Menschenrechte
Niederländischer Bericht: Türkei verfolgt weiterhin Gülen-Anhänger
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Ein aktueller Bericht des niederländischen Justizministeriums dokumentiert die Verfolgung mutmaßlicher Anhänger der Gülen-Bewegung in der Türkei. Trotz internationaler Kritik setzt die türkische Regierung ihre repressiven Maßnahmen fort – von Massenverhaftungen bis hin zu Entführungen ins Ausland.
In einem jüngst veröffentlichten Bericht hat das Justizministerium der Niederlande die anhaltende Verfolgung von Angehörigen der Hizmet-Bewegung in der Türkei, die besser als Gülen-Bewegung bekannt ist, dokumentiert. Das Dokument ist in Auftrag gegeben worden, um den zuständigen Behörden Orientierung im Umgang mit Asylsuchenden aus der Türkei zu geben.
Die Untersuchung bezieht sich auf einen Zeitraum von September 2023 bis Februar 2025. Dabei dokumentiert sie eine nach wie vor ungebrochene Verfolgung des religiösen Netzwerks, dessen Schwerpunkte eigenen Angaben zufolge gesellschaftliches Engagement, Bildungsarbeit und Medienschaffen bilden. Auch das Ableben des zuletzt in den USA lebenden Gründers Fethullah Gülen habe nichts an der Lage angeblicher oder tatsächlicher Angehöriger des Netzwerks geändert.
Gülen-Anhänger müssen mit jederzeitigen Verfolgungshandlungen rechnen
Der Bericht spricht von anhaltenden Verhaftungen, strafrechtlichen Verfolgungen und einer systematischen gesellschaftlichen Ausgrenzung von Menschen, der eine Nähe zum Gülen-Netzwerk vorgeworfen wird. Anders als die Bewegung selbst sieht die türkische Regierung in ihr nämlich eine gefährliche Organisation. Zwar sei die Zahl der Verfolgungshandlungen durch Polizei und Justiz gegenüber den Jahren unmittelbar nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 zurückgegangen. Der Druck auf mutmaßliche Gülen-Sympathisanten bleibe jedoch aufrecht.
Die Türkei macht die Bewegung nämlich für jenen Putschversuch verantwortlich, bei dem mehr als 250 Menschen starben. Nachgewiesen ist lediglich, dass es eine Gruppe von Armeeangehörigen war, die am Versuch beteiligt war, die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu stürzen. Fethullah Gülen und namhafte Vertreter von Hizmet haben jedwede Beteiligung bestritten.
Tatsächlich ist der wahre Einfluss von Anhängern des Predigers in den Streitkräften nicht zweifellos geklärt – immerhin war eine religiöse Lebenseinstellung über Jahrzehnte hinweg dort ein Karrierehindernis. Auch ausländische Geheimdienste wie der BND bezweifeln die Existenz einer „Fethullahistischen Terrororganisation“ (FETÖ) und deren Beteiligung am Putschversuch. Der angebliche, von Gülen ins Leben gerufene „Parallelstaat“, der die Institutionen der Türkei unterwandert haben soll, um selbst die Macht zu ergreifen, wurde durch die Regierung Erdoğan seit den Korruptionsermittlungen von 2013 jedoch zum universalen Sündenbock erklärt.
Verwendung eines Messenger-Dienstes als angeblicher Beweis für Straftaten
Der Bericht des niederländischen Justizministeriums geht unter anderem auf Massenverhaftungen angeblicher Gülen-Anhänger im Oktober 2023 ein. Damals wurden landesweit 611 Menschen vor allem dafür festgenommen, dass sie eine App namens ByLock verwendet hätten. Die verschlüsselte Messaging-App sei, so der Vorwurf, eigens und ausschließlich für die Kommunikation innerhalb der Bewegung entwickelt worden.
