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Menschenrechte

Nach Gespräch in Istanbul: Russen kündigen Teilrückzug an

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Gut vier Wochen tobt der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine nun schon. Parallel verhandelten beide Seiten regelmäßig über einen Frieden, so auch jetzt in Istanbul. Nun sagt Moskau zu, zumindest im Norden der Ukraine seine Angriffe zu reduzieren. Ein Hoffnungsschimmer?

Nach neuen Friedensgesprächen mit der Ukraine hat Russland überraschend zugesagt, seine Kampfhandlungen an der nördlichen Front bei Kiew und Tschernihiw deutlich zurückzufahren. Vize-Verteidigungsminister Alexander Fomin sagte nach dem Treffen, seine Regierung wolle Vertrauen aufbauen und weitere Verhandlungen ermöglichen.

Moskaus Delegationsleiter Wladimir Medinski lobte die mehrstündigen Gespräche als konstruktiv. Russland sei daher bereit, Schritte zur Deeskalation zu gehen. Die ukrainische Regierung forderte nach dem Treffen erneut harte Garantien des Westens für seine Sicherheit im Gegenzug für einen möglichen neutralen Status.

Keine Termine für weitere Verhandlungen

Gebietsabtretungen lehnte sie als indiskutabel ab. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu bilanzierte nach dem Treffen, es seien bedeutende Fortschritte erzielt worden. Der Krieg müsse „jetzt enden“. Eine Fortsetzung der Verhandlungen an diesem Mittwoch war nicht geplant.

29.03.2022, Türkei, Istanbul: Auf diesem Videostandbild aus einem von der türkischen Präsidentschaft zur Verfügung gestellten Video hört der russische Oligarch Roman Abramowitsch (M.), dem türkischen Präsidenten Erdoğan zu. Nach neuen Friedensgesprächen mit der Ukraine hat Russland zugesagt, seine Kampfhandlungen an der nördlichen Front bei Kiew und Tschernihiw deutlich zu reduzieren. Foto: Uncredited/Turkish Presidency/AP/dpa

Moskau hatte sein Nachbarland Ukraine nach einem monatelangen Truppenaufmarsch an den Grenzen am 24. Februar überfallen. Vor einigen Tagen hatte Russlands Verteidigungsministerium mitgeteilt, sich nun auf die komplette Eroberung des Donbass in der Ostukraine zu konzentrieren, wo schon seit 2014 gekämpft wird.

Moskau fordert neutralen Status der Ukraine

Fomin sagte nach dem Treffen in Istanbul, die Ukraine bereite einen Vertrag über einen neutralen Status ohne Atomwaffen vor. Die ukrainischen Vorschläge werden nach Angaben der russischen Delegationsleitung nun geprüft, dem Präsidenten Wladimir Putin vorgelegt und „entsprechend beantwortet“.

Das ukrainische Delegationsmitglied David Arachamija sagte zu den geforderten Sicherheitsgarantien, diese sollten von den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats wie den USA, Frankreich, Großbritannien, China oder Russland kommen. Dazu kommen könnten auch die Türkei, Deutschland, Kanada, Italien, Polen, Israel und andere Länder.

Kiew: Gebietsabtretungen indiskutabel

Formuliert sein sollten sie ähnlich wie der Artikel fünf des Nato-Vertrages. Demnach sind die Mitglieder des Militärbündnis zum sofortigen militärischen Beistand im Falle eines Angriffs auf einen der Partner verpflichtet. Gebietsabtretungen seien für Kiew weiter indiskutabel, sagte Arachamija.

Russland und die Türkei: Es ist kompliziert

„Wir erkennen nur die Grenzen der Ukraine an, die von der Welt mit Stand 1991 anerkannt sind“, betonte der Fraktionsvorsitzende der Präsidentenpartei. Präsidentenberater Mychajlo Podoljak sagte, dass die Frage der von Russland annektierten Halbinsel Krim nach dem Ende der Kampfhandlungen diskutiert werden solle, und zwar innerhalb von 15 Jahren.

Russland zieht sich zum Teil zurück

Ebenso ausgeschlossen von einer aktuellen Friedenslösung solle der Status der von moskautreuen Separatisten beherrschten Gebiete Donezk und Luhansk im Donbass werden. Unterhändler der Ukraine und Russlands hatten sich zuvor schon dreimal im Grenzgebiet von Belarus getroffen, danach gab es regelmäßige Videoschalten.

