Politik
Sinan Oğan: Der Rechtsruck der Türkei scheint unaufhaltbar
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Als Sinan Oğan seine Kandidatur verkündete, waren seine Ziele klar. So deutlich wie er positionierte sich kein anderer Wettbewerber. Der charismatische Politiker ist bekennender Ultra-Nationalist und felsenfester Kemalist. Aber: Seine Forderungen an Erdoğan und Kılıçdaroğlu sind so glasklar wie kompliziert.
Als erster der drei Kandidaten stellte sich der vermeintliche Verlierer vor die Kameras. Doch was in der Politik als Niederlage daherkommt, könnte sich auch als Sieg oder zumindest strategischer Schachzug entpuppen. Denn niemand hätte gedacht, dass Sinan Oğan über 5 Prozent der Stimmen holt.
Vielleicht der Memleket-Parteivorsitzender Muharrem İnce, ja. Aber Oğan? Niemals. Doch genau so ist es gekommen. Vermutlich auch, weil İnce wenige Tage vor der Wahl seinen Rückzug verkündet hatte. Sind seine Wähler zu Oğan gewechselt? Das ist eine mögliche Erklärung, doch die Anteile Oğans aus dem Ausland zeigen, dass er in den vergangenen Wochen ordentlich aufholen konnte.
Was will Oğan wirklich?
Quasi aus eigener Kraft hat sich der Nationalist eine Position als Game-Changer erkämpft. Das ist aus politischen Gesichtspunkten zu respektieren. Seine Forderungen gehen in eine eindeutige Richtung und treffen beide Lager auf einmal. Der ruhige und groß gewachsene Türke kommt recht elegant daher.
Sein Wunsch zielt auf die unversehrte Einheit der Türkei als Republik sowie die Distanzierung von Terrororganisationen ab. In dieser Angelegenheit fordert er von Kemal Kılıçdaroğlu eine klare Distanzierung von der PKK. Grund dafür ist die Tatsache, dass die Grüne Linkspartei, mit der die HDP bei den Wahlen zusammengearbeitet hat, keinen eigenen Kandidaten für die Präsidentschaft aufgestellt und die Unterstützung Kılıçdaroğlus öffentlich kommuniziert hatte.
Erdoğan könnte am Tisch scheitern
Auch die Werte Kılıçdaroğlus in den mehrheitlich kurdischen Gebieten belegen, dass die pro-kurdischen Kräfte ihr Versprechen eingehalten haben. Ohne diese hätte Recep Tayyip Erdoğan die Wahlen womöglich längst gewonnen. Aus dieser Perspektive betrachtet steckt Kılıçdaroğlu in einer Zwickmühle: Verliert er die Stimmen der Kurden, wenn er auf Oğan eingeht?
Zu Erdoğan werden sie wohl nicht gehen. Doch sie könnten sich diesmal enthalten. Außerdem müsste der Sozialdemokrat am Verhandlungstisch eine Methode glaubhaft machen, wie er die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak wieder in ihre Heimat schickt.
Oğan will die Rückführung aller Flüchtlinge
Denn das Oğan-Lager will die bedingungslose Rückführung aller Flüchtlinge. Wenn nötig auch zu Fuß. Auch dadurch könnte Kılıçdaroğlu seine aktuelle Basis schwächen. Doch auch Erdoğan steht vor diesem Problem. Seinen Wahlerfolg hat er seiner leicht geschrumpften, aber nach wie vor großen Basis, den Auslandstürken und den Geflüchteten mit türkischer Staatsbürgerschaft zu verdanken.
Zudem muss Erdoğan überlegen, wie er Oğan davon überzeugen will, nichts mit Terrororganisationen zu tun zu haben. Denn anders als die CHP hat Erdoğan Hüda-Par-Verantwortliche direkt ins Parlament geholt. Diese Partei gilt als der politische Arm der Hisbollah.
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Im Zweifel müsste Erdoğan diese Personen wieder aus dem Parlament werfen, sofern das juristisch überhaupt möglich ist. Sinan Oğan bleibt aktuell der alleinige „Gewinner“ dieser Wahlen. Wer hätte das gedacht?