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Kolumnen

Türkei und Deutschland – Rücken an Rücken

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Während sich Noch-Außenminister Westerwelle gegenüber der Türkei auf das hohe Ross der Tugendhaftigkeit schwingt, ergeht sich die deutsche Außenpolitik in der Syrienkrise in nationalpazifistischen Tagträumereien: Ein bedenklicher Irrweg.

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Erdogan, Westerwelle und Davutoglu bei der Eröffnung der türkischen Botschaft in Berlin im Oktober 2012.
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Die Bundestagswahlen und die zu erwartende schwierige Regierungsbildung in Berlin haben die außenpolitischen Themen und Debatten noch weiter in den Hintergrund gerückt als dies in Deutschland ohnehin seit Jahren der Fall ist. Dass Deutschland nun einen neuen Außenminister bekommt, ist in jedem Falle zu begrüßen.

Im Auswärtigen Amt saßen schon mehrere schwächere Amtsinhaber, aber noch keiner war so schwach und unerfahren wie Guido Westerwelle (mi.). Auch im Verhältnis zur Türkei hat sich dies gezeigt, wo ihm mit seinem Kollegen Ahmet Davutoğlu (2.v.re.) ein Mann mit Visionen und Konzeptionen gegenüberstand. Im Wahlkampf ließ sich Westerwelle am Ende sogar zu unnötigen und viel zu polemischen Äußerungen hinreißen, als die Proteste auf dem Taksim-Platz auch die deutsche innenpolitische Debatte erreichten.

Für Wochen, vielleicht für Monate werden die Deutschen nun mit sich selbst beschäftigt sein, aber die kritische Situation im Nahen und Mittleren Osten bleibt. Hier hat sich die Türkei viel klarer als Deutschland positioniert und – Ankara ist bereit, zu handeln. Neben Frankreich und Großbritannien ist das Nachbarland von Syrien somit als wichtigster Partner der USA in der Region anzusehen, wenn sich die Verhältnisse jenseits der Grenze zuspitzen sollten. Und das kann jederzeit der Fall sein.

Stattdessen setzt Deutschland auf trügerische Friedensschalmeien. Die verbalen Annäherungsversuche Irans an den Westen werden viel zu optimistisch interpretiert. Zu befürchten ist, dass die Mullahs nur eine neue Variante des Spielens auf Zeit gewählt haben. Noch überraschender kommt der Schwenk der deutschen Außenpolitik, was das Assad-Regime angeht. Wollte Westerwelle den Diktator gestern noch am liebsten per Express-Brief an den Internationalen Gerichtshof im Haag überstellen, so ist der Mann nun über Nacht zum Verhandlungspartner geworden, zugegeben auch Amerikas.

Assad droht aus der Syriendiplomatie als großer Sieger hervorzugehen

Assad spielt nun ebenfalls auf Zeit, um Spuren von Chemiewaffen verwischen zu lassen und die Stärkeverhältnisse in seinem Land zu seinen Gunsten zu klären. Vermutlich sind sie schon jetzt für längere Zeit geklärt. Wer so viele Kriegsverbrechen begangen hat, wie dies – neben allen im Bürgerkrieg auftretenden Gruppen – auch von der syrischen Armee vermutet werden muss, kämpft nach aller Erfahrung bis zum bitteren Ende. Und nichts spricht dafür, dass die Russen Assad nach ihrem diplomatischen Triumph über US-Präsident Obama rasch fallen lassen werden. Die Krise um Syrien hat Moskau zurück in die Weltpolitik gebracht. Moskau verhandelt auf Augenhöhe mit Washington oder glaubt zumindest, es zu tun.

Deutsche und Türken stehen somit in der Außenpolitik Rücken an Rücken. Anstatt auf die politischen Entwicklungen in der Türkei, den Ruf der intellektuellen Stadteliten nach Liberalisierung bei gleichzeitigem Verbleiben der schweigenden Mehrheit des Landes an der Seite von Ministerpräsident Erdoğan (2.v.li.) geschmeidig zu reagieren, betreibt Berlin Prinzipienpolitik. Aber damit kann man den Partner nur verprellen. Eine solche Haltung führt am Ende dazu, dass die außenpolitische Zusammenarbeit leidet und die EU-Beitrittsverhandlungen zum Erliegen kommen. Ohne Not wird ein stolzes, selbstbewusstes Land, wie es die Türkei ist, zu einem in deutscher Perspektive störrischen Esel. Aber das ist eine noch von den rauchenden Resten des Wahlkampfes getrübte, sehr deutsche Sehweise.

Libyen-Pleite der deutschen Außenpolitik blieb bei den Partnern in Erinnerung

Denn für die Türkei sieht die Lage ganz anders aus: Die Regierung war bereit, an der Seite der USA in Syrien zu intervenieren. Und eine Wiederholung dieses Szenarios, ergänzt um Frankreich und Großbritannien, den vorübergehenden Teil-Erben des Osmanischen Reiches, ist jederzeit denkbar.

Sollte dieser Fall eintreten, käme die Bundesrepublik sehr rasch erneut in Bedrängnis und müsste sich entscheiden, entweder mit dem Westen oder mit Russland zu gehen, wie dies am Vorabend der Libyen-Intervention der Westmächte schon einmal der Fall war und in den Außenministerien der Welt nicht vergessen ist.

Im Falle Syriens wäre die Konstellation noch bedenklicher, denn dann müsste Deutschland auch Stellung gegen die Türkei beziehen, den momentan nicht gerade geliebten Partner. Die richtige Konsequenz aus den aktuellen Vorgängen in beiden Ländern – Wunsch nach Liberalisierung in der Türkei, schneller verlaufende Integration der Deutsch-Türken mit dem Einzug von 11 Abgeordneten im neuen deutschen Bundestag – wäre hingegen, enger zusammenzuarbeiten, anders formuliert: sich umzudrehen.