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Wirtschaft

Türkische Wirtschaft: Wachstum trotz Inflation und Währungskrise?

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Ein Industriegebiet nahe Istanbul. Foto: Ümit Yıldırım / Unsplash
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Die Inflation steigt auf über 60 Prozent und die Zinsen gleich mit. Die Lira zählt zu den schwächeren Währungen der Welt. Doch zugleich wächst die türkische Wirtschaft. Laut OECD steht die Türkei sogar an der Spitze der Industrieländer mit dem größten Wirtschaftswachstum weltweit. Wie passt das zusammen?

Die Türkei kämpft noch immer mit steigenden Preisen und fehlenden Investitionen. Viele Menschen können sich selbst Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten. Grund dafür ist eine hohe Inflation von 60 Prozent (DTJ-Online berichtete). Hinzu kommt die abgewertete Türkische Lira. Außerdem kämpft das Land noch immer mit den Folgen der verheerenden Erdbeben im vergangenen Februar.

Zuletzt hoben die türkischen Währungshüter den Leitzins auf 30 Prozent an. Das Ziel dahinter: den Abwärtstrend stoppen und das Land wieder für internationale Investoren attraktiver machen. Das hat erste Folgen, die vielen Türkinnen und Türken Hoffnung geben könnte. Denn gerade hob die OECD die Wachstumsprognose für die Türkei auf 4,3 Prozent an. Damit zählt die Türkei zu den wachstumsstärksten Industrieländern der Welt. Wie ist das möglich?

Erdoğans geldpolitische Experimente gescheitert

Zuvor hatte Langzeit-Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit seiner unorthodoxen Wirtschafts- und Währungspolitik international für Kopfschütteln gesorgt. Entgegen aller gängigen volkswirtschaftlichen Theorien und praktischen Erkenntnissen hatte sich der Alleinherrscher immer wieder für niedrige Zinsen stark gemacht. Notenbanker, die ihm widersprachen, ersetzte er durch Gefolgsleute.

Das blieb auch international nicht ungesehen und so verschlechterte sich das Investitionsklima am Bosporus. Die Inflation stieg auf zeitweise über 85 Prozent und die Türkische Lira fiel in bislang ungekannte Tiefen. Nach seinem Wahlsieg Ende Mai kam es dann zu einer Kehrtwende. Die neue, international bekannte Notenbankchefin Hafize Gaye Erkan bekam, so scheint es, freie Hand. Erdoğans geldpolitische Experimente waren offiziell gescheitert.

Kehrt das Vertrauen der internationalen Märkte in die Türkei zurück?

Erkan schwor die Notenbank – gemeinsam mit dem neuen Finanzminister Mehmet Şimşek – auf den Kampf gegen die Krise ein und setzte die Zinsen um 30 Prozent hoch. Erdoğan will nun offenbar mit seinem neuen Wirtschaftsteam Vertrauen an den internationalen Finanzmärkten zurückgewinnen. Das gelang bislang aber nur bedingt.

Die hohe Inflation hält an. Und die Krise der Lira bleibt historisch: Ein US-Dollar kostete jüngst 27,66 Lira und damit so viel wie noch nie. Deswegen erstaunte die Wachstumsprognose der OECD, in der die Organisation die Aussichten für die Türkei um 0,7 Prozentpunkte nach oben korrigierte. Zum Vergleich: Sie steht damit weit besser da als Deutschland und jedes andere europäische G20-Land.

Drei Gründe für das türkische Wirtschaftswachstum

Experten machen vor allem drei Treiber dafür aus, dass die türkische Wirtschaft bald durchstarten könnte:

Der Ukraine-Konflikt: Die Türkei beteiligt sich als NATO-Land zwar an einigen Sanktionen gegen Russland. Dennoch profitiert das Land von dem Konflikt. Der Handel blüht: Bis Ende August nahmen die türkischen Exporte nach Russland um 62,8 Prozent zu. So ist die Türkei zur wichtigsten europäischen Drehscheibe für Russland geworden. Hinzu kommt: Geflohene Russen und Ukrainer spülen neues Geld ins Land und wollen langfristig investieren.

Das Bevölkerungswachstum: Auch wenn es zuletzt etwas sank, liegt es aktuell noch bei 0,7 Prozent im Jahr. Doch Pro-Kopf hinkt die Wirtschaftsleistung hinterher. Das soll schnellstmöglich ausgeglichen werden. Internationales Geld kann dabei helfen. Mit dem chinesischen Onlinehändler Alibaba, der Milliardeninvestitionen ankündigte, hängt ein dicker Fisch bereits am Haken. Weitere sollen folgen. Zudem ist die türkische Bevölkerung vergleichsweise jung.

Milliardensumme im Gespräch: Alibaba plant Großinvestition in der Türkei

Die Erdbeben: Die größte Tragödie in der jüngsten Geschichte der Türkei ist für viele Menschen im Land weiterhin eine offene Wunde. Für die türkische Bauwirtschaft hingegen ist sie ein Segen. Die Branche erlebt nun, in Zeiten des Wiederaufbaus, eine echte Hochphase. Und von dem Bauboom profitieren wiederum erhebliche Teile der türkischen Wirtschaft. Ein zwiespältiges Phänomen.

Die Analyse zeigt: Die Wirtschaft der Türkei ist noch nicht über dem Berg. Zinsen, Inflation und die schwache Lira lasten auf dem Land. Doch mit einer weiteren Normalisierung der Geldpolitik der Türkei dürfte auch internationales Kapital zurückkommen. Erste Konzerne trauen sich bereits. Für viele Türken sind das echte Hoffnungsschimmer nach Jahren der Krise.