Türkischer Abgeordneter prangert Inhaftierung von Müttern mit Kleinkindern an – vor allem Oppositionelle betroffen

In der Türkei sitzen hunderte Mütter mit ihren Kleinkindern in Gefängnissen – trotz gesetzlicher Regelungen, die dies eigentlich verhindern sollten. Der Abgeordnete Ömer Faruk Gergerlioğlu macht mit einem bewegenden Video auf die Missstände aufmerksam und fordert dringend Reformen.
Der Abgeordnete der Gleichheits- und Demokratiepartei des Volkes (DEM), Ömer Faruk Gergerlioğlu, hat die hohe Anzahl an Frauen angeprangert, die in der Türkei mit ihren jungen Kindern inhaftiert sind. Am Freitag vergangener Woche postete der Politiker dazu ein Video, das er vor dem Bafra-Gefängnis in Samsun aufgenommen hatte.
Mutter mit zwei Monate altem Kind inhaftiert
In seinem Video erläuterte Gergerlioğlu, er habe zuvor im Gefängnis mit einer Frau gesprochen, deren Kind 22 Monate alt gewesen sei. Da das Kind müde geworden sei, habe man das Gespräch frühzeitig beenden müssen. Der Abgeordnete erklärte, er fühle sich nach dem Besuch in seiner Meinung bestätigt: „Ein Gefängnis ist kein Platz für ein Kind. Die Bedingungen sind grauenhaft und können den Bedürfnissen von Babys und jungen Kindern in keiner Weise gerecht werden.“
Eine weitere Frau sei erst am Tag zuvor mit einem zwei Monate alten Kind in das Gefängnis eingeliefert worden. Dies sei inakzeptabel, betonte der Parlamentarier.
Gefangenenhilfsorganisation: Keinerlei Infrastruktur für Kleinkinder in Haftanstalten
Derzeit leben offiziellen Angaben zufolge 759 Kinder mit ihren Müttern in türkischen Gefängnissen. Dies, obwohl es Bestimmungen wie das Gesetz Nr. 5275 gibt, das die Inhaftierung von Müttern mit Kindern unter 18 Monaten grundsätzlich verbietet. Die Betreffenden sollen, sofern keine zwingenden Gründe entgegenstehen, während ihres Verfahrens üblicherweise auf freiem Fuß bleiben.
Menschenrechtsorganisationen fordern bereits seit längerem, diesen Grundsatz auf alle Mütter mit Kindern bis zu sechs Jahren auszudehnen. Die Argumentation ist ähnlich: Gefängnisbedingungen seien der mentalen und psychischen Entwicklung von Kindern nicht zuträglich.
Die Gefangenenhilfsorganisation CİSST veröffentlichte 2022 einen Bericht, in dem die Situation von Kindern im Strafvollzug ihrer Mütter analysiert wurde. Demnach stellen die meisten Gefängnisse weder Buntstifte und Papier noch Spielzeug oder Krabbelteppiche für Babys zur Verfügung. Viele der Kleinkinder hätten auch kein eigenes Bett und sie müssten sich das Essen mit den Müttern teilen.
Gergerlioğlu forderte mehrfach getrennte Unterbringung von Müttern mit Kindern
Der Abgeordnete betonte, dass die Inhaftierung von Müttern mit ihren Kindern schwere psychische Schäden anrichte. Er plädierte dafür, zumindest eigene Abteilungen zu schaffen, um den Entwicklungsbedürfnissen der Kinder besser gerecht zu werden. Im Parlament habe er die getrennte Unterbringung der Mütter mit Kindern von anderen Insassen bereits mehrfach gefordert.
Die regierende AKP höre jedoch nicht zu, so Gergerlioğlu, und ignoriere die Situation: „Dies führt zu Familientragödien, bei der sowohl Mütter als auch Kinder Traumata erleben. Wenn wir weinende Mütter und Babys sehen, sind auch wir zutiefst traurig.“
Häufig seien es politische Gefangene, die von der Situation betroffen seien, erwähnte Gergerlioğlu. In diesen Fällen würden meist beide Elternteile inhaftiert. Väter und andere Familienmitglieder würden ihre Kinder jahrelang nicht sehen, bis sie freigelassen würden.
Gülen-Bewegung besonders häufig betroffen
Besonders häufig sind Mütter und Familien betroffen, die der Gülen-Bewegung nahestehen oder dessen verdächtigt werden. Seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 ist die Zahl der inhaftierten Frauen in der Türkei sprunghaft angestiegen, auch solcher mit Kindern. Die regierende AKP und Präsident Recep Tayyip Erdoğan beschuldigen die islamische Freiwilligenbewegung, Drahtzieher des gescheiterten Staatsstreichs zu sein. In der Türkei wird sie trotz ihrer Gewaltlosigkeit als vermeintliche terroristische Bewegung verfolgt.
Der 2024 verstorbene Geistliche Fethullah Gülen, der das Netzwerk gegründet und inspiriert hat, wies schon damals jede Verwicklung in den Putschversuch einer Gruppe von Militärs zurück. Westliche Geheimdienste wie der BND halten die Darstellung, das Hizmet-Netzwerk sei für den Putschversuch verantwortlich, ebenfalls für unwahrscheinlich. Dennoch ist die Bewegung seit Jahr und Tag Ziel einer Hexenjagd in der Türkei.
Auch der Mediziner Ömer Faruk Gergerlioğlu wurde auf der Grundlage von „Antiterror“-Gesetzen 2016 aus dem öffentlichen Dienst entfernt. Ihm wurden Social-Media-Beiträge zur Last gelegt, die eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts in der Südosttürkei forderten. Gergerlioğlu wurde sogar ein Ausreiseverbot auferlegt. Seine Wahl ins Parlament im Jahr 2018 machte dieses jedoch hinfällig.