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Menschenrechte

Mehr als ein Tod: Yusuf Kerim schließt mit sechs Jahren für immer die Augen

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Der krebskranke Yusuf Kerim ist nach Angaben seines Vaters am 2. Oktober gestorben. Trotz schwerer Krankheit musste er den Großteil seiner Krankheit ohne seine Mutter durchstehen. Collage: DTJ
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Gülten und Süleyman Sayın durchleben die Hölle auf Erden. Was damit gemeint ist, wissen alle, die den tragischen Fall des kleinen Yusuf Kerim mitverfolgt haben.

Yusuf Kerim Sayın war erst sechs Jahre alt. Wegen Krebs im Endstadium hatten ihm Ärzte eine geringe Überlebenschance diagnostiziert. Doch der Schmerz des kleinen Jungen sollte durch sein zusätzlich schweres Schicksal verstärkt werden. Denn seine Mutter, die er als kleiner Junge ohnehin und jederzeit gebraucht hätte, gehörte zu den Zehntausenden türkischer Frauen und Männern, die wegen einer tatsächlichen oder vermeintlichen Mitgliedschaft zu der Gülen-Bewegung inhaftiert wurden. So musste der kleine Yusuf Kerim seine schwere Krankheit in Abwesenheit seiner wichtigsten Bezugsperson durchleiden. Internationale Reichweite bekam sein Fall durch ein Video, das sein Vater per Twitter verbreitete.

Kleiner Glücksfall in tristen Zeiten: Trauer von Yusuf Kerim ging viral

Süleyman Sayın hatte es im Krankenhaus aufgezeichnet, wo man seinen Sohn weinen sah. Er rief nach seiner Mutter, die er unendlich vermisste. So, wie jedes Kind eigentlich. Nur war er mit dieser tödlichen und absorbierenden Krankheit zusätzlich belastet. Dieses kaum zu ertragende Video löste eine Welle der Solidarität aus, wonach tatsächlich ein kleines Wunder geschah. Mutter Gülten wurde am 18. April 2023 auf Grundlage eines Strafaufschubs zu ihrem kleinen Engel gelassen. So konnte Yusuf Kerim sie endlich in seine Arme schließen. Doch diese Zeit währte nicht allzu lange. Gestern wurde bekannt, dass Yusuf Kerims Krebsleiden ein Ende hat und er für immer seine Augen geschlossen hat.

Welchen Schmerz seine Eltern Gülten und Süleyman Sayın nun erleben müssen, ist nicht in Worte zu fassen. Generell zählt der Verlust eines geliebten Menschen zu den größten Schmerzen, die es auf dieser Welt gibt, insbesondere dann, wenn es sich um das eigene Kind handelt. Doch die besonderen Umstände in diesem Fall können nicht außer Acht gelassen werden. Auf Twitter löste die Nachricht vom Tode Yusuf Kerims ebenjene Solidaritätswelle aus, die es bereits nach dem oben erwähnten Video gab. So schrieb beispielsweise Mustafa Yeneroğlu von der DEVA-Partei: „Ich bin sehr traurig… Yusuf Kerim hat als ein unmittelbarer Zeuge der Dramen in unserem Land diese Welt verlassen… Möge seine Seele Frieden finden und seine Familie Geduld.“

Yusuf Kerim kein Einzelfall: Wie konnte die Türkei zu so einem Land werden?

Die selbst seit Jahren unter der Tortur der türkischen Regierung leidende Gewerkschafterin Acun Karadağ schrieb via Twitter, dass sie Yusuf Kerim sowie seine verzweifelten Rufe nach seiner Mutter nicht vergessen werde. “Ebenso werden wir diese Dunkelheit, die ihm viele Monate seine Mutter genommen hat, nicht vergessen!“, so Karadağ. Der Abgeordnete und Menschenrechtsaktivist Ömer Faruk Gergerlioğlu twitterte: “Wir haben das Kind mit dem wunderschönen Lächeln verloren. Wir konnten Yusuf Kerim nicht retten. Er ist heute gestorben.“ Die Kardiologin Prof. Dr. Bengi Başer fasste seinen Fall so zusammen: „In dein so kurzes Leben hat ein so großer Schmerz hineingepasst #YusufKerim… Schlafe in Frieden… Ich würde jetzt sagen, schlafe und werde groß, aber tote Kinder wachsen nicht…“

Schon 2020 berichtete dieses Portal über einen ähnlichen Fall, jenen von Ahmet Burhan Ataç. Auch sein Leiden war groß. Obwohl erst acht Jahre alt, kämpfte er gegen Knochenkrebs. Sein Vater wurde nach dem Putschversuch wegen Verbindungen zur pauschal als Terrororganisation verklärten Gülen-Bewegung inhaftiert. Und auch gegen die Mutter wurde und wird wegen ihrer Nähe zur Bewegung ermittelt. Deshalb bekam sie eine Ausreisesperre auferlegt. Ahmet musste aber für die Behandlung dringend nach Deutschland, wo er in Köln behandelt werden sollte.

Ahmet wollte ein letztes Mal seinen Vater sehen

Es war ein langes Hin und Her um die Ausreiseerlaubnis von Zekiye Ataç. Erst wurde der Frau die Ausreise aus der Türkei nicht erlaubt, weil gegen sie ermittelt wurde. Dann hob die Staatsanwaltschaft auf Drängen der Öffentlichkeit die Ausreisesperre auf. Nur einen Tag später aber wurde diese Entscheidung erneut widerrufen. Doch anscheinend war es ohnehin alles zu spät. Der behandelnde Arzt in Köln diagnostizierte nach Angaben der Mutter weitere Tumore. Außerdem habe der Junge gebrochene Knochen und die Blutwerte seien schlecht. Deshalb habe der Arzt eine OP abgelehnt. Für die Mutter brach eine Welt zusammen.

Sowohl die Krankheiten als auch die schwere Sehnsucht der Kinder nach ihren Elternteilen sind sich sehr ähnlich. Man kann von einer Systematik des Grauens sprechen, die die Regierung um Präsident Recep Tayyip Erdoğan zur Schau stellt. Ahmet wollte, wie Yusuf Kerim im Falle seiner Mutter, unbedingt seinen inhaftierten Vater sehen. Doch dies wurde ihm verwehrt. Die Gefängnisleitung erteilte ihm keine Erlaubnis, ins Krankenhaus zu fahren. Dass die Gülen-Bewegung in der Türkei längst zerschlagen wurde und es politisch kaum noch Gründe gibt, diese Grausamkeit fortzuführen, zeigt eines. Erdoğan und seine Anhänger haben ein grundsätzlich menschenfeindliches Weltbild, das sogar das Leben von unschuldigen Kindern zerstört.