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Gesellschaft

Gezi-Prozess in der Türkei: Lebenslange Haft für Kavala

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Es ist ein Urteil, das international für Empörung sorgt: Der Kulturförderer Kavala soll wegen der Gezi-Proteste in der Türkei lebenslang ins Gefängnis. Manche vermuten dahinter einen Einschüchterungsversuch durch Präsident Erdoğan.

Der prominente Kulturförderer Osman Kavala ist im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten in der Türkei vor neun Jahren zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt worden. Ein Gericht in Istanbul sprach Kavala am Montag des Umsturzversuches schuldig.

Schon während der Urteilsverkündung ertönten laute Buhrufe im Gericht. Auch international wurde die Entscheidung vielfach als politisch motiviert eingeordnet. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte Kavala in der Vergangenheit öffentlich als Terroristen und die Gezi-Proteste als „Verschwörung“ aus dem Ausland bezeichnet.

Seit 2017 ohne Urteil in Haft

Neben Kavala wurden sieben weitere Angeklagte wegen Beihilfe zum Umsturzversuch zu 18 Jahren Haft verurteilt. Sicherheitskräfte führten sie unter lautem Protest direkt aus dem Verhandlungssaal ab. Die Verurteilten kündigten an, in Revision gehen zu wollen.

Der mittlerweile 64-jährige Kavala saß seit 2017 ohne Urteil im Gefängnis. Neben den Vorwürfen im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten 2013 wurden ihm in dem Verfahren auch „politische und militärische Spionage“ im Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2016 vorgeworfen – von letzterem Vorwurf wurde er aber freigesprochen.

Baerbock fordert Freilassung

Kavala selbst hatte alle Vorwürfe gegen sich stets bestritten und als „politisch motiviert“ bezeichnet. Eine Auffassung, mit der er nicht allein ist. „Dieses Urteil steht in krassem Widerspruch zu den rechtsstaatlichen Standards und internationalen Verpflichtungen, zu denen sich die Türkei als Mitglied des Europarats und EU-Beitrittskandidatin bekennt“, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne).

„Wir erwarten, dass Osman Kavala unverzüglich freigelassen wird – dazu hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Türkei verbindlich verpflichtet.“ Die Türkei-Vertreterin der Organisation Human Rights Watch, Emma Sinclair-Webb, nannte das Urteil den „schlimmstmöglichen Ausgang dieses Schauprozesses“, „schrecklich, grausam und böse.“

Empörung überall

Die Türkei-Expertin der Organisation Amnesty International in Deutschland, Amke Dietert, forderte, Kavala müsse sofort freigelassen werden. Der einst selbst als Journalist in der Türkei inhaftierte Präsident der Schriftstellervereinigung PEN Deutschland, Deniz Yücel, sprach von einem politischen Verfahren „frei von Rechtsstaatlichkeit“.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth nannte das Urteil „ungerechtfertigt“, Kavala sitze „weiterhin unschuldig hinter Gittern“. Der Fall hatte der Türkei bereits vor der Entscheidung international scharfe Kritik eingebracht. Dem Land droht deswegen etwa der Ausschluss aus dem Europarat.

Europarat droht mit Ausschluss

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte 2019 die Freilassung des Menschenrechtsaktivisten angeordnet und die Haft als politisch motiviert eingestuft. Ende 2021 war ein diplomatischer Eklat entbrannt, nachdem zehn Botschafter in der Türkei – darunter der deutsche – die Freilassung Kavalas gefordert hatten. Präsident Recep Tayyip Erdoğan wertete dies als unzulässige Einmischung und drohte den Diplomaten mit Ausweisung (DTJ-Online berichtete).

Kavalas Anwälte kritisierten, ihr Mandant sei in dem ganzen Verfahren nie richtig befragt worden. Kavala selbst monierte, es seien keine Beweise vorgelegt worden, die seine Schuld belegen könnten.

Vermögen konfisziert

Auslöser der zunächst friedlichen Gezi-Proteste 2013 war ein Bauprojekt im Zentrum Istanbuls. Die Aktion weitete sich zu landesweiten Demonstrationen gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten Erdoğan aus. Der ließ die Proteste brutal niederschlagen. Darauf gab es auch unter den Demonstranten gewalttätige Übergriffe.

Kavala stammt aus einer Unternehmerfamilie und förderte zahlreiche zivilgesellschaftliche Projekte in der Türkei. Er ist Gründer der Organisation Anadolu Kültür. Große Teile seines Vermögens sind konfisziert.

Regierung: Justiz in der Türkei ist unabhängig

Zum Prozesstag waren zahlreiche Beobachter erschienen, die sich in dem Gerichtssaal drängten – unter ihnen Vertreter von Konsulaten, Menschenrechtsorganisationen und politischen Parteien.

Unterstützer, Menschenrechtler und Oppositionspolitiker unterstellen der islamisch-konservativen Regierung, mit dem Vorgehen gegen Kavala von Engagement abschrecken zu wollen, das nicht mit der Ideologie der regierenden Partei AKP übereinstimmt. Die Regierung argumentiert ihrerseits gegen solche Vorwürfe, die Justiz in der Türkei sei unabhängig.

Die Europäische Union etwa hatte daran Ende vergangenen Jahres massive Zweifel angemeldet und dem Land – wie viele Beobachter zuvor – eine mangelnde Unabhängigkeit der Justiz attestiert.

dpa/dtj

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