweite Debatte über die Radikalisierung von Jugendlichen aus.
Das Zentrum von Eskişehir. Eine Stadt im Nordwesten der Türkei. Der Kalender zeigt den 12. August 2024. Es ist sommerlich heiß. Viele Menschen sind auf der Straße und suchen in Cafés, Parks sowie in Moschee-Vorgärten nach Erfrischung. Plötzlich läuft ein maskierter junger Mann durch die Gegend. Die Menschen sind ahnungslos. Viele können erst einmal nicht ganz verstehen, was da passiert. Vielleicht nur ein Jugendlicher, der einen Social Media-Clip drehen will?
Schnell wird aber klar: die Situation ist ernst. Denn der maskierte Mann sticht wahllos auf Menschen ein. Zwei Messer und eine kleine Axt hat er dabei. Besonders Menschen, die in einem Teehaus sitzen, scheint er ins Visier genommen zu haben. Hier sitzen ältere Menschen, die nach dem Gebet in einer nahegelegenen Moschee einfach nur entspannen und eine Erfrischung genießen wollen. Bevor der Täter weitere Menschen verletzen kann, wird er von mehreren jungen Männern gestoppt. „Wer bist du? Was hast du geraucht?“, schreien ihn die Männer an.
Täter streamt Bluttat live
Der Angriff sorgte für großes Entsetzen, nicht nur wegen der Brutalität der Tat, sondern auch, weil der Täter, Arda K., den Angriff mit einer an seiner Brust montierten Kamera aufnahm und live auf einer Plattform streamte. Doch brisanter ist die Motivation des Täters. Warum stürmt ein 18-jähriger quer durch die Stadt und versucht Menschen umzubringen? Die Staatsanwaltschaft in Eskişehir leitete die Ermittlungen zu dem Angriff ein. Der Fall werde “mit größter Sorgfalt” untersucht, wie die örtlichen Behörden betonen.
Türkische Medien berichteten, dass K. keine Vorstrafen habe und erst einige Tage vor der Tat, am 19. Juli, volljährig geworden sei. Beobachter vermuten, dass der junge Mann möglicherweise durch gewalttätige Computerspiele beeinflusst wurde. Der türkische Innenminister Ali Yerlikaya äußerte sich auf der Plattform X (ehemals Twitter) und wünschte den Verletzten eine schnelle Genesung. Er betonte die Entschlossenheit der Regierung, solche Angriffe zu verhindern und die Täter hart zu bestrafen. Die Polizei verhaftete K. kurz nach dem Angriff, als er noch in der Nähe des Tatorts war. Bilder, die von der türkischen Regierung veröffentlicht wurden, zeigen den Täter mit gefesselten Händen auf dem Boden liegend, umgeben von Polizisten.
Pläne für Sprengstoffbau scheiterten
Arda K. soll während der Vernehmung zugegeben haben, dass er von einer Person beeinflusst wurde, die auf der Gaming-Plattform “Steam” unter dem Pseudonym „Fjotolf Hansen“ auftrat. Hansen, der angeblich aus Osteuropa stammt, soll ihm den Bau von Sprengstoffen vorgeschlagen haben und war in Gespräche über den Erwerb von Waffen verwickelt. K. beschrieb demnach Hansens Absichten und sagte: „Er sprach davon, eine Waffe an seiner Schule kaufen zu wollen und erwähnte, dass er diese über seine Familie beschaffen könnte. Er schlug auch vor, dass ich Sprengstoffe herstellen könnte. Während unseres Gesprächs teilte Hansen seine Gedanken über den Bau von Sprengstoffen mit und sprach sogar darüber, das Auto eines Verwandten für einen Angriff zu nutzen, wobei er jedoch keine konkreten Details nannte.“
K. hätte im Rahmen der Pläne wohl auch an eine Kirche in der Stadt gedacht. Allerdings habe man sich dann doch für den anderen Ort entschieden. Doch der Fall wird noch brisanter: Laut Angaben der türkischen Behörden trug K. während der Tat eine Weste mit einem schwarzen Sonnen-Symbol, das eng mit Neonazi-Gruppen in Verbindung steht. Er war außerdem mit einer Sturmhaube mit Totenkopfmuster, einem Helm und einer Tarnhose gekleidet. Diese Symbole und Kleidungsstücke deuten stark darauf hin, dass der Täter von neonazistischen Ideologien beeinflusst war.
Manifest mit SS-Titelbild
Die Staatsanwaltschaft von Eskişehir hat ihre Ermittlungen inzwischen ausgeweitet. K. hatte vor dem Angriff Informationen von seinen Geräten gelöscht. Ein Experten-Team soll die Daten nun wiederherstellen. Darüber hinaus wird die Staatsanwaltschaft Informationen über den Anstifter, einen 16-Jährigen, der die Steam-Plattform nutzt, einholen. Laut Medienberichten soll K. zuvor wegen vermuteter Depressionen medizinische Hilfe in Anspruch genommen haben. Er habe sich auch selbst verletzt haben und mit Zigarettenglut auf seinem Körper Schmerzen zugefügt.
Die Polizei hat zudem ein Manifest des 18-jährigen Täters gefunden. Dieser trägt den Titel „Mass Cleaner“. Schon auf dem Titelbild ist das Symbol der nationalsozialistischen Schutzstaffel (SS) zu sehen. In dem Manifest bezeichnet sich K. selbst als Sympathisant der Nazis und lobt neonazistische Täter wie Anders Breivik. Ein 18-jähriger Türke als Nazi. Das kommt für viele überraschend. Ist Arda K. nur ein Einzelfall oder gibt es tatsächlich eine größere Gruppe an türkischen Nazi-Sympathisanten? Der Vorfall hat auch eine landesweite Debatte über die wachsende Radikalisierung von Jugendlichen und den Einfluss des Internets auf die Verbreitung extremistischer Ideologien entfacht. Welche Rolle spielen beispielsweise Videospiele? All das gilt es künftig stärker zu beleuchten und präventive Maßnahmen zu ergreifen.