Türkei im Negativ-Ranking: Diskriminierung religiöser Minderheiten nimmt laut Bericht zu
Die katholische Hilfsorganisation „Kirche in Not“ wirft der Türkei vor, religiöse Minderheiten systematisch zu benachteiligen. Im jüngsten Bericht werden eine Zunahme feindseliger Akte, staatlicher Eingriffe und antisemitischer Vorfälle dokumentiert. Besonders betroffen seien Christen, Juden, Aleviten und Jesiden.
Der jüngst erschienene Bericht der katholischen Hilfsorganisation „Kirche in Not“ stellt der Türkei ein schlechtes Zeugnis bezüglich der Rechte religiöser Minderheiten aus. Diese gehöre weltweit zu den 38 Ländern, in denen von „systemischer Diskriminierung“ ausgegangen werden könne. Dies ist die letzte Kategorie vor der offenen Verfolgung. Es gebe ein „negatives Klima“ bezüglich religiöser Freiheit, stattdessen Benachteiligungen, Hassreden und Schikanen.
Schikanen für Orthodoxe – Einreisesperren für Evangelikale
Dem Bericht zufolge stieg im Untersuchungszeitraum von Januar 2023 bis Dezember 2024 die Zahl der feindseligen Akte, Hassreden und Angriffe auf Gottesdienststätten. Zudem bevorzuge die staatliche Politik die sunnitisch-muslimische Mehrheit auf Kosten von Christen, Juden, Aleviten und Jesiden. Im Vorjahr versuchten Nationalisten, eine Verschiebung der jährlichen Liturgie zu Mariä Himmelfahrt mit dem ökumenischen Patriarchen Bartholomäus zu erzwingen. Bereits ein Jahr zuvor hatten die Behörden die Zeremonie nicht gestattet. Angesichts der zunehmenden Feindseligkeit verweigerte der Patriarch erstmal seit 2010 seine Teilnahme.
Auch die im Mai 2024 verfügte Umwidmung der aus dem 4. Jahrhundert stammende Erlöserkirche Chora im Istanbuler Stadtteil Fatih zu einer Moschee sorgte für Kritik. Vorbild dafür war die entsprechende Widmung der Hagia Sophia im Jahr 2020. Im August 2024 kann es zur Vandalisierung eines griechisch-orthodoxen Friedhofs in Istanbul. In Bursa wurde die Kirche einer bestehenden christlichen Gemeinde wegen angeblicher Erdbebengefahr zeitweilig geschlossen. Die Verantwortlichen für die Kirche gingen auf der Grundlage eines unabhängigen Gutachtens davon aus, dass es sich um eine Schikane handelte.
Einreiseverbote und Ausweisungen gab es für mehrere Angehörige protestantischer Gemeinden. Vor allem die missionarisch ausgerichteten evangelikalen Gemeinschaften gerieten massiv unter Druck. Der türkische Verfassungsgerichtshof erklärte das Vorgehen ausdrücklich für zulässig, sofern es durch geheimdienstliche Erkenntnisse getragen ist.
Hassreden und Übergriffe gegen Juden, Aleviten und Jesiden
Seit dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 und der darauffolgenden israelischen Militäroffensive in Gaza steigt auch die Anzahl antisemitischer Vorfälle. Dabei bleibt es nicht bei der entsprechenden Rhetorik im politischen und medialen Diskurs. Ein AKP-Lokalpolitiker in der Provinz Samsun pries öffentlich Adolf Hitler.
Am Rande einer Demonstration vor dem Jüdischen Krankenhaus Or-Ahayim in Istanbul wurden Ärzte beschimpft und bedroht. Ein jüdisches Schüler-Fußballteam wurde mit Hitlergrüßen empfangen. Außerdem forderte eine regierungsnahe Zeitung, türkischen Juden, die in der israelischen Armee dienen, die Staatsbürgerschaft abzuerkennen.
Eine zunehmende Anzahl an Übergriffen und Sabotageakten richteten sich gegen jesidische Familien, die im Südosten der Türkei alte Ansprüche geltend zu machen versuchten. Es kam unter anderem zu Grabschändungen und zur Zerstörung von Kraftfahrzeugen und Bewässerungsanlagen. Auch gegen Aleviten richteten sich allein im Jahr 2023 gezielte Hassverbrechen, darunter körperliche Übergriffe und Entweihungen von Schreinen.
Türkische Regierung setzt sunnitische Hegemonie im Schulunterricht um
Das von der Regierung ins Leben gerufene „Werteprogramm“ ÇEDES, das „spirituelle Berater“ an Schulen holt, hat ebenfalls für Kritik gesorgt. Beauftragt dafür wurden ausschließlich sunnitische Kleriker, diese leiten auch Seminare, die unter dem Banner des Programms stattfinden. Gleichzeitig untersagte das Bildungsministerium Weihnachts- und Osterfeiern auch in privaten Schulen, da diese mit „nationalen und kulturellen Werten“ in Widerspruch stünden.
An Schulen bleibt Religionsunterricht verpflichtend – und auch dieser basiert ausschließlich auf dem sunnitischen Islam. Christliche und jüdische Schüler haben eine formale Befreiungsmöglichkeit, alevitische und andere nicht-sunnitische nicht. Christliche Gemeinschaften klagen auch über Beschränkungen bei der Ausbildung von Klerikern. Das griechisch-orthodoxe Halki-Seminar ist seit 1971 geschlossen. Patriarch Bartholomäus erklärte im Jahr 2024, er sei vorsichtig optimistisch bezüglich einer Wiedereröffnung.
Nur drei nichtmuslimische Minderheiten – Armenier, Griechen und Juden – sind in der Türkei auf der Grundlage des Vertrags von Lausanne von 1923 anerkannt. Die sunnitisch-islamische Mehrheit wird von der Regierung eindeutig privilegiert. Im Haushaltsentwurf für 2025 war für die staatliche Religionsbehörde Diyanet ein Etat von 130,1 Milliarden TL (mehr als 2,7 Milliarden Euro) vorgesehen.



