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Politik

„Historisch“: CHP gewinnt Kommunalwahlen in der Türkei – YRP sorgt für Überraschung

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31.03.2024, Istanbul: Anhänger der Republikanischen Volkspartei (CHP) jubeln vor dem Rathaus. Bei den Kommunalwahlen in der Türkei erlitt die AKP starke Stimmverluste. Foto: Khalil Hamra/AP/dpa
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Die türkische Opposition hat einen Überraschungssieg hingelegt. Sie geht erstmals seit 22 Jahren als stärkste Kraft aus den Kommunalwahlen hervor – ein herber Rückschlag für Präsident Erdoğan.

Bei den Kommunalwahlen in der Türkei hat die Partei von Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine Niederlage einstecken müssen. Landesweit erlitt die islamisch-konservative AKP laut vorläufigen Ergebnissen vom frühen Montagmorgen starke Verluste. In den fünf größten Städten des Landes konnte sich die größte Oppositionspartei CHP bei den Bürgermeisterwahlen durchsetzen – besonders deutlich in der Hauptstadt Ankara und in der politisch wichtigen Metropole Istanbul.

Die CHP wurde laut vorläufigen Zahlen mit 37,7 Prozent landesweit stärkste Kraft, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu nach knapp 99 Prozent ausgezählter Stimmen berichtete. Die AKP kam auf 35,52 Prozent. Sollte sich das Ergebnis offiziell bestätigen, wäre die AKP erstmals seit ihrer Gründung 2002 in einer Kommunalwahl nur zweitstärkste Kraft. Erdoğan räumte am Abend ein, nicht das gewünschte Ergebnis erzielt zu haben. Oppositionschef Özgür Özel, der im vergangenen Jahr auf Kemal Kılıçdaroğlu gefolgt war, sprach von einem „historischen Ergebnis“, das zeige, dass die Wähler eine neue Politik wollten. Ähnlich gut schnitt die CHP landesweit zuletzt vor mehr als 45 Jahren ab.

Die Wahl wurde auch als Stimmungstest für den Präsidenten gewertet, der im vergangenen Jahr wiedergewählt worden war. Die hohe Inflationsrate und die wirtschaftliche Lage dürften Erdoğans Partei Stimmen gekostet haben.

Istanbul und Ankara gehen klar an die CHP

Der Staatspräsident verfehlte auch sein ausgemachtes Ziel, die politisch wichtige Metropole Istanbul mit ihren 16 Millionen Einwohnern zurückzugewinnen. Amtsinhaber Ekrem İmamoğlu (53) von der CHP gewann am Sonntag nach Auszählung fast aller Stimmen deutlich mit rund 51 Prozent, so Anadolu. Der wiedergewählte Istanbuler Bürgermeister konnte damit an seinen spektakulären Wahlsieg von 2019 anknüpfen und seine Position als möglicher künftiger Präsidentschaftsanwärter bei der Wahl in vier Jahren stärken. Anders als bei der vergangenen Kommunalwahl 2019 ging İmamoğlu nicht mit Unterstützungsversprechen anderer Oppositionsparteien in die Wahl – und entschied sie dennoch für sich. Er ließ sich am Sonntag vor tausenden Anhängern in Istanbul feiern.

Ein ungewohntes Bild: Die politische Landkarte in der Türkei scheint sich zu verändern. Rot sind die Provinzen, die an die CHP gehen, in den gelben Provinzen liegt die AKP vorne. Nevşehir (hellblau) ist die einzige Provinz, in der die İyi Partei dıe meisten Stimmen holte.

İmamoğlu gilt als Hoffnungsträger der Opposition. Er hatte Erdoğans regierender AKP 2019 die Macht in Istanbul entrissen und damit 25 Jahre der Regierung islamisch-konservativer Parteien beendet. Die AKP ließ die Wahl damals annullieren. In der zweiten Runde gewann İmamoğlu mit noch größerem Abstand – der Erfolg galt bisher als schwerster Rückschlag in Erdoğans politischer Karriere. In Istanbul hatte einst auch dessen politischer Aufstieg seinen Anfang genommen, als er 1994 zum Bürgermeister gewählt wurde.

Erdoğan hatte sich im Wahlkampf um Istanbul persönlich eingesetzt. Sein Kandidat, der ehemalige Städtebauminister Murat Kurum, erreichte laut Anadolu vorläufig lediglich knapp 40 Prozent der Stimmen.

Yeniden Refah holt Urfa und insgesamt über 6 Prozent – MHP und İyi Parti enttäuschen

Die Wahl ist auch bedeutend für die kurdische Minderheit im Land. Im kurdisch geprägten Südosten konnte die prokurdische Partei DEM, die auf insgesamt 5,65 Prozent kommt, Gemeinden unter Zwangsverwaltung wieder zurückgewinnen. Die Regierung in Ankara hatte zahlreiche prokurdische Politiker wegen Terrorvorwürfen des Amtes entheben und durch Zwangsverwalter ersetzen lassen. Erdoğan unterstellt der prokurdischen Partei Terrorverbindungen, was diese zurückweist. Auch an die islamistische Partei Yeniden Refah (YRP) verlor die AKP zwei Provinzen in Anatolien, Şanlıurfa und Yozgat. Generell sorgte die YRP neben der CHP für die Überraschung der Wahl. Landesweit kam sie auf rund 6,2 Prozent. Damit hatte im Vorfeld niemand gerechnet. Im AKP-Lager wird der Partei vorgeworfen, das islamisch-konservative Lager gespalten zu haben.

In Rize, der Heimatprovinz von Erdoğan, wurde die AKP zwar stärkste Kraft, büßte aber dennoch im Vergleich zu 2019 massiv Stimmen ein. Auch in den meisten vom Erdbeben im Februar 2023 betroffenen Provinzen erlitt die AKP deutliche Verluste – die Provinz Adıyaman etwa verlor sie sehr deutlich an die CHP. Neben der AKP enttäuschte auch die MHP, der inoffizielle Koalitionspartner der AKP. Sie blieb unter 5 Prozent. Noch schwächer schnitt die İyi Partei ab (3,8 Prozent).

dpa/dtj