Studie: „Migrantisch wahrgenommene“ Menschen deutlich seltener politisch aktiv

Die politische Partizipation von Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland bleibt niedrig. Eine neue Studie zeigt: Vor allem mangelndes Vertrauen, Diskriminierungserfahrungen und fehlende Repräsentation hindern viele an der aktiven Teilnahme.
Die politische Partizipation von Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland bleibt eine Herausforderung. Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund und deren Nachkommen sind weiterhin deutlich unterrepräsentiert – und zeigen selbst eine geringere Bereitschaft zum Engagement. Dies hat auch der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) erneut deutlich gemacht.
Nur acht Prozent der selbst Zugewanderten bringen sich politisch ein
Laut der SVR-Studie „Jung und vielfältig, aber noch nicht politisch beteiligt?“, die Mitte März vorgestellt wurde, sind nur 10,8 Prozent der „migrantisch wahrgenommenen“ Menschen politisch aktiv. Im Vergleich dazu liegt die Beteiligung bei Personen ohne Migrationsgeschichte bei 39,7 Prozent. Besonders auffällig: In Deutschland geborene Migranten engagieren sich mit 22,1 Prozent zwar häufiger als die Generation ihrer Eltern, bleiben aber dennoch hinter dem Engagement der Mehrheitsgesellschaft zurück. Unter selbst Zugewanderten bringen sich nur etwa acht Prozent politisch ein – und sei es nur durch Unterschreiben einer Petition.
Ein zentrales Hindernis ist das mangelnde Vertrauen in politische Institutionen. 45,1 Prozent der in Deutschland aufgewachsenen Zugewanderten unter 35 Jahren geben an, kein Vertrauen in die Politik zu haben. Zum Vergleich: Bei Personen ohne Migrationsgeschichte liegt dieser Wert bei 36,8 Prozent.
Besonders bedenklich ist die geringere Entschlossenheit zur Wahlbeteiligung: Während 86,3 Prozent der Deutschen ohne Migrationsgeschichte sicher oder wahrscheinlich an einer Bundestagswahl teilnehmen würden, sind es bei „migrantisch wahrgenommenen“ Deutschen nur 58,7 Prozent.
Bürgerinitiativen und Demonstrationen beliebter als Mitwirkung in Parteien
Trotz der bestehenden Herausforderungen zeigen sich bei bestimmten Formen des Engagements hohe Beteiligungsraten. So haben 90,6 Prozent der in Deutschland geborenen Menschen mit Migrationsgeschichte mindestens einmal an einer Demonstration teilgenommen. Interessanterweise engagieren sich auch mehr Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Bürgerinitiativen als solche ohne Migrationsgeschichte (40 Prozent vs. 30,2 Prozent).
Dagegen bleibt die Partizipation in politischen Parteien gering. Nur 4,1 Prozent der in Deutschland geborenen Migranten sind in einer Partei aktiv, während es bei Selbstzugewanderten 11,9 Prozent sind. In der Gesamtbevölkerung ohne Migrationsgeschichte liegt der Wert bei 12,2 Prozent.
Konkrete Herausforderungen, die Befragte konkret ansprechen, sind beispielsweise Diskriminierungserfahrungen. 21,2 Prozent der politisch aktiven Menschen mit Migrationsgeschichte berichten von starken Diskriminierungserfahrungen, was abschreckend wirkt.
„Stammtisch-Strukturen“ schrecken potenzielle Interessenten ab
Viele Betroffene nehmen politische Parteien auch als abgeschottete Strukturen wahr und fühlen sich darin nicht willkommen. 38 Prozent der Befragten mit Migrationsbiografie sehen sich auch inhaltlich von keiner Partei vertreten. Auch die politische Bildung ist nach Ansicht der Befragten oft zu stark auf die Mehrheitsgesellschaft ausgerichtet, während gezielte Ansprache und Zugänge fehlen.
Als mögliche Ansätze für Verbesserungen nennen die Befragten unter anderem eine gezieltere Ansprache durch die Politik. Diese könne etwa in Jugendeinrichtungen, benachteiligten Stadtteilen und sozialen Medien stattfinden. Es würde als positiv empfunden, wenn sich politische Entscheidungsträger dort von Zeit zu Zeit zeigen würden.
Um die politische Partizipation zu steigern, werden in der Studie des Sachverständigenrates einige mögliche Maßnahmen angesprochen. So sollten Politiker verstärkt in Stadtteilen mit hohem Migrationsanteil präsent sein und den Dialog mit der Community suchen.
SVR rät zu mehr aktiver Ansprache
Politische Bildungsangebote sollten diverser gestaltet und auf unterschiedliche Zielgruppen zugeschnitten werden. Erfolgreiche Politiker mit Migrationsgeschichte können als Vorbilder dienen, um junge Menschen zu ermutigen. Dazu kommt ein Ausbau von Programmen wie „YoungUP!“, die junge Menschen mit Migrationsgeschichte aktiv in politische Prozesse einbinden.
Staatsministerin Reem Alabali-Radovan betont die Bedeutung solcher Initiativen. Sie macht deutlich: „Mangelnde Repräsentation schwächt unsere Demokratie. Projekte wie ‚YoungUp!‘ helfen, junge Menschen mit Einwanderungsgeschichte für Politik zu begeistern und ihre Stimme zu stärken.“