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Film/Kultur/Religion

Nach Massakern in Syrien: Alawiten und Aleviten rufen zu Mahnwachen auf

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dpatopbilder - 09.03.2025, Syrien, Hama: Syrische Kämpfer und Zivilisten tragen den Sarg eines Mitglieds der syrischen Sicherheitskräfte während seiner Beerdigung in der Provinz Hama. Foto: Moawia Atrash/dpa
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Nach den brutalen Angriffen auf Alawiten in Syrien wächst die Sorge um die religiöse Minderheit. Hunderte wurden ermordet, tausende sind auf der Flucht. In Deutschland rufen mehrere Organisationen zu Kundgebungen auf, um auf das Leid der Alawiten aufmerksam zu machen.

Anlässlich der jüngsten Massaker dschihadistischer Gruppierungen an Angehörigen der alawitischen Minderheit in Syrien haben mehrere Verbände für das kommende Wochenende zu Kundgebungen aufgerufen. So wird es am Freitag, 14.3., ab 16 Uhr auf dem Creiler Platz in Marl eine Mahnwache unter dem Motto „Stoppt den Genozid an Alawiten in Syrien“ geben.

Tags darauf gibt es ab 13 Uhr auf dem Heumarkt in Köln eine weitere Versammlung. Zur Mahnwache am Freitag haben die örtliche Alevi-Bektaşi-Gemeinde, das Weltzentrum Marl und unabhängige syrische Alawiten der Stadt aufgerufen. Ausrichter der Kundgebung am Samstag sind der Bund Europäischer Alevitischer Gewerkschaften (AABK), die Föderation arabischer Aleviten in Europa (AAAF) aus Neuss sowie die Demokratische Aleviten Föderation (FEDA).

Neue Führung in Syrien gelobt inklusive Politik – Alawiten merken wenig davon

Im größten Gewaltausbruch seit dem Sturz des Regimes von Baschar al-Assad in Syrien wurden letzte Woche zwischen Donnerstag und Sonntag verschiedenen Berichten zufolge mehr als 1.300 Menschen getötet. Unter ihnen waren mindestens 830 Angehörige der alawitischen Minderheit, vielfach sollen ganze Familien ausgerottet worden sein. Die Verantwortlichen, nach Erkenntnissen von Menschenrechtsgruppen dschihadistische Milizen, hatten ihre Bluttaten vielfach in Videos festgehalten.

Tausende Angehörige der alawitischen Minderheit, der auch der entmachtete Assad-Clan angehört, flüchteten auf das Gelände der russischen Militärbasis in Hmeimim. Obwohl die De-facto-Regierung unter Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa stets versprochen hat, inklusiv zu regieren und das Land zu einen, leben die Alawiten in stetiger Angst vor Übergriffen.

Wie mehrere Medien berichten, hatte es bereits in den Wochen zuvor Fälle von Entführungen und Tötungen alawitischer Akademiker, Beamter und religiöser Führer gegeben. Zahlreiche Alawiten haben ihre Arbeitsplätze aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit verloren. Unter Alawiten in Syrien ist es üblich geworden, die eigene religiöse Identität zu verheimlichen, um Übergriffe zu vermeiden.

Toleranz-Zusicherung nur „leeres Gerede“?

Der Paderborner Erzbischof Udo Markus Bentz, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Naher und Mittlerer Osten der Bischofskonferenz, bezeichnete das politische Agieren von Übergangspräsident al-Scharaa als „mehr als besorgniserregend“. Es zeige sich jetzt, dass seine hehren Worte von der Achtung aller Minderheiten „leeres Gerede“ gewesen seien, zumindest gegenüber der Minderheit der Alawiten.

Der syrisch-katholische Erzbischof von Homs, Jacques Mourad, kritisierte, die Gefängnisse in Syrien hätten sich nach dem Sturz der Assad-Regierung schnell wieder gefüllt, „vor allem mit Alawiten – im Zuge von Schnellverfahren, bei denen Menschen willkürlich ohne das Recht auf Verteidigung festgenommen und manchmal sogar im Rahmen „voreiliger Abrechnung“ ohne Gerichtsverfahren und ohne jede Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, hingerichtet werden“. Es bestehe eine große Kluft zwischen der offiziellen Rhetorik der derzeitigen Machthaber und der Realität vor Ort.

