Politik
„Sechser-Tisch“: Erneute Kandidatur von Erdoğan unzulässig
Die türkische Opposition wirft dem Präsidenten vor, mit seiner erneuten Kandidatur Recht zu brechen. Der reagiert gelassen.
In der gemeinsamen Erklärung des aus sechs Parteien bestehenden Bündnisses von Donnerstagabend ist von einem „weiteren schwarzen Kapitel in der Geschichte unserer Demokratie“ die Rede. Das Bündnis will bei der für Mai geplanten Wahl gegen Recep Tayyip Erdoğan einen gemeinsamen Kandidaten aufstellen. Die Entscheidung, wer das sein wird, soll nächsten Monat verkündet werden.
Der 68 Jahre alte Erdoğan hatte vergangene Woche angekündigt, vorgezogene Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 14. Mai zu veranlassen. Dies kann der Verfassung zufolge entweder mit 60 Prozent der Abgeordnetenstimmen im Parlament oder per Dekret durch den Präsidenten geschehen. Die Opposition argumentiert, dass Erdoğan – der 2014 zum ersten Mal und 2018 zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt wurde – laut Verfassung nur dann ein drittes Mal kandidieren darf, wenn das Parlament Neuwahlen erzwingt.
Erdoğans Argument: Mit dem neuen System gab es einen Neustart
Im Parlament verfügt die regierende AKP von Erdoğan mit ihrem ultranationalistischen Partner MHP jedoch nur über eine einfache Mehrheit – könnte also ohne die Opposition keine Neuwahl beschließen. Nach Ansicht der Regierung steht der Kandidatur jedoch nichts im Weg. Erdoğan sei 2018 nach einer Verfassungsänderung als erster Präsident in einem neuen Präsidialsystem gewählt worden – seine vorherige Amtszeit zähle also nicht. Verfassungsrechtler sind geteilter Meinung, ob eine erneute Kandidatur möglich ist oder nicht.
Als mögliche Gegenkandidaten gelten der Parteichef der stärksten Oppositionspartei CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu und der Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavaş (beide ebenfalls CHP). Auch Meral Akşener (İyi Parti) wird gehandelt. Erdoğan kritisierte das Bündnis scharf und rief es zum wiederholten Male auf, endlich bekanntzugeben, wer kandidieren werde.
Beobachter gehen davon aus, dass die Wahlen auf Mai gelegt werden, um sie nicht in den Fastenmonat Ramadan oder die Ferien fallen zu lassen – aber auch, damit „Wahlgeschenke“ wie etwa die Verdopplung des Mindestlohns oder die Neuregelung des Renteneintrittsalters vor dem Hintergrund der starken Inflation nicht verfliegen.
dpa/dtj