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Gesellschaft

HDP: Kurden, Demokratie – und der allgegenwärtige Terrorverdacht

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Die HDP setzt sich für die Rechte von Minderheiten ein. Besonders die Kurden nimmt sie in den Fokus. Das sorgt nicht selten für fatale Verdächtigungen. Von Putsch und Terror ist die Rede. Was will die Partei aber wirklich?

Die „Demokratische Partei der Völker“ (türkisch: Halkların Demokratik Partisi, kurz: HDP) versteht sich selbst als linke und progressive Kraft, für die gesamte Türkei. Wahrgenommen wird sie jedoch als kurdische Klientelpartei. Und das hat seit ihrer Gründung 2012 Folgen für ihre Mitglieder.

Erstmalig landesweite Bedeutung erlangte die HPD beim Zusammenschluss mit der „Partei des Friedens und der Demokratie“ (türkisch: Barış ve Demokrasi Partisi, kurz: BDP) 2014. BDP und HDP bündelten unterschiedliche linke, sozialistische und westlich orientierte Gruppierungen.

Start als neuformierte HDP misslang

Jenseits der kurdischen Siedlungsgebiete in Süd- und Südostanatolien schafften es beide Parteien zuvor nicht, landesweit Wählerschichten zu erreichen. Gemeinsam bemühten sie sich seither in der gesamten Türkei – und nicht mehr als dezidierte kurdische Partei – bei den Wählern zu punkten.

Der gemeinsame Start als neu formierte HDP misslang allerdings gehörig. Bei den Kommunalwahlen im März 2014 kam die Partei auf lediglich 6,2 Prozent. Doch ein Jahr später schaffte sie Historisches. Im Juni 2015 zog die HDP mit 13,1 Prozentpunkten als erste prokurdische Partei direkt ins Parlament ein – mit 80 Mandaten; auch an der MHP vorbei.

Ermittlungen wegen vermeintlicher PKK-Nähe

Doch dieser Erfolg währte nicht lang. Bei den Neuwahlen im November 2015 fiel sie auf 10,8 Prozent zurück. Mit nur noch 59 Mandaten war die HDP erneut im Parlament. Für den Wählerschwund machen Politologen die Partei indes selbst verantwortlich, da sie sich nicht eindeutig von der kurdischen Terrororganisation PKK distanzierte.

Diese Unfähigkeit prägt das Bild der HDP bis heute. Zwar etablierte sie sich in der Folge als gefestigte Kraft in Parlamenten, Städten und Kommunen. Die vermeintliche PKK-Nähe machte sie zum Ziel der Regierung. Bereits 2016 entzog das Parlament 50 HDP-Abgeordneten die Immunität. Gegen sie laufen Prozesse wegen Terror-Unterstützung.

Der Fall Selahattin Demirtaş

Ihr ehemaliger Co-Vorsitzender Selahattin Demirtaş ist seit November 2016 in Haft, obwohl das türkische Verfassungsgericht seine Inhaftierung als rechtswidrig eingestuft hat. Er ist mit dem Kulturmäzen Osman Kavala gemeinsam eines der prominentesten Opfer der repressiven türkischen Justiz. Sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte forderte die sofortige Freilassung des Politikers.

Immer wieder wird die Partei mit Anschlägen und Verschwörungen in Verbindung gebracht. In den vergangenen Monaten geriet die Partei selbst ins Kreuzfeuer: Im Dezember 2021 griff ein radikaler HDP-Gegner das Parteibüro in Istanbul an und verletzt zwei Menschen. Ein halbes Jahr zuvor wurde eine Mitarbeiterin in Izmir getötet.

Erdoğan wettert persönlich gegen HDP

Sogar Recep Tayyip Erdoğan persönlich griff die HDP nach einem mutmaßlichen PKK-Anschlag in der Hafenstadt Mersin im September 2022 an (DTJ-Online berichtete). „Wer nutzt die beiden Terroristen-Frauen aus, diese bekannte Partei im Parlament“, sagte er unmissverständlich.

HDP – Hoffnungsträger oder „Terrorpartei“?

2023 folgte dann die nächste Offensive: Das türkische Verfassungsgericht blockierte im Januar die Bankkonten der prokurdischen Partei HDP, auf denen sich Staatsgelder in Höhe von umgerechnet etwa 27 Millionen Euro für den Wahlkampf befinden sollen. Vergangene Woche wurde diese Entscheidung allerdings wieder aufgehoben. Beobachter erwarten dennoch ein baldiges Verbot der Partei. Mit Blick auf die Wahlen am 14. Mai überlegt die HDP deshalb schon, eine Kooperation einzugehen, um so einem Verbot zuvorzukommen.

Repressionen, Inhaftierungen und Diskreditierungen

Das Erdbeben im Südosten der Türkei trifft auch die dort ansässige kurdische Minderheit heftig. In Diyarbakır zum Beispiel, wo der 2019 gewählte Bürgermeister aus fadenscheinigen Gründen hinter Gittern sitzt, kümmert sich nun ein Zwangsverwalter aus Ankara federführend um die Aufräumarbeiten.

Korruption und Katastrophe: Wie viel Schuld trägt Erdoğan wirklich?

Der HDP-Parlamentsabgeordnete und ehemalige Parteivorsitzende Sezai Temelli kritisierte die Stadtverwaltung nach dem Beben: „Sie hat nichts getan und tut immer noch nichts. Die Leute helfen sich gegenseitig und schlagen sich so durch.“ Vielerorts wächst der Unmut der HDP-Sympathisanten über das Krisenmanagement und die Erdbebenprävention der AKP-Regierung.

Repressionen, Inhaftierungen und Diskreditierungen: Bei einem HDP-Verbot würde Erdoğan rechtzeitig vor der im Mai stattfindenden Wahl einen wichtigen politischen Gegner kaltstellen. Einer weniger, gegen den er sich behaupten müsste. Wie er auf eine Kooperation oder eventuelle Neugründung reagieren wird, bleibt abzuwarten.

Türken im Ausland: Datum für Stimmenabgabe steht fest

Türkei-Wahlen 2023: DTJ-Online nimmt in den kommenden Wochen die türkischen Parteien unter die Lupe. Und klärt die wichtigsten Fragen: Welche Parteien prägen das Land? Wer bestimmt die türkische Politik? Wofür stehen die Parteien und was sind ihre Besonderheiten?

Hier die weiteren, bisher erschienenen Beiträge:

Die CHP vor den Türkei-Wahlen: Gelingt der Überraschungscoup? (9. März 2023)

AKP nach 21 Jahren an der Macht auf dem Weg in die „alte Türkei“ (23. März 2023)

Junior-Partner Erdoğans: Die Rolle der MHP bei den Wahlen (30. März 2023)

Türkei-Wahlen 2023: İyi-Parteichefin Akşener weiß sich in Szene zu setzen (8. April 2023)

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