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Flucht/Migration

Merz „radikalisiert“ sich: Deutscher Pass soll wieder aberkannt werden können

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12.12.2024, Nordrhein-Westfalen, Olsberg: Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) nimmt an einer Dialogveranstaltung mit Landwirten beim Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband (WLV) teil. Foto: Christoph Reichwein/dpa
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Wer sich einer Terrorvereinigung anschließt, kann den deutschen Pass verlieren – vorausgesetzt er hat noch eine weitere Staatsangehörigkeit. CDU-Chef Merz kann sich das auch für Straftäter vorstellen. Dafür erntet er Widerspruch.

Mit einem Vorschlag für eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts hat der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz führende Vertreter von Grünen und SPD gegen sich aufgebracht. „Friedrich Merz spielt bewusst mit dem rechtspopulistischen Feuer und ist als Kanzler aller Deutschen nicht geeignet“, sagte SPD-Chefin Saskia Esken dem „Stern“.

Der Kanzlerkandidat der Union hatte in einem Interview der „Welt am Sonntag“ erklärt, die von der Ampel-Koalition beschlossene doppelte Staatsbürgerschaft sollte nicht der Regelfall sein, sondern künftig wieder auf begründete Ausnahmefälle beschränkt werden. Merz führte weiter aus: „Wir holen uns damit zusätzliche Probleme ins Land.“ Und: „Es müsste wenigstens auf der gleichen Ebene eine Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft möglich sein, wenn wir erkennen, dass wir bei straffällig werdenden Personen einen Fehler gemacht haben.“

„Deutscher Staatsbürger zweiter Klasse“?

Diese Forderungen würden aus Eingebürgerten „Bürger zweiter Klasse machen“, kritisierte Esken. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sieht das ähnlich. Im Netzwerk LinkedIn schrieb er, dieser Vorschlag sei ein „Dammbruch“ und „würde zu einer Zweiklassengesellschaft bei der Staatsbürgerschaft führen“. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte der „Rheinischen Post“: „Die Union setzt offenbar auf Populismus und ignoriert die Fakten.“

Der Grünen-Vorsitzende Felix Banaszak betonte: „Eine Staatsbürgerschaft auf Abruf darf es für niemanden geben.“ Die Union solle auch im Wahlkampf nicht den Eindruck erwecken, „dass sie an so grundlegenden Säulen unseres Rechts sägen will“. Mehmet Gürcan Daimagüler, deutsch-türkischer Anwalt und Antiziganismus-Beauftragter der deutschen Bundesregierung, verurteilte Merz für dessen Ausführungen ebenfalls: „Ich kam vor über 50 Jahren in Deutschland zur Welt. Seit über 30 Jahren bin ich deutscher Staatsbürger. Wie sich herausstellt, bin ich bloß Deutscher bis auf weiteres. Deutscher Staatsbürger zweiter Klasse. Je nachdem, wie die Gesetze der Zukunft geschrieben werden, verliert man die deutsche Staatsbürgerschaft wieder. Und ist die erst einmal weg, dann kann man auch ausgewiesen werden – das ist ja der ganze Sinn und Zweck einer weggenommenen Staatsbürgerschaft. Fühlt sich nicht gut an. #Merz“, schrieb Daimagüler u.a. auf seinem Facebook-Account.

Im vergangenen Juni war die von der Ampel-Koalition beschlossene Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in Kraft getreten. Danach können Menschen, die in Deutschland arbeiten und gut integriert sind, schon nach fünf statt wie bisher acht Jahren deutsche Staatsangehörige werden. Sie brauchen ihre bisherige Staatsangehörigkeit dafür nicht mehr aufzugeben. Besonders gut integrierte Ausländer können bereits nach drei Jahren eingebürgert werden. Zugleich wurden die Anforderungen für das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung verschärft.

Zahl der Einbürgerungen zuletzt so hoch wie noch nie

Die Zahl der Menschen, die durch Einbürgerung Deutsche wurden, war 2023 mit rund 194.000 Einbürgerungen so hoch wie noch nie. Dass dieser Trend 2024 dann noch zugenommen hat, liegt daran, dass viele Syrer und andere Ausländer, die in den Jahren 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen waren, inzwischen die Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllen. Ein weiterer Faktor ist das neue Staatsangehörigkeitsgesetz.

Deutschland erleichtert doppelte Staatsbürgerschaft für Türken

In dem Interview war Merz nach möglichen Konsequenzen aus dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg gefragt worden. Kurz vor Weihnachten war ein 50-jähriger Mann aus Saudi-Arabien mit einem Auto über den Markt gerast. Bislang sind sechs Menschen gestorben, ein neunjähriger Junge sowie fünf Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren. Zudem gab es knapp 300 Verletzte.

„Uns geht es darum, eine Ausweitung der Tatbestände für den Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft bei Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit zu prüfen, die mehrfach schwer straffällig geworden sind und damit eine Gefahr für die Sicherheit in unserem Land darstellen“, stellte ein CDU-Sprecher auf Nachfrage klar. Das sei auch Thema des Interviews gewesen. Es gehe Merz und der CDU „nicht um Menschen, die zwei Pässe haben und seit Jahren friedlich in unserem Land leben“.

Deutschland entlässt niemanden in die Staatenlosigkeit

Die schwarz-rote Koalition hatte 2019 die Frist für die Rücknahme von rechtswidrigen Einbürgerungen von fünf auf zehn Jahre verlängert. Das betrifft Menschen, die falsche Angaben zu ihrer Identität gemacht haben.

Den deutschen Pass kann seit der Reform von 2019 auch verlieren, wer im Ausland für eine terroristische Vereinigung an Kampfhandlungen teilnimmt. Das ist seither nach Auskunft des Bundesinnenministeriums in zwei Fällen geschehen.

Bereits vor der damaligen Reform sah das Staatsangehörigkeitsgesetz den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit vor, wenn ein Deutscher, der noch eine weitere Staatsbürgerschaft hat, ohne Genehmigung der deutschen Behörden freiwillig in die Streitkräfte eines anderen Staates eintritt. Grundsätzlich ist der Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft nur bei Menschen möglich, die noch Staatsbürger eines anderen Landes sind.

Pro Asyl: Union missachtet Grundrechte

Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl kritisierte die Union scharf wegen ihres radikalen Kurses in der Asylpolitik und warf ihr vor, Grundrechte zu missachten, um rechte Wähler zu gewinnen. Wiebke Judith, Rechtsexpertin bei Pro Asyl, warnte vor einem Verfall von Rechtsstaatlichkeit, Menschenwürde und Menschenrechten. Anlass ist der CSU-Sicherheitsplan für den Bundestagswahlkampf, der etwa eine generelle Zurückweisung von Schutzsuchenden an deutschen Grenzen fordert – ein klarer Verstoß gegen Völker- und Europarecht.

Unzulässig seien laut Judith auch Pläne, das Bleiberecht von Geflüchteten an Besitz oder Einkommen zu koppeln, da dies gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und das Grundrecht auf Menschenwürde verstoße. Ebenfalls verfassungswidrig wäre eine unbefristete Abschiebehaft für ausländische Straftäter nach deren Strafverbüßung.

dpa/dtj