Geschichte
Osmanischer Herbst: Die stimmungsvolle Vorbereitung auf den Winter
Als die Nächte im Herbst länger und kühler zu werden begannen, bereiteten sich die Osmanen in Istanbul auf sehr kalte Wintertage vor. (Foto: zaman)
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„Es gibt keine Spur mehr vom Herbst
Überall liegt Laub auf dem Gras
Die Obstbäume sind entblößt
Der Herbstwind weht durch das Gras.
Golden ist der Fluss an ihren Seiten
Die Obstbäume hoffen auf die Huld des Flusses.
Wartet nicht auf dem Gras, als wäre es eine Theaterbühne. Weht mit der Luftbrise
Die Bäumchen sind frei von Laub und Frucht.
Baki, das Laub liegt verzweifelt im Gras
Es scheint als würde es sich wegen des Windes beschweren.“
Der Dichter „Baki“ (16.Jahrhundert) zählt zu den großartigsten osmanischen Dichtern. Sein oben übersetztes Gedicht haftet zwar nicht buchstabengetreu an der Originalsprache, aber gibt in der Substanz die Idee des Gedichts wieder. Es gibt noch viel mehr osmanische Gedichte über den Frühling als über den Herbst, doch die häufigsten osmanischen Gedichte behandeln den Winter. „Sommer“ kannten die Osmanen hingegen nicht wirklich. Die Osmanen nutzten die Worte Frühling (bahar) und Herbst (sonbahar). Sogar das türkische Wort für Sommer (yaz) wurde zu Zeiten der Osmanen für Frühling genutzt.
Winterquartiere für die Soldaten
Sobald der Herbst vorbei war, war es Zeit, sich für den Winter vorzubereiten, der damals noch kälter und härter war als in der heutigen Zeit. Stellen Sie sich einen Winter vor, in dem der Bosporus und das Goldene Horn zugefroren waren. Die erste Aufgabe der osmanischen Armee war es, in die Winterquartiere zurückzukehren, da es viel Zeit kostete, Tausende von Soldaten nach Istanbul zurückzubringen, unabhängig davon, ob sie im Balkan oder an der östlichen Front kämpften. Eine Ausnahme bildete die Armee unter der Führung von Yavuz Sultan Selim I. (1512-1520), der ausschließlich im (süd)östlichen Anatolien, in Syrien und Ägypten kämpfte. Wenn er sich nicht dazu entschieden hätte, dort zu biwakieren, so wäre es unwahrscheinlich gewesen, dass die Osmanen im darauf folgenden Jahr (1517) Ägypten erobert und die Kontrolle über Mekka und Medina erlangt hätten.
Die Osmanen, die einen sehr angenehmen Frühling in ihren yalıs (Bosporus-Villen) verbracht hatten, kehrten vor dem Winter in das Zentrum der Stadt zurück.
Vorrat anschaffen
Heutzutage können wir uns darauf verlassen, nahezu überall und das ganze Jahr über an Essen zu gelangen, zur Zeit der Osmanen war dies anders. Viele grundlegende Nahrungsmittel wurden – abhängig von der sozialen Schicht der Familie – im Haus bevorratet. In einer gewöhnlichen osmanischen Küche würde man Reis, Weizenmehl, Stärke, irmik (Grieß), Zucker oder Honig und Butterschmalz finden. An Gewürzen waren Salz, schwarzer Pfeffer, Zimt, Kumin und Minze vorhanden. Außerdem gehörte zum Vorrat viel trockenes Gemüse und Obst, wie Linsen, Kichererbsen, verschiedene Sorten an Bohnen, Okra, Trauben, Aprikosen, Feigen und Kornelkirschen. Aus den Früchten stellte man auch gerne Marmelade her. Rosenwasser und Orangenblütenwasser wurden für viele Rezepte genutzt, ebenso wie Zitronensaft, Tomatensauce, Haselnüsse, Walnüsse, Maronen, Zwiebeln, Knoblauch und tarhana (eine Suppe, die aus Quark und Salz gemacht wurde).
Obwohl es nahezu unmöglich war, frisches Fleisch ohne einen Kühlschrank aufzubewahren, wurden pastırma (stark gewürzte Wurst) und sucuk (Knoblauchwurst) reichlich im Herbst zubereitet. Viele Sorten an Gemüse und Obst wurden eingelegt, z.B. Kohl, Karotten, Sellerie Spinat und Lauch, sowie Honigmelonen, Wassermelonen, Äpfel und Trauben.
Der Herbst war ebenfalls eine Zeit, um Wildpflanzen zu sammeln, die als Medizin verwendet wurden. Alıç (die neapolitanische Mistel) z.B. ist ein kleiner Baum, deren Blätter und Früchte von osmanischen Soldaten verwendet wurden, um Muskeln aufzubauen. Sie sollte ebenfalls ein gutes Herz unterstützen und hilfreich gegen Diabetes und Blutdruck sein. Dies war die einzige Pflanze, die man im Herbst sammeln konnte.
Laternenpflicht für alle Bürger
Sabun (Seife) wiederum wurde im Herbst zubereitet, um über den Winter genutzt werden zu können. Teppiche, Kelim und dicke Bettdecken aus Wolle wurden zum Lüften und Reinigen im Freien aufgehangen. Wollstrümpfe, Unterwäsche und weitere Kleidungsstücke wurden extra gestrickt und zubereitet, da man diese nicht fertig kaufen konnte. Fell durfte nur von hohen Regierungsbeamten der regierenden Familie getragen werden.
Kohle wurde bis zum 19. Jahrhundert nicht genutzt und Elektrizität kam erst in dessen zweiter Hälfte nach Istanbul. Kamine und Öfen sowie das Kohlenbecken gab es in jedem Raum, da es keine Zentralheizungen gab.
Da es keine öffentliche Beleuchtung auf den Straßen Istanbuls gab und es im Herbst sehr früh dunkel wurde, war es gesetzlich geregelt, dass jeder, der sich auf den Straßen befand, eine Laterne mit sich tragen musste. Diese wurden aus Öltüchern gemacht und unterschieden sich je nach Wichtigkeit der Person in ihrer Größe. Für diejenigen, die auf Pferden ritten, gab es einen Bediensteten, der vor ihnen lief und die Laterne für ihn trug. Eine mittelgroße Laterne stand für eine Person aus dem Mittelstand, wohingegen die kleinste Laterne von armen Leuten getragen wurde. Es gab außerdem Laternen an den Haupttoren der staatlichen Bürgerhäuser. Das weiche Licht der Kerzen und Laternen an den Fenstern muss Istanbul noch magischer erscheinen haben lassen, als es heute schon ist.
Dieser Text erschien in Hürriyet Daily News.