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Politik

Kurz vor wichtiger Entscheidung: Türkische Justiz nimmt İmamoğlu fest

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19.03.2025, Istanbul: Menschen skandieren Slogans und halten Plakate des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu, während sie vor der Vatan-Sicherheitsbehörde protestieren, wohin İmamoğlu nach seiner Verhaftung gebracht werden soll. Foto: Francisco Seco/AP/dpa

Ekrem İmamoğlu ist Bürgermeister von Istanbul – und gilt als aussichtsreicher Herausforderer des mächtigen Präsidenten Erdoğan. Die Opposition prangert seine Festnahme als Umsturzversuch an.

Wenige Tage vor seiner geplanten Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten der größten türkischen Oppositionspartei ist der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu festgenommen worden – einer der wichtigsten Kontrahenten von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan. Das bestätigte seine Partei, die sozialdemokratische CHP. İmamoğlu sollte am Sonntag offiziell zu ihrem Kandidaten für die nächste reguläre Präsidentschaftswahl im Jahr 2028 bestimmt werden.

CHP-Chef Özgür Özel sprach vom Versuch eines Staatsstreichs und einem entscheidenden Moment für die Zukunft der türkischen Demokratie. Das Volk solle daran gehindert werden, den nächsten Präsidenten selbst zu bestimmen. Er rief die 1,7 Millionen Parteimitglieder dazu auf, trotzdem am Sonntag an der parteiinternen Wahl des CHP-Spitzenkandidaten teilzunehmen. Zudem soll es heute landesweite Protesten geben. Menschen sollten mittags vor Einrichtungen der sozialdemokratischen CHP im ganzen Land zusammenkommen, teilte die Partei mit.

Demonstrationsverbot und Straßensperrungen in Istanbul

In Istanbul selbst wird das allerdings nicht möglich sein. Das Büro des Gouverneurs der Provinz Istanbul verhängte eine viertägige Demonstrations-, Versammlungs- und Nachrichtensperre bis Sonntag. In der Millionenmetropole wurden auch mehrere Straßen gesperrt. Vier Tage lang bleiben laut dem Gouverneursamt in der Innenstadt ausgewählte Straßen unpassierbar, zudem wurden Bahnstationen geschlossen.

Etliche soziale Netzwerke sowie Kurznachrichtendienste waren nur eingeschränkt nutzbar. Viele Türken beschrieben Drosselungen und Beschränkungen unter anderem auf X, Youtube, Instagram, Tiktok, Whatsapp sowie Signal und Telegram.

Türkei: Prozess gegen İmamoğlu wird fortgesetzt – was ihm droht

Landeswährung Lira sackt ab

Die Festnahmen erschütterten auch die Finanzmärkte. Die Landeswährung Lira sackte zum US-Dollar auf ein Rekordtief ab, der Aktienmarkt brach ein und am Anleihenmarkt zogen die Renditen deutlich an.

Der autoritär auftretende Erdoğan führt die Türkei seit mehr als 20 Jahren als Regierungschef oder Präsident. Er darf 2028 laut Verfassung nicht ein weiteres Mal kandidieren – doch er hat angedeutet, dass er gerne länger im Amt bleiben würde. Das wäre rechtlich nur möglich, wenn das Parlament eine vorgezogene Neuwahl ansetzt. Über die nötige Mehrheit dafür verfügen Erdoğans Partei und deren Partner ohne die Stimmen der Opposition aber derzeit nicht.

Justiz verfolgt auch Terrorverdacht

İmamoğlu wird unter anderem die Führung einer kriminellen Organisation und Korruption vorgeworfen, wie aus dem Haftbefehl der Staatsanwaltschaft hervorgeht, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Außerdem gibt es Terrorismusvorwürfe: Der 53-Jährige soll die PKK unterstützen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete.

Neben İmamoğlu wird gegen 99 weitere Beschuldigte ermittelt. Am Morgen wurden laut Anadolu 79 Menschen festgenommen, darunter auch die Bürgermeister zweier Istanbuler Gemeinden und ein bekannter Sänger. Konkret gehe es dabei um den Verdacht der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Erpressung, Bestechung, Betrug und Ausschreibungsmanipulation.

Vergleich mit Putin

İmamoğlu veröffentlichte am Morgen auf der Plattform X ein Video, in dem er davon sprach, dass Hunderte Polizisten vor seiner Haustür stünden. „Wir befinden uns im Angesicht einer großen Tyrannei“, schrieb er dazu. Er werde aber nicht aufgeben. Mehrere Fernsehsender berichteten, die Polizei habe sich Zutritt zu İmamoğlus Anwesen verschafft und das Gebäude durchsucht.

„Erdoğan hat heute den Putsch durchgeführt, den er lange geplant und vorbereitet hat und ließ seinen engsten Rivalen ins Gefängnis stecken“, teilte der in Deutschland lebende Exil-Journalist Can Dündar auf Anfrage der dpa mit. „Der türkische Präsident eifert Putin nach und versucht, mit dessen Taktiken an der Macht zu bleiben“, so Dündar mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die Bundesregierung kritisierte die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters und zahlreicher weiterer Menschen als schweren Rückschlag für die Demokratie in der Türkei. „Die Festnahme reiht sich ein in eine Serie erhöhten juristischen Drucks gegen den Istanbuler Oberbürgermeister. Und für uns ist die Achtung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien Grundbedingung für eine funktionierende Demokratie“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. Auch viele Prominente und Politiker anderer türkischer Parteien äußerten sich kritisch zur Festnahme.

Das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden gegen İmamoğlu hatte sich schon vorher angekündigt. Am Dienstag war bekanntgeworden, dass die Istanbul-Universität ihm den Hochschulabschluss aberkannt hat. Dieser ist Voraussetzung zur Kandidatur für das Präsidentenamt. Hintergrund der Annullierung soll ein angeblich unrechtmäßiger Universitätswechsel sein. İmamoğlu erklärte, er wolle gegen die Entscheidung vor Gericht ziehen, habe aber das Vertrauen in faire Urteile verloren. Ihm drohen in einer Reihe weiterer Verfahren Haftstrafen und Politikverbote. Sein Anwalt Kemal Polat hatte der Deutschen Presse-Agentur vor Bekanntwerden des Haftbefehls gesagt, İmamoğlu könne erst als Präsidentschaftskandidat antreten, wenn alle Rechtswege gegen die Entscheidung ausgeschöpft seien.

dpa/dtj