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Politik

„Erdoğans Bündnis verspricht nichts Gutes für die Türkei“

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Wohin steuert die Türkei? Nach seiner Wiederwahl warten politische Mammutaufgaben auf den türkischen Präsidenten. Im dtj-Interview zeichnet der Essener Politologe Prof. Dr. Burak Çopur ein düsteres Bild für die Türkei.

Herr Çopur, die Wahl ist entschieden. Erdoğan bleibt im Amt. Wie bewerten Sie den erneuten Sieg des alten und neuen Präsidenten?

Die Wahl hat gezeigt, dass Ideologie, Identität und Sicherheit in der Türkei wichtiger gewertet werden, als Ökonomie und Demokratie. Eine Mehrheit der türkischen Wählerinnen und Wähler schätzen die Gefahren für die innere Sicherheit des Landes höher ein, als die aktuelle Demokratie- und Wirtschaftskrise. Darin zeigt sich wieder einmal: Krisenzeiten sind Kanzlerzeiten. Denn besonders in einem Klima der Angst und Unsicherheit – und das gilt übrigens auch für die Erdbeben-Gebiete – kann Erdoğan traditionell punkten. Auch mit seiner Schmutzkampagne gegen die Opposition, die sie in die Nähe des Terrorismus rückte, war er überaus erfolgreich.

Beide Kandidaten spielten im Wahlkampf die nationalistische Karte, um Wähler:innen zu mobilisieren. Kommt es nun zu einem Rechtsruck in der Türkei?

Ja, aber zu einem noch stärkeren Rechtsruck als es bisher schon der Fall war. Das zeigen die Parlaments- wie Präsidentschaftswahlen gleichermaßen. Insbesondere die Minderheiten, wie die Kurden, die Aleviten und LGBT+-Bewegung, werden künftig einem noch größeren gesellschaftlichen und politischen Druck ausgesetzt sein. Im Parlament sitzen nun gut 400 Abgeordnete, die politisch im rechten Lager, darunter auch viele Oppositionspolitiker, zu verorten sind – von islamisch-konservativen über (radikal)-islamistische bis hin zu rechtsextremistischen Politikern ist alles dabei. Damit rückt die Lösung gesellschaftspolitischer Probleme wie die Kurdenfrage oder die Gleichstellung von Mann und Frau in weite Ferne. Auch Erdoğans Bündnis verspricht nichts Gutes für Demokratie und Rechtsstaat in der Türkei.

„Mit Polarisierung sichert Erdoğan seine Macht“

Gegenseitige Vorwürfe, Fake News und harte Rhetorik gegen politische Gegner:innen: Der Wahlkampf wurde hitzig geführt. Die politischen Lager sind gespalten. Kommt die Türkei nach der Stichwahl zur Ruhe oder verschärft sich der soziale Unfrieden? Was ist Ihre Einschätzung?

Die gesellschaftliche Polarisierung besteht ja schon seit längerer Zeit. Das ist keine neue Erkenntnis. Aber es ist genau das, was Erdoğan will. Sie hilft dabei, seine Reihen weiter zu schließen. So kann er seine Macht erhalten. Weitere Konflikte sind vorprogrammiert. Und bei einer solchen nationalen Hysterie ist im Übrigen nicht davon auszugehen, dass Präsident Erdoğan eine friedliche Außenpolitik betreiben wird.

Bleiben wir gern beim Thema Außenpolitik. Was bedeutet Erdoğans Wahlsieg für die Region – und die internationalen Beziehungen der Türkei?

Erdoğan wird weiter den machiavellistischen Machtpolitiker in der Außenpolitik spielen und viel auf Konfrontation und Erpressung setzen. Er lebt ja geradezu als Politiker von der Spannung und den Konflikten. Damit hat er bisher die meisten seiner Ziele erreicht. Durch diese opportunistische Machtpolitik wird er in der Außenpolitik auch weiterhin versuchen, seine Interessen durchzusetzen.

„Erdoğan ist auf ausländisches Kapital angewiesen“

Die türkische Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise und der Wert der Lira verfällt – nicht zuletzt wegen Erdoğans verfehlter Wirtschaftspolitik. Was droht der türkischen Wirtschaft nun?

Wenn Erdoğan weiterhin nicht von seiner sturen Niedrigzinspolitik ablässt, die Währung verfällt, Inflation weiter steigt und kein frisches Kapital ins Land kommt, dann ist durchaus davon auszugehen, dass sich die Wirtschaftskrise noch weiter verschärfen wird. Das könnte auch eine weitere Abwertung der Lira zur Folge haben. Hinzu kommt: Die Türkei ist mit fast 500 Milliarden US-Dollar haushoch verschuldet.

Wahlkampf in der Türkei: Gemeinsam gegen Flüchtlinge

Daraus resultiert ein enormes Haushaltsdefizit. Die Staatskassen sind leer. Das heißt: Der türkische Präsident ist auf ausländisches Kapital angewiesen und könnte aus reinem Pragmatismus einen Schritt auf Europa zugehen. Dass der türkische Staat pleite und Erdoğan unter wirtschaftlichen Druck ist, das hat vermutlich auch Bundeskanzler Scholz erkannt und ihn umgehend nach Berlin eingeladen, um mit ihm über deutsche Interessen wie zum Beispiel die Flüchtlingsfrage zu sprechen.

Letzte Frage: Der Konflikt zwischen der türkischen Zentralregierung und den Kurden ist so alt wie die moderne Türkei selbst. Wie geht es nach dem Wahlausgang mit der größten Minderheit des Landes weiter? Ist eine Lösung des Konflikts unter Erdoğan überhaupt vorstellbar?

Nein. Eine Lösung des Kurdenkonflikts unter Erdoğan und mit dieser Parlamentszusammensetzung ist kaum vorstellbar. Erdoğan wird weiterhin versuchen, die PKK mit militärischen Mitteln zu besiegen und durch eine weitere Kriminalisierung der HDP und der Kurden viele von ihnen in die Arme der PKK treiben. Gewalt erzeugt Gegengewalt, das ist ein Teufelskreis, aus dem die Türkei leider seit Jahrzehnten nicht herauskommt und auch deshalb als Staat international nicht vorankommt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Professor Burak Çopur ist promovierter Politikwissenschaftler, Türkei-Experte und Migrationsforscher. Er leitet das Zentrum für Radikalisierungsforschung und Prävention an der IU Internationalen Hochschule in Essen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner:innen geben deren eigene Auffassungen wieder.

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