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Gesellschaft

Totalitäre Willkür statt Demokratie – der traurige 100. Geburtstag der Türkei

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Bewundert und geliebt, aber teils auch verhasst: Der Staatsgründer der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk. Foto: Francisco Seco/AP/dpa
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Trotz vieler Errungenschaften fällt die Bilanz der 100-jährigen Historie der türkischen Republik dürftig aus. Zu schwer lasten soziale, politische und ökonomische Probleme auf Land und Leuten. Warum läuft in der Türkei so viel schief? Ein Kommentar.

Moderne Flughäfen, prestigeträchtige Architektur, ausgezeichnete Infrastruktur: In der Türkei erscheint vieles oberflächlich erstklassig. Doch hinter der Fassade bröckelt es gewaltig. 100 Jahre nach der Republikgründung ist die Türkei weiterhin ein Land in der Entwicklung. Manche Experten sprechen sogar von ihr als Entwicklungsland. Probleme auf allen Ebenen belasten das Land, das Asien und Europa in sich verbindet.

Die Probleme betreffen das soziale, politische und ökonomische Leben. Nicht selten sind sie hausgemacht und historisch verwurzelt. Die Wirtschaft des Landes ist – auch wegen der verfehlten Geldpolitik des Präsidenten – allenfalls zweitklassig, ihre Industrie abhängig von Importen. Und die Exporte des Landes sind, angesichts einer Wertschöpfung von lediglich drei bis vier Prozent, nichts im Vergleich zu Ländern wie Griechenland.

Erdoğan sät Zwietracht

Wie sozial gespalten die Türkei unter Recep Tayyip Erdoğan ist, zeigt die fortschreitende Polarisierung zwischen Stadt und Land, arm und reich. Der Konflikt um die Kurdinnen und Kurden, den Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk mitverschuldete, schwelt weiterhin. Auch die Ablehnung der syrischen Flüchtlinge zeigt, wie zerrüttet der soziale Zusammenhalt im Land ist.

Innenpolitisch haben die Präsidentschaftswahlen im vergangenen Mai gezeigt, wie ambivalent die Türkinnen und Türken auf den zweiten großen Mann im Staat nach Atatürk blicken. Erdoğan sät Zwietracht und schaffte es auch nach den verheerenden Erdbeben im Südosten der Türkei nicht, das Land zu versöhnen. Und außenpolitisch gibt es Probleme mit fast allen Nachbarn.

Geburtsfehler der türkischen Republik

Was die Türkei benötigt – gesellschaftliche Stabilität, demokratische Teilhabe, Fortschritt – rückt unter Erdoğan in weite Ferne. Mehr noch: Unter ihm gelten Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, die es so ohnehin nie so richtig in der Türkei gab, nicht mehr. An ihre Stelle rückte ein totalitäres Willkürregime, das Andersdenkende verfolgt und entführt. Dass es soweit kommen konnte, ist auch ein Geburtsfehler der türkischen Republik.

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Im kemalistischen System waren die Institutionen schließlich zu schwach, um auf das Erstarken des politischen Islams in den 1990er-Jahren angemessen reagieren zu können. Ein System an Checks and Balances fehlte ebenso wie eine tief verwurzelte demokratische Kultur. Diese Fehlkonstruktion des Systems kommt die Türkinnen und Türken heute teuer zu stehen. Jeden Tag.

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