Menschenrechte
Enes Kanter trifft Donald Trump und erntet Kritik aus den eigenen Reihen
Der baldige US-Präsident wird zum zweiten Mal Donald Trump. Noch bevor er sein Amt antritt, ist für den Rest der Welt klar, dass er de facto als Präsident agiert. Somit bedient sich die diplomatische Bühne bei dem Republikaner. Auch Enes Kanter Freedom, der auf eine Einladung Trumps hin den künftigen Präsidenten persönlich getroffen hat. Die Meinungen über das Treffen gehen auseinander. Insbesondere aus Deutschland und Europa werden kritische Töne laut.
Seit einigen Jahren ist Enes Kanter Freedom die wohl berühmteste öffentliche Persönlichkeit der Gülen-Bewegung. Zu dieser Prominenz trägt neben seinen kontroversen Aussagen in Richtung türkischer Politik hauptsächlich seine einstige Karriere als NBA-Star bei. Nachdem Kanter aufgrund seiner Nähe zum jüngst verstorbenen Fethullah Gülen in der Türkei zur Persona non Grata erklärt wurde, kam er in den USA als berühmter Ex-Sportler im „Exil“ auf die Bühne. Die politische Perspektive scheint den ihn immer mehr zu vereinnahmen.
Schulterschluss mit Trump: Menschenrechtsaktivist oder Provokateur?
In seiner selbsterklärten Rolle als „Menschenrechtsaktivist“ lehnte sich Kanter mit Aussagen gegen die chinesische Regierung und deren Völkermord an den Uiguren sowie Russland und Putins Krieg gegen die Ukraine oft weit aus dem Fenster. Zur Konsequenz hatte dies, dass die damalige Mannschaft von Kanter vom chinesischen TV-Absatzmarkt verbannt wurde. Da dieser einer der größten Weltmärkte für Sport-Entertainment ist, wurde Kanter auch auf dem NBA-Parkett zur Persona non Grata. Seine Karriere hing der großgewachsene Türke an den Nagel. Seine Rolle als Menschenrechtsaktivist ist der einzige Dress, den Kanter in der Öffentlichkeit trägt.
Doch wie passt ein Schulterschluss mit Donald Trump zum Aktivismus für die Menschen? Eine erste scharfe Kritik aus Deutschland an Kanter nach dem Treffen mit Trump kommt von Ercan Karakoyun. Er ist Vorsitzender der Stiftung Dialog und Bildung. Sie ist von Menschen in Deutschland gegründet worden, die in Hizmet aktiv sind. Hizmet bedeutet auf Türkisch „Dienst“ und ist die Selbstbezeichnung der Gülen-Bewegung.
Karakoyun: Nicht mit unseren Werten vereinbar
Laut Karakoyun stehe die Hizmet-Bewegung für „Dialog, Menschenrechte und Gerechtigkeit“. Daher finde er das Treffen mit Trump problematisch. „Trumps populistische Rhetorik und seine menschenfeindlichen Äußerungen widersprechen unseren Werten“, so der Vorsitzende der offiziellen Anlaufstelle für die Gülen-Bewegung in Deutschland. Ein Blick ins Internet verdeutlicht, dass diese Frage in der türkischsprachigen Welt aktuell heiß diskutiert wird. Schließlich gilt Trump, der zwar der gewählte US-Präsident ist, für die bilateralen Beziehungen und die Diplomatie als unverzichtbarer Gesprächspartner. Nicht jedoch für Aktivismus, findet der türkische Exil-Journalist Bülent Keneş.
Der in Schweden lebende Exilant teilt mit Kanter eine ähnliche Weltanschauung, zählt sich zu der Gülen-Bewegung hingezogen. Sie sind beide Personen von „Hizmet“, die Selbstbezeichnung all derer, die sich Gülens Idealen versprochen haben. Keneş war einst Chefredakteur der zerschlagenen englischsprachigen Today’s Zaman. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte bei Verhandlungen zum NATO-Beitritt Schwedens bei einer Pressekonferenz mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson im Dezember 2022 Keneş namentlich erwähnt und dessen Auslieferung gefordert.
Kritik auch aus Schweden und Brüssel
Ebenjener Keneş, der in der Türkei aufgrund antidemokratischer Entwicklungen Erdoğan kritisiert und dadurch in dessen Augen zum „Terroristen“ wurde, findet den Vorstoß von Kanter bei Trump nicht gut. Auf X schreibt Keneş, dass er die sich anbahnende Annäherung der Gülen-Bewegung in den USA an die Republikaner, bei einem Treffen der US-Dachorganisation der Bewegung in Brüssel, mit einem Scherz kritisiert habe. Nach dem Treffen von Kanter mit Trump scheine seine Sorge nun wahr zu werden.
