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Politik

Türkei-Wahlen: Warum lagen viele Umfragen so sehr daneben?

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Umfrageinstitute in der Türkei liegen falsch. Warum ist das so?
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Die Hoffnung auf Seiten der Opposition war groß: Die Aussichten für Erdoğan-Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu auf einen Wahlsieg waren gut. Die einzige Frage schien nur zu sein, ob es bereits im ersten Wahlgang klappt. Doch es kam ganz anders. Warum lagen die Umfrageinstitute so sehr daneben?

Umfragen hatten in den letzten Wochen vor der Wahl ein deutlich anderes Ergebnis vorausgesagt: Kemal Kılıçdaroğlu (CHP) sollte entweder die 50-Prozent-Hürde erreichen bzw. übertreffen und das Rennen um die Präsidentschaft gewinnen. Oder aber, so sagten es die Umfragewerte, sollte er nur knapp unter der magischen Grenze bleiben.

Letzte Umfragewerte vor der Wahl waren einer Meinung

Für die Allianz um den kemalistischen Kandidaten ging es demnach nur noch darum, ob der Sieg in der ersten oder zweiten Runde errungen werden kann. Nahezu alle Umfragen bis zwei Tage vor der Wahl sahen Kılıçdaroğlu noch klar im Vorteil:

MetroPOLL (11. Mai)

  • Kılıçdaroğlu 49,1 Prozent
  • Erdoğan 46,9 Prozent

Yöneylem (11. Mai)

  • Kılıçdaroğlu: 49,5 Prozent
  • Erdoğan: 44,4 Prozent

KONDA (11. Mai)

  • Kılıçdaroğlu 49,3 Prozent
  • Erdoğan 43,7 Prozent

Türkiye Raporu (12. Mai)

  • Kılıçdaroğlu 50,5 Prozent
  • Erdoğan 45,6 Prozent

Aksoy (12. Mai)

  • Kılıçdaroğlu: 47,9 Prozent
  • Erdoğan: 45,6 Prozent

Tatsächliches Ergebnis weicht stark ab

Vergleicht man das tatsächliche Ergebnis mit diesen Umfragewerten, erkennt man deutlich, dass es genau umgekehrt gekommen ist: Der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdoğan konnte mit 49,52 Prozent die meisten Stimmen für sich gewinnen. Herausforderer Kılıçdaroğlu kam lediglich auf 44,88 Prozent – und blieb damit deutlich hinter den Erwartungen zurück. Lediglich das Ergebnis des dritten Kandidaten Sinan Oğan, der sich nun zum Königsmacher aufgeschwungen hat, sagten die Institute recht genau voraus.

Da letztlich keiner der Bewerber die erforderlichen 50 Prozent erhalten hat, findet nun am 28. Mai eine Stichwahl zwischen den beiden besten Kandidaten Erdoğan und Kılıçdaroğlu statt. In Deutschland kann man für diese Wahl bereits ab übermorgen, also ab dem 20. Mai abstimmen.

Gründe für das Versagen der Umfrageinstitute

Doch warum wichen die Umfragen so stark von den Ergebnissen ab? Wir haben einige mögliche Gründe zusammengestellt.

Wenige Institute vertrauenswürdig

Nicht alle Umfrageinstitute in der Türkei sind vertrauenswürdig. Nur ein Teil von ihnen legt offen dar, wie die einzelnen Ergebnisse zustande gekommen sind. Wie entstehen beispielsweise die Stichproben? Wie viele Menschen wurden befragt und wie wurden sie ausgewählt?

All das ist bei den meisten Instituten nicht eindeutig. Auch die Methoden bleiben größtenteils im Unklaren: Hat die Befragung telefonisch, schriftlich oder face-to-face stattgefunden? Zudem wird einigen Instituten auch eine zu große Nähe zu politischen Parteien vorgeworfen.

Hat der Rückzug von İnce eine Rolle gespielt?

Einige Experten sind der Ansicht, dass der kurzfristige Rückzug des vierten Präsidentschaftskandidaten Muharrem İnce ebenfalls zu den schlechten Wahlumfragen geführt haben könne. İnce zog seine Kandidatur wenige Tage vor der Wahl zurück, konnte aber wegen der Kurzfristigkeit dennoch gewählt werden.

Am nächsten dran war übrigens „OPTIMAR“. Einen Tag vor der Wahl erwartete das Institut eine Zustimmung von 44,7 Prozent für die Opposition und von 50,4 Prozent für Erdoğan.

Umfrageinstitute üben Selbstkritik

Von den Instituten selbst gab es bereits erste Reaktionen. Can Selçuki etwa, Direktor des Instituts „Türkiye Raporu“, der einen knappen Sieg der Opposition vorausgesagt hatte, erklärte am Montag, dass man die eigenen Methoden überdenken werde. Man könne die Abweichung nicht mit einer Fehlergrenze erklären, so Selçuki.

Umfrage in Erdbebengebiet schwer

Ein weiteres Institut, das den Wahlsieg Kılıçdaroğlus prognostiziert hatte, ist MAK. Geschäftsführer Mehmet Ali Kulat gab in einer Fernsehsendung zu, dass man insbesondere in der Erdbebenregion „keine hundertprozentige Wahlumfrage“ durchführen konnte. Man habe zwar mit den Menschen vor Ort telefoniert, um die Umfragen durchzuführen, aber die Auswirkungen des Erdbebens nicht wirklich analysieren können.

Die „Sonntagsfrage“ als Vorbild?

Klar ist: Keine Stichprobe ist perfekt. Selbst wenn man alle wahlberechtigten 64 Millionen Türkinnen und Türken befragen würde, gäbe es weiterhin eine einzukalkulierende Fehlergrenze.

Doch dass die Institute dermaßen versagen würden, hätte wohl niemand gedacht. Vielleicht wäre deshalb ein Blick nach Deutschland, wo die „Sonntagsfrage“ seit Jahrzehnten verlässliche Werte liefert, lohnenswert.

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