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Politik

100 Tage im Amt: Şimşek wirbt weiter um Vertrauen – und muss liefern

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Im Fokus: Der türkische Finanzminister Mehmet Şimşek. Foto: picture alliance/Uwe Anspach/dpa
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Angetreten als Reformer und Mann der Vernunft, blickt der neue alte türkische Finanzminister Mehmet Şimşek auf bewegte 100 Tage im Amt zurück. Sein oberstes Ziel: Vertrauen zurückgewinnen. Eine erste Bilanz zeigt jedoch erheblichen Verbesserungsbedarf auf. Mehr Zeit bekommt Şimşek kaum noch. 

Sein neuer Job als Finanzminister ist sein alter: Mehmet Şimşek war bereits zwischen 2009-2015 für die Finanzen der Türkei verantwortlich. Doch das waren andere Zeiten. Sein alter und neuer Chef Recep Tayyip Erdoğan war als Reformer angetreten und hatte sich noch nicht in Zinsexperimente wider allen Expertenmeinungen verrannt. Die Wirtschaft florierte. Doch das ist lange vorbei.

Seit Jahren steckt die Wirtschaft des Landes in der Krise. Die galoppierende Inflation, die historische Schwäche der türkischen Lira und die ausbleibenden Investitionen lasten auf der Türkei. Alles wird nur noch teurer. Da lag es nahe, Şimşek zurück in die Verantwortung zu holen. Seit dem 3. Juni kämpft er nun darum, das Ruder rumzureißen. Sein oberstes Ziel ist es, die hohe Inflation in den Griff zu bekommen.

Şimşek geht auch gegen Widerstände vor

Dafür ist Şimşek bereit, auch gegen Widerstände vorzugehen. So gab er kurzerhand die Politik der Zinssenkungen auf, obwohl sich der türkische Präsident immer wieder für niedrige Zinsen stark gemacht hatte und erhöhte den Leitzins zuletzt um 25 Prozent. Zwar wurde das an den internationalen Finanzmärkten positiv aufgenommen. Das Vertrauen in die Türkei ist aber noch nicht zurück.

Expertinnen und Experten befürworten für einen entschiedenen Kampf gegen die Inflation in der Türkei einen Leitzins von 40 Prozent. Ob Erdoğan, der in der Vergangenheit bei unliebsamen Entscheidungen häufig das Personal an der Spitze der betreffenden Behörden austauschte, das billigen wird, ist fraglich. So wandelt Şimşek beim Thema Zinsen auf einem schmalen Grat.

Şimşek holte ehemalige US-Bankerin zur Zentralbank

Rationalität, die Vertrauen schaffen soll, signalisiert indes Şimşeks Entscheidung, die ehemalige US-Bankerin Hafize Gaye Erkan zur neuen Chefin der türkischen Zentralbank zu machen. Jung, weiblich, kompetent: Sie gilt als absolute Expertin für Währungsfragen und ist an europäischen und amerikanischen Finanzmärkten ein bekanntes Gesicht.

Lira-Krise: Erdoğans geldpolitisches Experiment

Şimşek und Erkan betonen immer wieder, dass der Wandel in der Finanzpolitik des Landes noch Zeit brauche. Vertrauen schaffe man nicht über Nacht. Angesichts der riesigen Herausforderungen, der Weltwirtschaftslage und der sich verschlimmernden Armut im Land, muss Şimşek aber liefern. Denn die reinen Zahlen sprechen gegen ihn.

35 Milliarden US-Dollar vom IWF für die Türkei?

Nach Übernahme des Amts hatte die Inflation bei 38 Prozent gelegen. Offiziellen Angaben zufolge stieg sie zuletzt auf über 58 Prozent. Unabhängige Forscher rechnen sogar mit einer tatsächlichen Teuerung von 128 Prozent. Und auch die Lira gab jüngst wieder nach. Şimşek steht also trotz seines Engagements erheblich unter Druck.

Dass die Weltbank darüber nachdenkt, ihr Engagement auf 35 Milliarden US-Dollar zu verdoppeln, ist für Şimşek eine gute Nachricht. Frisches Geld könnte dazu beitragen, die Wirtschaft des Landes zu stabilisieren. So oder so wird Şimşek im Fokus bleiben. Allerdings ist sein Einfluss ohne wirtschaftliche und politische Reformen in der Türkei begrenzt – und von der Gnade Erdoğans abhängig.