Türkei pflegte ambivalentes Verhältnis zu Al-Nusra und HTS

Aufhänger für die Gewaltexzesse war eine Militäraktion gegen angebliche bewaffnete Anhänger des gestürzten Präsidenten Assad. Die Übergangsregierung hat diese mittlerweile für beendet erklärt. Übergangspräsident Al-Scharaa hat zudem einen Ausschuss eingesetzt, der die Gewalt untersuchen soll.

Dennoch ist das Vertrauen in die Führung gering. Al-Scharaa war einer der führenden Köpfe der Terrororganisation Al-Kaida im Irak. Nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien gehörte er zu den Gründern des dortigen Ablegers, der Al-Nusra-Front. Die Haltung der Türkei zu der Organisation war ambivalent.

Anfang 2014 deckten Medien eine getarnte Lieferung von Waffen und Kriegsgerät an dschihadistische Truppen in Syrien auf. Die Regierung Erdoğan beschuldigte die Gülen-Bewegung, den geheimen Transport an Sicherheitskräfte und Medien verraten zu haben.

Human Rights Defenders Deutschland verurteilen Massaker in Syrien

Später führte die Türkei Al-Nusra offiziell als Terrororganisation und unterstützte offiziell nur die Freie Syrische Armee (FSA). Ab 2018 war die Führung in Ankara jedoch aufgrund eines Abkommens mit Russland und dem Iran für die Kontrolle der Provinz Idlib zuständig. Dies gab der mittlerweile unter dem Namen Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) firmierenden Gruppe ein ruhiges Hinterland. Dort konnte sie sich militärisch regenerieren und Verwaltungserfahrung sammeln.

Im Dezember 2024 nahm sie weitgehend kampflos die Hauptstadt Damaskus ein. Seither bemüht sich HTS, im Westen ein moderates Bild abzugeben. Alawiten, Christen und Angehörige anderer Minderheiten in Syrien berichten jedoch von einer anderen Lebensrealität. Außenpolitisch laviert die Gruppierung zwischen der Türkei und Saudi-Arabien als wichtigstem Partner.

Der Vorsitzende der Organisation Human Rights Defenders, Prof. Dr. Hüseyin Demir, verurteilte gegenüber DTJ die Massaker „aufs Schärfste“ und rief alle Beteiligten zu Achtung der Menschenrechte auf. Demir erklärte: „In den Jahren seit Beginn des Bürgerkrieges sind mehr als sechs Millionen Menschen aus Syrien ins Ausland geflohen. Eine ähnlich große Zahl sind Vertriebene im eigenen Land. Die Menschen sind des Leids und der Gewalt überdrüssig. Ein Neuanfang kann aber nur gelingen, wenn die Rechte aller ethnischen und religiösen Gruppen im Land respektiert werden.“

Was verbindet und unterscheidet Alawiten und Aleviten?

Obwohl sich in Deutschland auch Verbände der Aleviten mit den Alawiten solidarisieren, handelt es sich bei beiden um unterschiedliche Glaubensrichtungen. Beide wurzeln im schiitischen Islam und verehren Ali ibn Abi Talib, den Cousin und Schwiegersohn des Propheten Muhammad. Beide sind auch Feindbilder für dschihadistische Bestrebungen.

Die Gemeinschaft der Alawiten ist jedoch im 9. Jahrhundert im Irak entstanden. Von dort hat sie sich nach Syrien und in die Gegend von Hatay verbreitet. Das Alawitentum ist eine Geheimreligion mit schiitischen Elementen, aber keinen öffentlich bekannten Ritualen. Die Sprache der Liturgie ist Arabisch, die Scharia wird als Teil des Glaubensgutes angesehen.

Aleviten hingegen gibt es seit dem 13./14. Jahrhundert vorwiegend in Anatolien, ihre Religion ist vor allem unter Türken und Kurden verbreitet. Die Religion ist auch synkretistisch, weist aber Einflüsse von Schamanismus, Christentum und Sufismus auf. Die Sprache der Liturgie ist Türkisch, die Scharia und feste Regeln wie Gebetszeiten werden zugunsten innerer Spiritualität weitgehend abgelehnt.

Mit dpa-Material