Panorama
„Sabah Avrupa“ am Ende: Ein Denunziationsmedium stellt seine Arbeit ein
Eigentlich ruft das Ende einer Zeitung Traurigkeit und Solidarität hervor. Doch im Fall der türkischen Tageszeitung „Sabah Avrupa“ dominieren positive Reaktionen. Wie sich dieses Medium einen schlechten Ruf erarbeitet hat.
Seit der in Deutschland inzwischen verbotenen türkisch-islamistischen Zeitung „Akit“ hat kein anderes türkisches Medium so viele negative Schlagzeilen produziert wie die „Sabah Avrupa“. Das in türkischer Sprache für Europa produzierte Blatt hatte ihren Hauptmarkt in Deutschland. Ende 2024 kündigte der Mutterkonzern Turkuvaz Medya mit Sitz in der Türkei das Aus der Europa-Ausgabe an.
Turkuvaz ist bekannt für seine Nähe zu Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Der Geschäftsführer der Gruppe ist der Bruder von Berat Albayrak, Erdoğans Schwiegersohn und ehemaliger Finanzminister. Sabah ist das Leitmedium der Gruppe und in der Türkei für seine AKP-nahe Berichterstattung bekannt. Ähnlich agierte auch die „Sabah Avrupa“ – doch in Deutschland avancierte sie mehr zum Instrument der Denunziation als zum journalistischen Medium.
Die Denunziations-Hotline
Besonders berüchtigt wurde die Zeitung durch die sogenannte Denunziations-Hotline, die nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 eingerichtet und monatelang über die Titelseite beworben wurde. Bürgerinnen und Bürger wurden dazu aufgefordert, ja fast schon gedrängt, Personen mit Bezug zur Türkei zu melden, die sich kritisch über die türkische Regierung äußerten oder der Hizmet-Bewegung (besser als Gülen-Bewegung bekannt) zugerechnet werden konnten.
Die Hotline sorgte auch in der deutschen Politik für Aufsehen. So stellte Serap Güler, damalige CDU-Landtagsabgeordnete in Nordrhein-Westfalen, am 27. Oktober 2016 eine kleine Anfrage an den SPD-Innenminister Ralf Jäger. Darin hieß es: „Der (…) Aufruf zur Denunziation kommt einer Volksverhetzung der hier lebenden Gülen-nahen Mitbürger gleich.“ Die Hotline war über eine Frankfurter Telefonnummer, eine türkische WhatsApp-Nummer, E-Mail sowie die Sabah-Website erreichbar.
Exil-Journalist Cevheri Güven wird zur Zielscheibe
Cevheri Güven, ein Exil-Journalist, beschreibt die Verflechtungen und die Wirkungsmacht von „Sabah Avrupa“: „Die beiden größten Mediengruppen der Türkei, Turkuvaz und Demirören, gehören faktisch Erdoğan. Auch die ‚Sabah Avrupa‘ war letztlich sein Eigentum.“
Die Zeitung diente laut Güven als verlängerter Arm des Präsidenten, finanziert durch Korruption und eingesetzt zur Manipulation, Einschüchterung und Kontrolle der türkischstämmigen Gemeinschaft in Europa. „Die Schließung zeigt, dass dieses Medium die ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllte. Schlechte Verwaltung und der Verlust an Glaubwürdigkeit haben die Zeitung letztlich finanziell ruiniert“, bilanziert Güven.
Social Media als neue Strategie der AKP
Ein weiterer Grund für die Schließung könnte ein Strategiewechsel sein: „Die Präsidialverwaltung setzt inzwischen auf soziale Medien, um Propaganda zu betreiben und Einfluss auszuüben. Bei den letzten Wahlen floss der Großteil der Werbebudgets der AKP in soziale Medien und nicht mehr in Zeitungen oder Fernsehsender.“
Güven selbst war ebenfalls Opfer der Hetzkampagnen der „Sabah Avrupa“. Die Zeitung veröffentlichte seine Adresse und Fotos seines Wohnortes, wodurch er gezielt fanatischen Anhängern ausgeliefert wurde. „Das hat nicht nur meine Familie und mich psychologisch stark belastet, sondern auch meine Arbeit erheblich behindert und finanzielle Probleme verursacht. Die deutsche Polizei musste sich um meine Sicherheit kümmern, was eine erhebliche Belastung darstellte.“
„Sabah Avrupa“ war eine „Phantomfirma“
Rechtliche Schritte gegen die Zeitung gestalteten sich schwierig, da die Struktur von „Sabah Avrupa“ bewusst intransparent gestaltet war: „Es war wie eine Phantomfirma, die rechtlich kaum angreifbar war, obwohl sie das Leben von Menschen aufs Spiel setzte. Das war nicht nur für mich, sondern auch für die deutsche Gesellschaft ein enormes Risiko“, so Güven.
Günstigere Umstände für die ehemaligen Mitarbeitenden der Zeitung sieht Güven nicht: „Einige werden vielleicht in von der Türkei finanzierten Vereinen in Deutschland unterkommen. Andere, die in niedrigeren Positionen arbeiteten, werden wohl länger vom deutschen Sozialsystem abhängig sein. Trotz ihres ultranationalistischen Auftretens glaube ich nicht, dass sie in die Türkei zurückkehren werden.“
Das Ende von „Sabah Avrupa“ mag für die Betroffenen eine persönliche Krise bedeuten, doch für viele Beobachter stellt es einen Schritt in Richtung einer faireren Medienlandschaft dar.