Film/Kultur/Religion Politik

„Sechs gegen die Türkei“: Theaterstück in Sarajevo löst diplomatische Empörung in Ankara aus

  • April 15, 2025
  • 5 min read
  • 57 Views
„Sechs gegen die Türkei“: Theaterstück in Sarajevo löst diplomatische Empörung in Ankara aus

Eine Theateraufführung in Sarajevo sorgt für Spannungen zwischen Bosnien und Herzegowina und der Türkei. Die türkische Botschaft verurteilt das Theaterstück „Sechs gegen die Türkei“ als „FETÖ-Propaganda“. Das Stück befasst sich mit der Verschleppung von fünf türkischen Lehrern und eines Arztes durch den türkischen Geheimdienst aus dem Kosovo im Jahr 2018.

In Bosnien und Herzegowina hat ein gestern aufgeführtes Theaterstück die türkische Botschaft erzürnt. Es heißt „Sechs gegen die Türkei“ und sorgte bereits vor der Aufführung für Aufsehen. Regisseurin des Stücks ist Blerta Neziraj, die Texte dazu stammen von Jeton Neziraj.

Die türkische Botschaft wandte sich am Donnerstag der Vorwoche an das Außenministerium der früheren jugoslawischen Teilrepublik. In einem als „äußerst dringend“ titulierten Schreiben brachte sie dabei ihre „tiefe Besorgnis“ und ihren „entschiedenen Widerspruch“ hinsichtlich der Aufführung zum Ausdruck. Man wolle „betonen, dass diese Propaganda angesichts der guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern inakzeptabel ist“.

„Sechs gegen die Türkei“ von antiker Tragödie inspiriert

Der Botschaft zufolge handelt es sich bei dem Stück um „Propaganda“ zugunsten der „Terrororganisation FETÖ“ und gegen die Türkei sowie deren Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Als „FETÖ“ bezeichnet die Türkei unter Erdoğan die Bewegung des 2024 verstorbenen Islamgelehrten Fethullah Gülen. Seit Ende 2013 und spätestens mit dem gescheiterten Putschversuch im Sommer 2016 hat die türkische Regierung die gewaltfreie Bewegung zum Feindbild erklärt.

Das Stück „Sechs gegen die Türkei“ thematisiert einen besonders verstörenden Aspekt der Verfolgung der Gülen-Anhänger, die ihre Bewegung selbst als „Hizmet“ bezeichnen. Im Jahr 2018 hatte der türkische Geheimdienst ohne Wissen des kosovarischen Premierministers fünf Lehrer einer türkischen Privatschule und einen Arzt aus dem Land verschleppt. Grund dafür war eine behauptete Zugehörigkeit zur Gülen-Bewegung.

Wegen Auslieferungen an die Türkei: Haftstrafe für Ex-Geheimdienstchef des Kosovo

Inspiriert von der klassischen Aischylos-Tragödie „Sieben gegen Theben“ soll das Stück nach Angaben der Produzenten vor autoritären Tendenzen warnen. Diese griffen auch auf dem Balkan um sich – auch, weil die dort nach den Jugoslawien-Kriegen entstandenen demokratischen Staaten es nicht schafften, ihre Versprechen zu erfüllen.

Türkischer Geheimdienst: 80 Menschen aus 18 Ländern verschleppt

Die Lehrer und der Arzt wurden im März 2018 von kosovarischen Polizeibeamten festgenommen. Anschließend widerriefen lokale Behörden ihre Aufenthaltsgenehmigungen und übergaben sie türkischen Sicherheitskräften der Nationalen Geheimdienstorganisation (MIT). Diese flogen die Betroffenen mittels eines Sonderflugzeugs in die Türkei, wo sie unter fadenscheinigen Anklagen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.

Zuvor hatte die kosovarische Staatsanwaltschaft einen Auslieferungsantrag abgelehnt. Wie auch in EU-Staaten hielt man im Kosovo die Darstellung der Türkei, bei Hizmet handele es sich um eine „Terrororganisation“, für nicht überzeugend. Geheimdienste wie der BND bezweifeln ebenfalls eine Verwicklung von Gülen-Anhängern in den gescheiterten Putschversuch einiger Militärs am 15. Juli 2016.

Die kosovarische Regierung entließ infolge der Verschleppung der türkischen Staatsbürger den Innenminister und den Geheimdienstchef. Die türkische Regierung hatte von Albanien, dem Kosovo und Bosnien und Herzegowina auch die Schließung türkischer Privatschulen gefordert. Lediglich die Regierung in Tirana hat 2022 eine Schule und einen Kindergarten geschlossen.

Bereits im Jahr 2018 hatte dem damaligen Regierungssprecher Bekir Bozdağ zufolge der MIT 80 Anhänger der Gülen-Bewegung aus 18 Ländern in die Türkei verschleppt. Entführungen sind nicht nur aus dem Kosovo, sondern auch aus zentralasiatischen Ländern wie Kasachstan oder afrikanischen Ländern wie Gambia bekannt. In mehreren Dutzend Ländern erzwang die türkische Regierung auch die Schließung von Privatschulen. In vielen Fällen eigneten sich staatliche türkische Organisationen die Einrichtungen an.

Erdoğan wollte bereits die Premiere von „Sechs gegen die Türkei“ verhindern lassen

Die Produzenten von „Sechs gegen die Türkei“ schrieben in einer Pressemitteilung, sie seien „überrascht“ von der offiziellen diplomatischen Note der türkischen Botschaft in Bosnien und Herzegowina an das dortige Außenministerium. In einer gemeinsamen Erklärung hieß es: „Diese Reaktion verleiht unserem Stück noch mehr Bedeutung und zeigt, wie relevant sie auch für das Leben abseits der Bühne sind. Reaktionen wie diese beweisen, dass wir einen wichtigen politischen und gesellschaftlichen Nerv getroffen haben.“

Bereits angesichts der Premiere des Stücks im Oktober 2024 in Priština hatte die türkische Regierung versucht, die Aufführung zu verhindern. Damals hatte erst das regierungstreue Blatt „Yeni Akit“ eine Kampagne gegen das Kulturministerium im Kosovo entfacht.

Dieses hatte sich jedoch vor die Künstler gestellt und dem Druck vonseiten der türkischen Behörden widerstanden. Allerdings verhinderte die Stadt Prizren zweimal die Aufführung der „Sechs gegen die Türkei“.

Türkei betreibt seit Jahren massive Einflusspolitik auf dem Balkan

Die Türkei hat in der Ära Erdoğan massive Bemühungen unternommen, auf dem Balkan Einfluss zu erlangen. Albanien, das Kosovo und Bosnien und Herzegowina gehören dabei zu den primären Operationsgebieten. Vor allem die Religionsbehörde Diyanet versucht unter den islamischen Gemeinden dieser Länder Bedeutung zu erlangen.

Offiziell begründet die Regierung in Ankara dies mit der Notwendigkeit, dem seit den Balkankriegen gestiegenen Einfluss arabischer Golfstaaten in der Region etwas entgegenzusetzen. Tatsächlich dürften die Balkanstaaten ein Interessensgebiet des „neo-osmanischen“ Projekts der AKP-geführten Regierung sein.

About Author

dtj-online