Das Treffen zwischen Kanter und Trump ist per Handy-Video an die Welt verbreitet worden. Trump wirkt darauf sehr persönlich und scheint den langen Mann sofort zu erkennen. Seine Worte sind auch eindeutig: „Vielen Dank für alles, was du tust“, so der baldige Gegenspieler des türkischen Präsidenten. Diese Szene ist auch der ehemaligen Zaman-Journalistin Sevgi Akarçesme nicht entgangen. Sie lebt in Brüssel im Exil.
In ihrem Tweet wird Akarçesme deutlicher als Kenes. Es sei besorgniserregend, „dass so wenige Menschen die Gefahr erkennen, sich mit einem anderen Möchtegern-Diktator zu verbünden, nur damit die willkürliche Gruppe (gemeint sein dürfte das Regierungslager, Anm. d. Red.) in der Türkei ein paar Tage ausrastet. Es geht nicht um Republikaner oder Demokraten. Trump ist kein gewöhnlicher Republikaner. Er ist ein narzisstischer Populist. Seine bisherige Bilanz sollte vor allem Migranten, Muslimen und Minderheiten beängstigen, aber Populismus funktioniert leider sogar in den unerwartetsten Kreisen.“
Nicht nur Kritik: Kanter erhält auch Zustimmung
Fuat Baran gehört ebenfalls zu den Exil-Journalisten aus dem Gülen-Spektrum. Nach der Kritik gegen Kanter verteidigte dieser den selbsternannten Menschenrechtsaktivisten als einen „Hizmet-Menschen, der jegliches Lob verdiene, mit seiner Menschlichkeit und Anstand ein Beispiel für die Menschheit sei, ein Menschenrechtsaktivist, der viel eingebüßt habe, Punkt“. Auch andere X-User aus dem Spektrum verteidigten Kanter, da die Demokraten den Gülen-Anhängern auch keinen Gefallen getan hätten.
Zudem sei Kanter mit dem Besuch bei Trump Erdoğan auf dem diplomatischen Parkett voraus. Dies bedeute schwierige Zeiten für die Regierungskoalition aus AKP und MHP. Diese Mentalität einiger Gülen-Anhänger wird auf X aus den eigenen Reihen als Haltungslosigkeit kritisiert. „Wenn ihr euch nach der Macht richtet, warum also musstet ihr euch gegen Erdoğan auflehnen und somit das Leben Zehntausender ruinieren?!“, klagt eine Userin.
Kanter veröffentlicht Erklärungsvideo
Auf die große Welle an Reaktionen reagierte Kanter rasch. In seiner Caption zu einem Video schrieb Kanter am Samstag: „Meine Geschwister, vielleicht erscheinen euch einige Dinge, die ich tue, einige Entscheidungen, die ich treffe, Schritte, die ich mache, oder Menschen, mit denen ich mich treffe, sinnlos, unnötig, falsch oder sogar im Widerspruch zu den Prinzipien, die wir bisher gesehen und gelernt haben. Doch all das wurde seinerzeit sorgfältig besprochen, Entscheidungen wurden getroffen, der Weg wurde gezeichnet.“ Ist das eine Anspielung auf den jüngst verstorbenen Gülen? Womöglich, da Kanter dem Gründer der Bewegung besonders nahestand.
Von seinen „Geschwistern“ fordert Kanter im selben Posting Vertrauen auf seine Entscheidungen, auch wenn sie Schwierigkeiten damit hätten, ihn zu verstehen. Ebenso wünscht sich Kanter, Teil ihrer Gebete zu sein. Irgendwann, so Kanter, werde er von der Bildfläche weichen und den Platz der heranwachsenden Generation an Gülen-Anhängern übergeben.
Insgesamt bleibt Kanter mit diesem Video undeutlich, schleierhaft und mysteriös. Offen gibt der selbsternannte Menschenrechtsaktivist mit politischer Pointe allerdings zu, dass er nicht individuell handele, sondern eine Agenda befolge. Wer dahintersteckt oder ihn steuert, wird nicht transparent. Da aber die Reaktion auf Kanter, auch aus dem eigenen Lager, eher kritisch ausfällt, scheint der Ex-Basketballer mit seinem politischen Engagement nicht alle in der Bewegung zu erfreuen.