Connect with us

Film/Kultur/Religion

Zwischen Respekt und Hass: Reaktionen auf den Tod von Fethullah Gülen

Published

on

Spread the love

Der Tod von Fethullah Gülen hat in der Türkei sowie weltweit Beachtung gefunden. Dabei fielen sowohl lobende als auch kritische und menschenverachtende Äußerungen. Die pietätlose Art, wie türkische Politiker und Staatsmedien mit diesem Thema umgehen, verdeutlicht den Zustand der politischen Streitkultur in der Türkei, aber auch, wie sich Gülens Ansehen in der Türkei über die Jahrzehnte verändert hat.

Fethullah Gülen, einst ein angesehener Gelehrter unter der türkischen Elite, genoss großen Respekt. Selbst Künstler und Prominente waren von ihm und seinem weltweit operierenden Netzwerk fasziniert. Sie drückten ihre Bewunderung aus, besuchten Veranstaltungen seiner Hizmet-Bewegung und ließen sich gern positiv über Gülen zitieren. Persönlichkeiten wie der ehemalige türkische Justizminister Bekir Bozdağ, der ehemalige Parlamentspräsident Bülent Arınç oder der renommierte Journalist Fatih Altaylı ließen sich bei Gülens Großveranstaltungen, wie den Türkisch-Olympiaden, ablichten oder betraten gar mit Grußworten die Bühne.

Doch heute sind es genau diese Personen, die das postmortale Anstandsrecht verletzen und hasserfüllte Aussagen machen. So schrieb Bekir Bozdağ auf X: „Sein Platz soll eines der Höllenlöcher sein.“ Dabei nannte Bozdağ Fethullah Gülen einst mit Tränen in den Augen „Hocaefendi“, so wie seine Anhänger ihn bezeichneten. Noch im Parlament der Türkischen Republik sagte Bozdağ: „Fethullah Gülen ist ein Wert dieses Landes, ob ihr ihn mögt oder nicht. Er ist ein wertvoller Mensch, ein Weiser. Er erzieht Generationen, die die nationalen und spirituellen Werte dieses Volkes verinnerlichen.“

Abdurrahman Dilipak: „Werden im Jenseits sehen, ob Gülen lacht oder weint“

In zahlreichen türkischen Social Media-Beiträgen wird dem verstorbenen Gülen die Hölle gewünscht oder sich über seinen Tod lustig gemacht. Doch die islamische Tradition verlangt Respekt gegenüber Toten. Traditionell wird der Koranvers „Von Ihm (Allah) kommen wir und zu Ihm (Allah) kehren wir zurück“ rezitiert oder heutzutage in die Bildunterschrift geschrieben. Das Anstandsrecht einer Person bleibt auch über ihren Tod hinaus bestehen. Diese goldene Regel scheint in der türkischen Gesellschaft nach der Todesnachricht Gülens kaum Beachtung zu finden.

Überraschend menschlich kommentierte hingegen der umstrittene Theologe Abdurrahman Dilipak den Tod Gülens. Auf X schrieb er: „Nun ist Gülen gestorben. İnnâ lillâhi ve innâ ileyhi râciûn. Ob Gülen im Jenseits lachen oder weinen wird, werden wir sehen. Auch diejenigen, die seine Anhänger zum Lachen oder Weinen brachten, werden zur Rechenschaft gezogen.“ Dieser unerwartete Post führte zu heftigen Reaktionen seiner Anhänger, von denen einige ankündigten, Dilipak nicht mehr zu folgen.

Deutsche Presse bezeichnet Gülen als Prediger und Erdoğan-Widersacher

Während die türkische Öffentlichkeit erneut ein schlechtes Beispiel in Bezug auf Menschenrechte und die Würde des Menschen gibt, sind auf internationaler Ebene positive und respektvolle Stimmen in der Mehrheit. Die deutsche Presse berichtet ebenfalls über Gülens Tod und beschreibt ihn als „Prediger“ und „Erzfeind von Erdoğan“. Diese Darstellung findet sich bei der „Tagesschau“, „ZDF heute“, „Die Welt“ und sogar in der „Bild-Zeitung“.

Der türkische Staatssender „TRT“ hingegen schrieb, Gülen sei „verreckt“. Er zeigt Bilder von Gülen in einem gesundheitlich sehr schlechten Zustand, da er in letzter Zeit an schweren inneren Erkrankungen litt. Die deutschen Medien hingegen nutzen meist das Bild Gülens, das nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 entstand, als er eine internationale Untersuchung des Putsches forderte. Er betonte, dass er sich selbst ausliefern würde, wenn die Untersuchung ergeben sollte, dass er hinter dem Putsch stünde. Doch diese Forderung wurde von der türkischen Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan nie ernsthaft in Betracht gezogen.

Enkel von Mahatma Gandhi spricht sein Beileid aus

Es folgen einige weitere Reaktionen zum Tod Gülens. Tushar Gandhi, Enkel des berühmten Mahatma Gandhi, schrieb auf X: „Ruhe in Frieden, Fethullah Gülen, der im Exil von seiner geliebten Heimat verstorben ist. Eine weitere Stimme für den Frieden ist verstummt. Ein Verlust für die Menschheit.“

Die UN-Abgeordnete und Frauenrechtsaktivistin Ranjana Kumari äußerte ihr Beileid: „Möge er in Frieden ruhen, und möge sein Erbe zukünftige Generationen inspirieren.“

Die ehemalige griechische Abgeordnete der Nea-Dimokratia-Partei, Katerina Markou, teilte via Instagram ein Bild von sich mit Gülen. Sie schrieb, dass sie ihn vor zwei Jahren in Pennsylvania besucht habe und ihn als jemanden in Erinnerung behalte, der sich gegen Extremismus eingesetzt und einen friedlichen Islam gepredigt habe. Gülen sei stets gegen die Einmischung des türkischen Militärs in die Politik gewesen.

„Vereint Orthodoxie, Pietismus und Säkularismus“

Der deutsch-schweizerische Islamwissenschaftler Reinhard Schulze schrieb auf X: „Der Tod von Fethullah Gülen (83) in einem amerikanischen Krankenhaus schließt ein Kapitel der türkischen Zeitgeschichte. Gülens Netzwerk, das er mit dem Begriff ‚Hizmet‘ versah, ist ein typisches Produkt türkischer Hybridität und vereint Orthodoxie, Pietismus und Säkularismus. Nicht wenige betrachteten seinen Pietismus als Bigotterie und sahen sein ‚Imperium‘ als eine Art Sektenoligarchie. Erdogans Flirt und spätere Allianz mit dem Nachfolger der Nurculuk-Bewegung endete in einer Staatskrise, die den Weg für den autoritären Wandel der Republik ebnete.“

Der Sozialanthropologe Dr. Rajendran Govender teilte seine Gedanken auf X: „Mit großer Trauer habe ich vom Tod Fethullah Gülens erfahren. Ein Visionär, der meine Arbeit für den Frieden inspiriert hat. Möge er in Frieden ruhen und weitere Generationen inspirieren.“

Auch der ehemalige Großmufti von Ägypten und Mitglied der Gelehrtenvereinigung von Al-Azhar, Prof. Dr. Ali Gouma, veröffentlichte eine Beileidsbekundung für Gülen. Er betonte, dass das grundlegende Prinzip von Gülen die Positivität gewesen sei: „Sein Ziel war es, religiöse, moralische und universelle Werte wiederzubeleben und diese durch Bildung, Dialog und wohltätige Aktivitäten zu verbreiten sowie einen Beitrag zum Weltfrieden zu leisten“, so Gouma.