Russlands schien am Nachmittag seine Ankündigung in die Tat umzusetzen: Der ukrainische Generalstab teilte mit, im Gebiet um die Hauptstadt Kiew und die nordukrainische Großstadt Tschernihiw werde der Abzug einzelner russischer Einheiten beobachtet. In den Wochen zuvor waren bei Angriffen auf Tschernihiw nach Angaben örtlicher Behörden bereits mehr als 350 Menschen ums Leben gekommen.

Ukraine bringt EU-Beitritt und Nato-Verzicht ins Spiel

Russlands Unterhändler Medinski sagte, die Ukraine wolle die Möglichkeit eines EU-Beitritts im Gegenzug für Zugeständnisse an Moskau aushandeln. Der ukrainische Vorschlag sehe vor: „Die Russische Föderation hat keine Einwände gegen Bestrebungen der Ukraine, der Europäischen Union beizutreten“, sagte Medinski.

Kiew wiederum habe den von Moskau geforderten Verzicht auf einen Nato-Beitritt unter Gewährleistung von Sicherheitsgarantien in Aussicht gestellt. Der ukrainische Präsident Selenskyj hatte am Morgen berichtet, russische Einheiten seien aus der Stadt Irpin bei Kiew zurückgeschlagen worden. Die Kämpfe dauerten jedoch an.

Kämpfe gehen unvermindert weiter

Russische Truppen hielten dem Präsidenten zufolge den Norden des Kiewer Gebiets unter Kontrolle. Sie versuchten, zerschlagene Einheiten wieder aufzubauen. Auch in den Gebieten Tschernihiw, Sumy, Charkiw, Donbass und im Süden der Ukraine bleibe die Lage „sehr schwierig“. Selenskyj forderte erneut schärfere Sanktionen gegen Russland.

In einer Videoschalte im dänischen Parlament sprach Selenskyj außerdem über die Lage in der belagerten Hafenstadt Mariupol. Was die russischen Truppen dort machten, sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er fragte, warum die Welt bislang nicht eingegriffen habe.

Kreml droht mit Stopp der Gaslieferungen

Der Kreml erhielt auch die Drohung aufrecht, Russland könne die Gaslieferungen nach Westeuropa einstellen, wenn die Abnehmerländer – darunter Deutschland – die Forderung weiter ablehnen, in Rubel statt in Dollar und Euro zu zahlen. Dies würde die wegen Sanktionen unter Druck geratene Währung stützen, weil sich der Westen Rubel beschaffen müsste.

„Keine Bezahlung – kein Gas“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow dem amerikanischen TV-Sender PBS. Moskau wolle die endgültige Antwort der EU abwarten und dann die nächsten Schritte festlegen.

Atomwaffen nur bei „Bedrohung der Existenz“ Russlands

Kremlsprecher Peskow trat zugleich Spekulationen entgegen, Moskau könne im Ukraine-Krieg Atomwaffen einsetzen. „Niemand in Russland denkt an den Einsatz oder auch nur an die Idee eines Einsatzes von Atomwaffen“, sagte er im PBS-Interview. Russland greife zum Atomwaffenarsenal nur bei einer „Bedrohung der Existenz“.

Die staatliche Existenz Russlands und die Ereignisse in der Ukraine hätten „nichts miteinander zu tun“. Die Sorge im Westen über mögliche Atomwaffenpläne Moskaus war gestiegen, als Putin zum Auftakt des Angriffskrieges in der Ukraine eine erhöhte Alarmbereitschaft der russischen Nuklearstreitkräfte anordnete.

Ukraine: Viele Männer kehren zurück

Seit Beginn des Kriegs sind nach Angaben der ukrainischen Grenzpolizei rund 510.000 Menschen aus dem Ausland zurückgekehrt. Allein in der vergangenen Woche seien es 110.000 Menschen gewesen, sagte ein Sprecher der Tageszeitung „Welt“. Acht von zehn Einreisenden seien Männer.

Vor Beginn des Krieges lebten rund 44 Millionen Menschen in der Ukraine. Rund 3,9 Millionen Menschen sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR ins Ausland geflüchtet.

dpa/dtj

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