Der Bericht spricht zudem von insgesamt 1.824 wegen „Gülen-Verdachts“ festgenommenen Personen in 27 Einsätzen zwischen Januar und Oktober 2024. Allein im Dezember 2023 habe die türkische Regierung 445 Polizisten aus dem gleichen Grund suspendiert – obwohl es ohnehin schon nach 2013 groß angelegte Säuberungen mit mehreren hunderttausend Betroffenen gegeben hatte.
Türkei ignoriert EGMR-Urteil – und lässt angebliche Gülen-Anhänger aus dem Ausland entführen
Das niederländische Justizministerium geht von einer zweifelhaften juristischen Grundlage des Vorgehens gegen vermeintliche oder tatsächliche Hizmet-Angehörige aus. Außerdem missachte man grundlegende Regeln des Rechtsstaats. Noch im Jahr 2023 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Eilverfahren die Heranziehung von ByLock-Nachrichten und Bankverbindungen als Beweise für kriminelle Handlungen für unzulässig erklärt.
Wegweisendes Urteil: Tausende Türken wegen ByLock-Nutzung zu Unrecht bestraft
Allerdings hatte Justizminister Yılmaz Tunç angekündigt, das EGMR-Urteil ignorieren zu wollen – und das mit Erdoğan-treuen Richtern bestückte türkische Verfassungsgericht hat ihn dazu autorisiert. Der niederländische Bericht prangert auch die Praxis türkischer Geheimdienste an, angebliche Gülen-Anhänger im Ausland zu entführen und gegen ihren Willen in die Türkei zu bringen. Dabei bezog er sich auch auf einen Bericht der „Washington Post“ vom Dezember 2024, der Fälle dieser Art aus Kenia und aus Algerien dokumentierte.
Weitere Fälle sind unter anderem aus dem Kosovo oder aus Kasachstan bekannt. Insgesamt habe es in den vergangenen zehn Jahren 118 Fälle von Verschleppung gegeben. Zudem eigne sich die türkische Regierung die Infrastruktur zahlreicher Gülen-Projekte an. So sorgte Druck aus Ankara jüngst dafür, dass in Kirgisistan sämtliche Gülen-nahe Schulen in die Kontrolle der türkischen Maarif-Stiftung übertragen wurden.
Im wirtschaftlichen und sozialen Leben wie Aussätzige behandelt
Der Bericht ging außerdem auf Praktiken einer sozialen Ausgrenzung und Stigmatisierung angeblicher Gülen-Anhänger ein, die deren wirtschaftliche Existenz zerstörten. So führe die Sozialversicherungsbehörde SGK eine „Schwarze Liste“. Diese mache es Arbeitgebern möglich, zu erkennen, wer ab 2016 aus dem Staatsdienst entlassen worden sei. Die gesellschaftliche Ausgrenzung und Repression treffe selbst Familienangehörige. So sei die 78-jährige Mutter des Unternehmers Akın İpek, der als Gülen-nah gilt, aus fadenscheinigen Gründen verhaftet worden.
Was Unternehmern geschehen kann, die Menschen eine Chance geben, die nach dem Putschversuch aus dem Staatsdienst entlassen wurden, zeigt das jüngste Vorgehen gegen die Dönerkette Maydonoz. In diesem Zusammenhang wurden 353 Menschen verhaftet, 126 sitzen nach wie vor in Haft. Das erfolgreiche Unternehmen mit mehr als 400 Filialen in der Türkei und weiteren in mehreren europäischen Ländern wurde mittlerweile unter Zwangsverwaltung gestellt.
Der Bericht des niederländischen Justizministeriums macht deutlich, dass mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung auch fast ein Jahrzehnt nach dem gescheiterten Putschversuch massiven staatlichen Repressionen ausgesetzt sind. Nicht die individuelle Schuld, sollte sie vorliegen, wird als maßgeblich für eine Verurteilung zugrunde gelegt. Trotz internationaler Kritik zeigt die türkische Regierung keine Anzeichen dafür, ihren repressiven Kurs zu ändern.