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Geschichte

Deutscher Nahost-Experte kritisiert deutsche Haltung zu Israel scharf

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Teilnehmer einer propalästinensischen Kundgebung unter dem Motto "Solidarität mit Palästina" versammeln sich am Jahrestag des Hamas-Angriffs auf Israel am Südstern in Berlin-Kreuzberg. Foto: Christoph Soeder/dpa
Teilnehmer einer propalästinensischen Kundgebung unter dem Motto "Solidarität mit Palästina" versammelten sich am Jahrestag des Hamas-Angriffs auf Israel am Südstern in Berlin-Kreuzberg. Foto: Christoph Soeder/dpa
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Der Nahost-Konflikt spaltet die Welt – und auch die deutsche Politik steht immer wieder im Zentrum hitziger Debatten. Ist es an der Zeit, dass sie ihre Haltung überdenken muss? Michael Lüders hat eine klare Meinung dazu.

Der renommierte Nahost-Experte Michael Lüders hat die Bundesregierung für ihre Haltung zum Nahostkonflikt scharf kritisiert. In einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sprach sich Lüders vergangene Woche dafür aus, dass die Staatsräson in Bezug auf Israel im Zusammenhang mit dem Konflikt in Palästina überdacht werden müsse. Immer wieder erklären deutsche Politikerinnen und Politiker, dass die „Sicherheit Israels deutsche Staatsräson“ sei. Was genau das allerdings konkret bedeutet, bleibt meist unklar und unausgesprochen.

Deutschland tue sich schwer damit, die Staatsräson mit dem Völkerrecht in Einklang zu bringen, meint Lüders. Die deutschen Entscheider glaubten, „die richtigen Lehren aus der deutschen Geschichte gezogen zu haben, indem sie sich ohne Wenn und Aber hinter Israel“ stellten. Mit der aktuellen Haltung mache sich Deutschland aber „indirekt zum Komplizen bei dem, was zunehmend mehr Staaten dieser Welt als Genozid bezeichnen“, sagte Lüders mit Blick auf die unzähligen palästinensischen Opfer im Gaza-Krieg. Immer mehr Staaten verurteilen Israel für seine Kriegsführung und drängen Deutschland, seine Beziehungen zu Israel zu nutzen, um das maßlose Vorgehen insbesondere im Gazastreifen, aber auch zunehmend im Libanon zu stoppen.

UN-Resolution fordert Abzug Israels aus Palästinensergebieten

Der Internationale Gerichtshof hatte bereits im Juli die Besatzung der Palästinensergebiete für illegal erklärt. Bei einer Resolution des größten UN-Gremiums mit 193 Mitgliedstaaten im September wurde der Abzug Israels aus besetzten Palästinensergebieten binnen zwölf Monaten gefordert. Insgesamt 124 Staaten sprachen sich für den Rückzug aus. Nur Israel selbst, die Vereinigten Staaten sowie zwölf weitere Staaten stimmten gegen die Beschlussvorlage. Einige beteiligten sich gar nicht an der Abstimmung. Trotz des klaren Ergebnisses ist die Beschlussvorlage völkerrechtlich nicht bindend. Israel hatte das Westjordanland, den Gazastreifen und Ost-Jerusalem im Sechstagekrieg von 1967 besetzt. Die Palästinenser selbst beanspruchen diese Gebiete für einen eigenen Staat, der an der Seite Israels entstehen soll und den die meisten Länder der Welt, so auch Deutschland, bis heute befürworten. 2005 hatte Israel den Gazastreifen wieder verlassen, kontrolliert aber weiterhin die Grenzen zu Land, Wasser und in der Luft. Menschenrechtler sprechen vom „größten Freiluftgefängnis der Welt“.

Lüders: Deutschland muss seine Haltung ändern

Nahost-Experte Lüders, dem manche eine zu große Nähe zu Russland und dessen Präsidenten Putin vorwerfen, erwartet von Deutschland eine andere Haltung: „Es wäre doch die Frage, ob die richtige Lektion aus der jüngeren deutschen Geschichte nicht wäre zu sagen: Wir wissen, was Massenmord, was Genozid bedeutet, und gerade deswegen werden wir unsere Stimme immer dann erheben, wenn irgendwo auf der Welt Unrecht epochalen Ausmaßes geschieht, ganz gleich, von wem es ausgeht.“ Die EU und Deutschland müssten mehr Druck auf Israel ausüben und den Staat Palästina anerkennen. Im Maiwaren neben der spanischen Regierung auch Norwegen und Irland diesen Schritt gegangen. Israel hatte sich empört gezeigt.

Soll Eskalation im Libanon ablenken?

Lüders, der selbst viele Jahre im Nahen Osten gelebt und lange Jahre als Nahostkorrespondent für „Die Zeit“ in Kairo gearbeitet hat, glaubt, dass die mit den Explosionen am 18. September eingeleitete Eskalation im Libanon dazu gedacht sei, um „vom Töten im Gazastreifen abzulenken“. In seinem neuen Buch „Krieg ohne Ende? Warum wir für Frieden im Nahen Osten unsere Haltung zu Israel ändern müssen“ geht er detailliert darauf ein, warum die Haltung Deutschlands zu Israel für den Frieden im Nahen Osten wichtig sei. Der 65-Jährige gehört seit Januar 2024 dem erweiterten Parteivorstand des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) an.

Proteste in Europa halten an

Indes fordern europaweit immer mehr Menschen in Protestzügen ein Ende des israelischen Militäreinsatzes in Gaza. Zuletzt folgten rund 1000 Menschen aus Nordrhein-Westfalen dem Aufruf der Palästina-Solidaritätsvereine und demonstrierten in Köln. Auch in kleineren Städten kommt es regelmäßig zu Demonstrationen.