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Politik

Türkei: Grafikdesigner nach kreativer Kritik festgenommen

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Die zwar zurückgehende, aber nach wie vor hohe Inflation macht in der Türkei vielen Menschen zu schaffen. Während Präsident Erdoğan gerne die ganze Macht für sich beansprucht, um das Land frei und ohne Hindernisse regieren zu können, weist er die Verantwortung für Probleme gerne von sich – obwohl er so viel Macht hat wie kaum ein türkischer Staatschef vor ihm. In dieser Woche nahm ein Grafikdesigner genau diesen Widerspruch aufs Korn und wurde deswegen kurzzeitig festgenommen.

Grafikdesigner sind im Idealfall kreativ. Ihre Ideen sind somit im Rahmen von künstlerischer Freiheit zu bewerten. Vor allem dann, wenn ihre Entwürfe keinen kommerziellen Zweck und strafrechtlichen Hintergrund haben. Dies trifft auf die geniale Idee des jungen Grafikdesigners Mahir Akkoyun zu. In seinen jüngsten Designs kritisiert er die hohen Preise und macht die türkische Regierung dafür verantwortlich. Der spitze Ton und die rasche Verbreitung in den sozialen Medien führte am Freitag zu seiner Festnahme in Izmir. Dieser Vorgang löste in den sozialen Medien eine landesweite und noch größere Welle der Empörung aus. Selbst Prominente solidarisierten sich mit dem jungen Künstler. Schließlich wurde Akkoyun auch wieder freigelassen.

Dieser Vorgang ist ein Prototyp dafür, dass die türkische Regierung auch einen Wettkampf in den sozialen Medien führen muss, wenn sie noch einmal gewählt werden will. Während der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan das lineare Fernsehen größtenteils auf seine Linie gezogen hat, ist ihm dieser Erfolg in den sozialen Medien bisher nicht geglückt.

Die Opposition, die unzufriedene Jugend im Lande sowie ethnische Minderheiten und diskriminierte Gruppierungen, wie etwa die Frauenbewegungen in der Türkei, formieren sich insbesondere via Twitter, Instagram, TikTok und Facebook. Wie rigoros die Regierung deshalb gegen kritische Stimmen im Netz vorgeht, verdeutlichte ein Vorfall kurz nach dem verheerenden Erdbeben von Anfang März.

Twitter-Sperre nach Erdbeben hat womöglich Leben gekostet

Es ist bekannt, dass in der Türkei in den letzten Jahren viele Menschen wegen kritischer Äußerungen in den sozialen Medien verhaftet wurden, insbesondere wenn es um politische Fragen oder die Regierung geht. Die türkische Regierung hat wiederholt Maßnahmen ergriffen, um die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Presse zu beschränken, einschließlich der Sperrung von Webseiten und sozialen Medien.

Kurz bevor im Februar Erdoğan die Erdbebenregion besuchte, gab es plötzlich große Einschränkungen auf Twitter. Wie sich später herausstellte, ging das auf eine Initiative der Regierung zurück. Promis wie Şahan Gökbakar (unter anderem aus der „Recep Ivedik“-Reihe bekannt), Oğuzhan Uğur (Babala TV) oder Pop-Ikone Mustafa Sandal twitterten unmittelbar danach aufgebracht, betonten, dass Twitter Leben rette und die Regierung mit dieser Maßnahme das Leben vieler aufs Spiel setze. Tatsächlich nutzten in den ersten Tagen nach der Katastrophe unzählige Verschüttete Twitter, um ihren genauen Standort zu teilen.

Mahir Akkoyun erstellt besonders kritische Grafiken

Insofern ist auch die Verhaftung des Grafikdesigners Mahir Akkoyun kein besonderes Ereignis in der Türkei. Doch die Hintergründe machen ihn dennoch zu einem besonderen Fall. Was hatte zu dieser Verhaftung geführt? Akkoyun hatte Design-Vorlagen frei verfügbar ins Netz gestellt. Auf den Designs waren die Konterfeis von Recep Tayyip Erdoğan und/oder Devlet Bahçeli zu sehen. Die Botschaft kurz, knapp und einleuchtend.

„Dieses Produkt ist unseretwegen (zu) teuer. Bei den Wahlen solltest du das bedenken“, steht etwa auf einem kleinen Etikett. Diese Etiketten wurden nach und nach in Supermärkten neben die Preisschilder teurer Produkte platziert. Ein entsprechendes Foto davon wurde dann zunächst von Mahir Akkoyun selbst geteilt.

Akkoyun kampfeslustig: „Ich werde weiter für Unruhe sorgen“

Danach ging die Aktion viral. Für seine Designs und die kreative Kritik an der Regierung erntete Akkoyun viel Beifall, doch nur aus dem Contra-AKP-Lager. Die Regierung hingegen fand die Aktion überhaupt nicht lustig und ließ den jungen Mann verhaften. Das konnte Akkoyun noch via Twitter melden und eine Solidaritätskampagne für sich mobilisieren.

Die Festnahme von Akkoyun wurde aber zum Boomerang, der Schuss ging nach hinten los. Die Etiketten-Aktion verselbstständigte sich und erntete Zuspruch. Durch Prominente wie dem Schauspieler Gökbakar und Politikgrößen wie Selahattin Demirtaş (inhaftierter Ex-Co-Vorsitzender der HDP) oder Barış Atay (TIP) wurde die Solidaritätswelle für Akkoyun schließlich so groß, dass die Regierung zurückrudern musste. Akkoyun, der wegen Präsidentenbeleidigung festgenommen wurde, durfte noch am selben Tag die U-Haft unter Auflagen verlassen.

Seine Kampfansage im Anschluss: „Ich wurde festgenommen, weil ich für Unruhe gesorgt habe. Ich werde auch künftig für Unruhe sorgen.“

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