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Sensation perfekt: Mourinho wird Trainer in Istanbul

Noch-Präsident Ali Koç und der legendäre Vereinsboss Aziz Yıldırım liefern sich einen harten Wahlkampf um den Vorstand des Istanbul-Vereins Fenerbahçe. Die Gelb-Blauen aus Kadıköy haben am Ende einer sportlich erfolgreichen Saison Veränderungsbedarf. Denn im türkischen Fußballgeschäft zählt am Ende des Tages nichts außer der Liga-Meisterschaft. Der erste Star-Transfer der kommenden Saison vollzog sich auf dem Trainerposten: Kein Geringerer als José Mourinho soll das Team zum Titel führen.
Ismail Kartal ist zum Start der Saison 2023/24 bereits zum dritten Mal als Trainer von Fenerbahçe verpflichtet worden. Der bescheidene Taktiker war unter einem Teil der Fans umstritten. Dabei hatte Kartal bereits bei seinen zwei Amtszeiten zuvor große Erfolge feiern dürfen. Aber bei beiden Malen sprang keine Meisterschaft aus.
Der inzwischen 63-Jährige kam jeweils als Interimslösung, gewann 2014 den Supercup, beendete die Liga aber auf Rang 2. 2021 heuerte Kartal ein zweites Mal bei Fenerbahçe als Übergangslösung an, holte in der zweiten Saisonhälfte einen großen Rückstand auf und beendete die Saison erneut auf Platz 2. Danach wurde der erfolgreiche Coach entgegen seiner persönlichen Erwartung entlassen. Trotz solider Leistungen und einer wachsenden Zahl an Befürwortern unter den Fenerbahçe-Fans, musste Kartal den Platz an der Seitenlinie für den portugiesischen Startrainer Jorge Jesus räumen.
Jesus: „Kartal ist erfolgreicher als ich“
Auch Jesus war der Titel in der türkischen Liga allerdings nicht vergönnt. Den Sieg im türkischen Pokal ließ sich der Portugiese jedoch nicht nehmen. Für den Trophäenjäger, der in jeder Liga, in der er tätig war, mindestens einen Pokal gewann, war dieser Triumph persönlich ausreichend. Doch auch er wurde entlassen, weil eben die Meisterschaft in der Liga ausblieb. Diese hatte Jesus während der Spielzeit kritisiert.
„Die türkische Liga hat keine sportliche Wirklichkeit, die Spiele werden in dieser Liga nicht auf dem Spielfeld gewonnen“, so der wutentbrannte Jesus im März 2023 auf einer Pressekonferenz nach dem Sieg seiner Mannschaft gegen den Istanbulverein Başakşehir. Er verließ die Liga kurz darauf in Richtung Saudi-Arabien, um seine persönliche Sammlung mit einer weiteren Trophäe zu schmücken. Ismail Kartal, der ihn beerbte, sei erfolgreicher als er selbst, ließ der Routinier aus dem arabischen Golf später wissen.
José Mourinho kommt, Kartal muss erneut gehen
Inzwischen ist Kartal wieder Geschichte. Sowohl der amtierende Vereinsboss Koç als auch sein Kontrahent Yıldırım haben deutlich gemacht, dass sie für die kommende Spielzeit mit José Mourinho planen. Die Präsidentschaftswahl soll am 8. oder 9. Juni stattfinden. Kartal muss also seinen Lieblingsverein, für den er einst auch als Spieler auflaufen durfte, trotz Rekordleistung verlassen. Das wurde gestern offiziell bestätigt. Mit 99 Punkten und einem Punkt-Durchschnitt von 2,61 in der Liga und 2,40 wettbewerbsübergreifend, ist Kartal eine Leistung gelungen, die es so noch nie bei Fener gegeben hat.
Ob Star-Trainer Mourinho mit seiner Vita, Aura und seinem internationalen Netzwerk die beinahe meisterliche Leistung von Kartal übertreffen kann, bleibt abzuwarten. Ob Mourinho für mehr internationale Aufmerksamkeit sorgen und somit auch mehr Druck auf die Entscheider im türkischen Fußball ausüben kann, ebenso. Sicher ist: Die beiden Präsidentschaftskandidaten haben die Strategie auf „schwere Geschütze“ ausgelegt. Am Samstagvormittag teilte der Verein mit, dass er Vertragsverhandlungen mit dem Portugiesen führe. Im Laufe des Wochenendes wurde die Zusammenarbeit besiegelt.
Mourinho vs. Kartal: Unterschiede im Umgang Top-Stars
Was kann man unter dem neuen Mann an der Seitenlinie erwarten?
Ismail Kartal wurde in der vergangenen Spielzeit aufgrund seines Fokus auf die türkische Liga kritisiert. Im Viertelfinale der UEFA Conference League schonte er einige seiner Top-Spieler fürs anstehende Ligaspiel an jenem Wochenende. Damit verspielte Fenerbahçe den möglichen Einzug ins Halbfinale gegenüber seinem personell unterlegenen Gegner Olympiacos Piräus leichtfertig. Eine Szene im Spiel gegen den späteren Sieger der Conference League könnte das Ende von Kartal besiegelt haben.
Gemeint ist die Auswechslung von Fred: Der Mittelfeldstar protestierte in jener 86. Minute mit seiner Gestik deutlich gegen seine Auswechslung und fragte seinen Trainer: „Why?!“ Die Erläuterungen konnten den entsetzten Brasilianer nicht wirklich zur Ruhe bringen, sodass die Meinungsunterschiede zwischen Trainerstab und Spieler sichtbar wurden. Mit seiner glorreichen Vita könnte Mourinho solche Situationen besser handeln. Doch die Türkei hat ihre ganz eigenen Spielregeln. Selbst ein Mourinho wird mit diesen Wirklichkeiten seinen Kampf führen müssen.