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Kolumnen

Erasmus von Istanbul ist zurückgetreten

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Ein Professor, der die Ungebildeten lobt und die Gebildeten zum Problem erklärt – geht das? Ja das geht. Jetzt ist Bülent Arı von seinem Posten als stellvertretender Rektor seiner Universität zurückgetreten. Dabei hat er doch recht.

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Bülent Arı, Professor und stellvertretender Rektor der Sabahattin Zaim-Universität in Istanbul hat seinen Rücktritt erklärt. Er beteuerte, dass er sich als Professor nicht gegen Wissenserwerb stellen könne und dass seine Aussagen fehlerhaft zusammengeschnitten worden seien. Er behauptete gar, die einschlägigen Aufnahmen seien eine Montage. Das klingt glaubwürdig und ist ein kluger Schachzug. Mit dieser Erklärung wurden schon noch eindeutigere Telefonmitschnitte erklärt.

Seit einigen Tagen geht ein Video des Professors durch die sozialen Medien und sorgt für Wut und Spott, in dem Arı während eines Fernsehinterviews seine bildungspolitischen Erkenntnisse zum Besten gibt:

„Ich vertraue auf den Verstand des ungebildeten Volkes. Die Gebildeten sind in der Türkei die Schlimmsten. Das war schon immer so, auch in der Geschichte. Die Gebildeten drängen das Land ins Verderben. Auch im Straßenverkehr sind die Gebildeten und Studierten die Gefährlichsten. Das, was dieses Land am Leben erhalten wird, das sind die Ungebildeten. Je höher die Quote der Studierten und Gebildeten steigt, umso mehr Bedrängnis erfüllt mich. Je ungebildeter die Bevölkerung, desto besser: Jemand mit Grundschulabschluss, sogar ganz ohne Schulabschluss, ist besser als die höher Gebildeten.“

Sind Sie überrascht? Brauchen Sie nicht. In der Tat: Was der Professor sagt, klingt wie ein Lob der Dummheit. Man ist geneigt, ihn den Erasmus von Istanbul zu nennen – in Anlehnung an den großen Humanisten Erasmus von Rotterdam, der ein ironisches Lob an die Torheit schrieb. Nur geht dem Professor dabei die Ironie ab. Doch, wer recht hat, dem muss man das auch zugestehen.

Zählen wir doch einige Fakten auf, die dem Professor recht geben:

Im vergangenen Monat wurde der Bericht einer Kommission im türkischen Parlament bekannt, der schwarz auf weiß belegt: In der Türkei steigt das Risiko der Arbeitslosigkeit, wenn man studiert. Im Gegensatz zu anderen Ländern (wie beispielsweise Deutschland) verbessern sich in der Türkei mit zunehmendem Bildungsgrad die Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht – sie verschlechtern sich. Während die Arbeitslosigkeit im Landesdurchschnitt bei 10,1 Prozent liegt, beträgt sie bei Akademikern 12,1 Prozent. Wäre man herzlos, könnte man sagen: Blöd, wer studiert.

Auch in der Bevölkerung sind die Leute angesehener, die sich nicht Wissen aneignen, sondern Reichtum anhäufen. Hat denn auch nicht die Bevölkerung 2014 einen Recep Tayyip Erdoğan, der keine Fremdsprachen spricht, einem Ekmeleddin İhsanoğlu bevorzugt, der gebildet und polyglott war, also viele Fremdsprachen beherrscht? Hat denn nicht Reza Zarrab, der nie studiert hat, bei der Korruptionsaffäre vom Dezember 2013 mehr Gewicht gehabt als all die studierten Staatsanwälte und Richter?

Nein, der Herr Rektor hat schon recht. Er drückt eine allgemeine Haltung im konservativen Bevölkerungssegment der türkischen Gesellschaft aus, das Intellektuelle immer als verwestlicht und den eigenen Werten entfremdet empfand. Für sie sind die Intellektuellen mit ihren Zwischentönen, Bedenken und  ihrem Empathiequatsch einfach nur Störenfriede.

Man muss an dieser Stelle aber auch dem Staat berechtigte Vorwürfe machen. Die Misere ist zum größten Teil hausgemacht. Wieso leistet sich das Land eigentlich ein Nationales Bildungsministerium? Muss man die Sache durch staatliche Programme noch verschlimmern? Am Anfang der türkischen Republik, im Jahr 1927, wurde noch eine stolze Analphabetenrate von 89,5 Prozent festgestellt. Seitdem sank diese Rate – auch verschuldet durch falsche staatliche Bildungspolitik – auf 15 Prozent. Mit anderen Worten:  Heute können 85 Prozent der Türken lesen und schreiben und noch mehr. Sie gehören also zur problematischen Schicht.

Wenn keine Kehrtwende stattfindet, wird es noch schlimmer kommen: Wie soll dann die Türkei die ’Kabuler Kriterien’ erreichen? Wie soll das Land in Sachen Unrechtsstaatlichkeit und Gleichberechtigung von Mann und Männern mit seinen östlichen und südlichen Nachbarn Schritt halten? Man kann von Glück reden, dass die Saudis und Kataris die Türkei noch als mehr oder weniger gleichberechtigten Partner auf Augenhöhe akzeptieren. Den Taliban in Afghanistan aber wird das definitiv nicht reichen.

Nein, der Professor hat schon recht. Trotzdem hat die Sache einen Haken: Wieso muss diese Erkenntnis von einem Professor ausgedrückt werden? Er selber gehört ja zur problematischen Bildungsschicht. Wie soll man einem Professor, der zudem zum stellvertretenden Rektor aufgestiegen ist, Glauben schenken?

Es wäre passender gewesen, wenn diese Erkenntnis von einer türkischen Historikerin M.A.Gd. (mit anatolischem Grundschuldiplom) der Alten, Mittleren, Neuen und Neuesten Geschichte mit dem Spezialgebiet Harem verbreitet worden wäre.