Connect with us

Politik

Fidan vermisst mutige EU: „Ohne Türkei kein wirklich globaler Akteur“

Published

on

Der eine will schon länger rein, der andere seit Kurzem, aber dafür umso schneller: Hakan Fidan, Außenminister der Türkei (r.) und Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine. Foto: Uncredited/Ukrainian Presidential Press Office/AP/dpa
Spread the love

Seit Jahrzehnten stehen die Türkei und die EU im Austausch, ohne wirkliche Fortschritte gemacht zu haben. Nun steht eine Wiederbelebung des Beitrittsprozesses im Raum. Doch wie ernst meinen es beide Seiten?

Der türkische Außenminister Hakan Fidan hat sich für eine Beschleunigung des Beitrittsprozesses seines Landes zur EU ausgesprochen. Er forderte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit EU-Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi am Mittwoch in Ankara mehr Mut von Europa, damit die Beziehungen vertieft werden könnten. Varhelyi verwies dagegen darauf, dass die Türkei unter anderem in Sachen Rechtsstaatlichkeit Fortschritte erbringen müsse. Der Beitrittsprozess stehe still und um diesen wiederzubeleben, gebe es klare Kriterien, sagte er. „Und diese Kriterien beziehen sich auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.“ Es müsse etwa einen glaubwürdigen Fahrplan für Reformen geben.

Fidan sagte nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu: „Die Europäische Union kann ohne die Türkei kein wirklich globaler Akteur sein.“ Es sei wichtig, den Beitrittsprozess neu zu beleben.

Türkei auf EU mehr angewiesen als anders herum?

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte bereits nach seiner Wiederwahl im Mai eine Wiederbelebung des EU-Beitrittsprozesses thematisiert. Die Türkei benötigt angesichts einer massiven Inflation und dem Wiederaufbau in der Erdbebenregion Investitionen aus dem Westen.

Hoch gepokert, hoch gewonnen? Erdoğans Spiel mit dem Feuer zahlt sich aus

Die EU hatte 2005 mit der Türkei Beitrittsgespräche begonnen. Diese wurden allerdings vor einigen Jahren wieder auf Eis gelegt, weil Brüssel inakzeptable Entwicklungen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit sah. Seit dem Umbau in ein Präsidialsystem 2018 hat Erdoğan weitreichende Vollmachten. Parlament und Institutionen sind geschwächt.

NZZ: Türkei strategisch autonome Mittelmacht, die selbst entscheidet, mit wem sie sich bindet

Zum Verhältnis der Türkei zur EU meint die in letzter Zeit eher nach rechts gerückte „Neue Zürcher Zeitung“ am Donnerstag: „Eine Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen steht nicht zur Debatte. Auch für Ankara ist das zweitrangig. Die Türkei versteht sich als strategisch autonome Mittelmacht, die ihre Interessen von Fall zu Fall definiert und selber entscheidet, mit wem sie sich bindet. Daran ändert auch die NATO-Mitgliedschaft nichts.

Es wäre dennoch falsch, würde die EU dem Land den Kandidatenstatus entziehen, wie das im EU-Parlament manche fordern. Zum einen wäre dies eine unnötige Kränkung, weil aus der Mitgliedschaft so bald ohnehin nichts wird. Zum andern kann nicht ausgeschlossen werden, dass die neoosmanische Strömung eines Tages abreißt. Die Türkei hat auch eine laizistische Tradition und eine Bürgergesellschaft, der eine Renaissance zuzutrauen ist.

Und schließlich sollte der Kandidatenstatus auch deshalb nicht gekündigt werden, weil die nächste Erweiterungsrunde sowieso ganz anders verlaufen wird als alle bisherigen. Für die Ukraine, die Moldau und die Westbalkanstaaten wird Brüssel ein neues, differenzierendes Integrationsmodell finden müssen. Vielleicht passt da die Türkei dann doch irgendwie hinein.“

dpa/dtj