Politik
Türkeibesuch: Merkel will der Türkei Wertschätzung vermitteln
Die Kanzlerin ist auf Mehrfach-Mission in der Türkei. Mit ihrem Besuch will sie dem Land vor allem Wertschätzung vermitteln. Sie lobte in Kahramanmaraş den NATO-Beitrag der Türkei. Am Montag besuchte sie Kulturdenkmäler in Kappadokien. (Foto: aa)
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Kahramanmaraş/Ankara/Göreme – Nein, sagt die Kanzlerin, das hätte sie sich vor zwei Jahren noch nicht vorstellen können, hier einmal zu stehen. Sie wirkt klein vor der riesigen „Patriot“-Abwehrrakete, vor der sie im südtürkischen Kahramanmaraş Position bezieht. Wäre kein NATO-Einsatz mit deutschen Soldaten gegen eine mögliche Gefahr aus dem benachbarten Bürgerkriegsland Syrien der Hintergrund des Fototermins, wäre die Kulisse geradezu malerisch: Eine verschneite Bergkuppe im Hintergrund, ein strahlender Vollmond am Himmel und in der Ferne ein warm beleuchtetes Minarett.
Der syrische Bürgerkrieg mit seinen mehr als 70.000 Toten scheint von Kahramanmaraş aus weit weg zu sein. Die „Patriot“-Abschussrampen sind am Rande der Stadt vor einer gigantischen Bergkulisse postiert. Bis zur Grenze sind es 100 Kilometer, bis in die syrische Hauptstadt Damaskus sogar mehr als 500.
Auch Stabsunteroffizier Ramazan Ü. hätte nie damit gerechnet, dass er irgendwann einmal dienstlich in die Türkei reisen würde. Sonst machte der 25-jährige Bundeswehrsoldat, der türkische Eltern hat, jedes Jahr bei seiner Familie am Schwarzen Meer Urlaub. Jetzt ist er 900 Kilometer davon entfernt in der Operation „Active Fence Turkey“ stationiert. Dem Einsatzort kann er aber durchaus etwas abgewinnen. Ramazan Ü. war auch schon in Afghanistan. Dort habe man jeden Moment mit einer Attacke rechnen müssen, sagte er. „Das ist hier zum Glück nicht der Fall.“
Berlin will mit dem Bundeswehreinsatz der NATO seine Verlässlichkeit demonstrieren
Bundeskanzlerin Merkel lobte bei ihrem Besuch im südtürkischen Kahramanmaraş den NATO-Partner Türkei, der viel für das Militärbündnis getan habe. Nun sei es an der Zeit, etwas zurückzugeben. Es tue gut, um die Sicherheit, Verlässlichkeit, das Vertrauen und das Füreinander einstehen der Bündnispartner zu wissen.
Der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière stattete den in der Türkei stationierten deutschen Soldaten bereits am Wochenende einen Besuch ab und versicherte: „Wenn irgendjemand in Syrien auf dumme Gedanken kommen sollte, steht hier nicht die Türkei oder Deutschland oder die Niederlande, sondern die NATO insgesamt.“ Mit de Maizière besuchten seine niederländische Kollegin Jeanine Hennis-Plasschaert die türkische Stadt Adana und der türkische Verteidigungsminister Ismet Yılmaz das deutsch-niederländisch-amerikanische Kontingent.
Insgesamt sind die „Patriot“-Abwehrstaffeln rund 1.000 Mann stark, darunter befinden sich 300 Bundeswehrsoldaten. Der Kern des Einsatzes in Kahramanmaraş liegt darin, da zu sein und die Augen offen zu halten. „Das ist Verteidigung im alten, besten Sinne des Wortes“, sagt de Maizière. „Wir sind noch Kinder des Kalten Krieges, und der Kalte Krieg lebte von Abschreckung.“ Für die Bundesregierung ist die Mission politisch besonders wichtig. Das Ausscheren aus dem Libyen-Einsatz hatte für viel Unverständnis in der NATO gesorgt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel setzte am Montag ihre Türkeireise fort und besuchte am Morgen das UNESCO-Weltkulturerbe frühchristlicher Kulturdenkmäler in der Region Kappadokien (Foto). In Göreme zeigte sie sich beeindruckt von Höhlenklöstern und gewaltigen Felsformationen.
Gespräche über die EU-Verhandlungen, das deutsche Visarecht und Sicherheitspolitik geplant
Merkel integriert in ihre Auslandsreisen äußerst selten touristische oder kulturelle Ausflüge. Oft bleibt es bei reinen Arbeitsbesuchen. Es scheint, als ob die Kanzlerin ihre Wertschätzung der Türkei auch als Kulturnation ausdrücken wolle. Für das Programm in Göreme wurden 90 Minuten angesetzt. Am Mittag wollte Merkel in Ankara mit der türkischen Staatsspitze zusammenkommen. Geplant sind Gespräche mit dem türkischen Präsidenten Abdullah Gül und Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Themen sollen unter anderem eine deutsche Visa-Erleichterung für Türken und die stockenden Beitrittsgespräche der Türkei mit der Europäischen Union sein.
Die Türkei bemüht sich seit 1987 um eine Aufnahme in die EU. 2005 wurden die offiziellen Verhandlungen aufgenommen, seit drei Jahren stocken sie, weil die Türkei das EU-Mitglied Zypern partout nicht anerkennen will. Das EU-Recht gilt nur im Süden der Insel. Im Norden liegt die nur von der Türkei anerkannte Türkische Republik Nordzypern. Wie der Konflikt gelöst werden kann, steht in den Sternen. Merkel hat kurz vor ihrem Treffen mit der türkischen Staatsspitze an diesem Montag in Ankara nun aber vorgeschlagen, die Verhandlungen zu beschleunigen, indem neue Kapitel erörtert werden. 35 sind es insgesamt, erst 13 wurden eröffnet und nur eines, das zur Wissenschaft, konnte bisher abgeschlossen werden.
Merkel plädierte nun dafür, dass die bereits seit 2005 laufenden Verhandlungen beschleunigt werden. Begleitet wird sie von einer Wirtschaftsdelegation, mit der zusammen sie auch an einem deutsch-türkischen Business Forum teilnehmen wird.
Experten gehen auch davon aus, dass die türkischen Politiker ihren Appell an Deutschland erneuern werden, keine Terrorgruppen in seinen Grenzen zu tolerieren. Der Selbstmordattentäter, der sich vor der US-Botschaft in Ankara in die Luft sprengte, war aus Deutschland eingereist. Außerdem werden den Angaben der türkischen Zeitung „Today’s Zaman“ zufolge auch regionale sicherheitspolitische Themen wie etwa der Syrien-Konflikt, das iranische Atomprogramm und das Verhältnis der Türkei zu Israel diskutiert werden. (dpa/dtj)