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Politik

Türkei-Wahlen 2023: İyi-Parteichefin Akşener weiß sich in Szene zu setzen

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Die İyi Parti ist noch gar nicht so alt, spielt in der türkischen Politik aber durchaus eine gewichtige Rolle. Kurz vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stellt sich die Frage, ob sie gemeinsam mit anderen Verbündeten einen Machtwechsel im Land einleiten kann. Zuletzt sorgte ihre Vorsitzende mehr als einmal für viel Wirbel.

Es ist der 3. März 2023, die Türkei steht nach wie vor und verständlicherweise unter Schock angesichts der Erdbebenkatastrophe, die das Land am Morgen des 6. Februar erfasste. Doch parallel laufen die Vorbereitungen auf die Wahlen, die voraussichtlich am 14. Mai stattfinden sollen. Zwar gibt es vereinzelt Diskussionen, ob sie verschoben werden. Doch so recht glaubt niemand daran.

Seit zwei Jahrzehnten ist die AKP an der Macht und die notorisch schwache Opposition hofft darauf, sie endlich abzulösen. Angesichts der schieren Übermacht des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan hat sie bereits vor den Wahlen ein Bündnis gebildet. Man will die Stimmenpotenziale der beteiligten sechs Parteien bündeln, um die Chance zu erhöhen, den Präsidenten zu stürzen. Diese Hoffnung lässt eine der Bündnisparteien an jenem Märztag jäh platzen: Es ist die İyi-Partei, um die es in diesem Beitrag geht.

Akşener geht „all in“: Gewinnt sie auch viel?

Der sogenannte Sechser-Tisch, der seinen Namen den sechs beteiligten Parteien verdankt, ist plötzlich gesprengt, das Image der schwachen und nicht an einem Strang ziehenden Opposition scheint sich mal wieder zu bestätigen. Der seit Tagen schwelende Streit entzündet sich an der Frage, wer als Kandidat des Bündnisses gegen Erdoğan antreten soll. Kemal Kılıçdaroğlu (CHP) gilt als aussichtsreich, doch İyi-Parteichefin Meral Akşener befürchtet, dass dieser nicht ausreichend Stimmen auf sich vereinigen kann. Sie plädiert stattdessen für die in Umfragen besser abschneidenden Ekrem İmamoğlu oder Mansur Yavaş, beide ebenfalls von der CHP.

Die Fronten sind verhärtet, im Regierungslager macht sich Häme und Spott breit. Besonders die MHP, die ehemalige Partei von Akşener, macht sich über die einstige Mitstreiterin lustig. Die Menschen, vor allem jene, die unentschlossen sind, fragen sich, wie ein Bündnis die Türkei regieren will, wenn es sich schon intern nicht einig wird. Doch nach nur drei Tagen, vielen Gesprächen und Verhandlungen erfolgt die Rolle rückwärts. Die İyi kehrt an den Sechser-Tisch zurück und erklärt sich mit Kılıçdaroğlu einverstanden. Es wird auch ein Kompromiss gefunden: İmamoğlu und Yavaş sollen den CHP-Chef im Wahlkampf flankieren und im Falle eines Wahlsiegs zu dessen Stellvertretern ernannt werden.

Mittlerweile ist klar: Die Wahlen finden definitiv am 14. Mai 2023 statt. Und auch die Kandidatenfrage ist unwiderruflich geklärt. Neben Erdoğan werden Kılıçdaroğlu, Muharrem İnce und Sinan Oğan um die Stimmen der türkischen Bevölkerung für das höchste Amt im Staat buhlen.

Schüsse auf Parteibüro, Brandrede mit Munition

Dass der Wahlkampf in der Türkei für gewöhnlich seltsame und abenteuerliche Blüten treibt, ist hinlänglich bekannt. Eine Meldung, wonach Stunden nach konkreten Drohungen des Präsidenten gegen eine Parteichefin Schüsse auf ein Istanbuler Büro ihrer Partei abgegeben werden, verwundert wenn überhaupt im Ausland. Dass die Behörden die Schüsse allen Ernstes auf einen Security-Mitarbeiter zurückführten, der einen Diebstahl habe verhindern wollen, sorgte für Kopfschütteln und Sarkasmus in der Opposition, insbesondere in der İyi-Partei, deren Büro beschossen worden war. Wer in einem Geflecht aus höriger Justiz, Hofberichterstattung und Propaganda etwas anderes als diese hanebüchene Erklärung erwartet hatte, der oder dem darf man getrost zurufen: Wach endlich AUF!

Schüsse auf İyi-Parteibüro: Akşener beschuldigt Erdoğan

Mit diesem Slogan kann man auch die Brandrede betiteln, die Akşener in dieser Woche vor ihren Parteigenossinen und Parteigenossen hielt. Mit reichlich Pathos und einer ordentlichen Prise mystischem Türkentum schwor sie die Zuhörenden auf die entscheidenden Wochen vor der Wahl ein. Eine Kostprobe gefällig? „Wir kommen, um die Mauern einzureißen, hinter die die türkische Nation eingesperrt wurde. Die Mauern der Unterdrückung, die des Grauens. Wir kommen, um die Fußfesseln zu sprengen, die der Nation angelegt wurden.“ In Anlehnung an den Vorfall von Istanbul nahm sie immer wieder Patronenkugeln in die Hand und betonte, dass weder sie noch ihre Partei sich fürchteten. Mit etwas Fantasie erinnerte Akşener mit ihrem Auftritt an die Sportpalastrede von Joseph Goebbels („Wollt ihr den totalen Krieg?“).

Vor- und Nachteil: Partei spricht (zu) viele Milieus an

Besonders an der Partei ist nicht nur, dass sie von einer charismatischen Frau angeführt wird, sondern auch, dass es sich um eine Abspaltung von der MHP handelt, dem jetzigen Junior-Partner Erdoğans. Durch diesen Bruch hat die ultranationalistische MHP viele Stimmen verloren. İyi steht ebenfalls für Nationalismus wie in der erwähnten Brandrede der Vorsitzenden deutlich wurde, doch sie spricht auch säkulare und religiöse Türken an. Sie hat damit durchaus Potenzial, der AKP einige Wählerinnen und Wähler streitig zu machen – aber auch entscheidende?

Akşener ist in den letzten Wochen sichtlich bemüht, nach ihrem Hin und Her am „Sechser-Tisch“ die Reihen rechtzeitig zu schließen. Ob ihre riskante Taktik von Erfolg gekrönt sein wird, bleibt abzuwarten. Hoch anzurechnen ist ihr, dass sie offenbar keine persönlichen Ambitionen hegt und Kılıçdaroğlu unterstützt. Doch die Eiserne Lady der Türkei, wie sie manchmal genannt wird, hat oft genug bewiesen, dass man sie mit Vorsicht genießen muss – ob als Partner oder Kontrahentin.

Türkei-Wahlen 2023: DTJ-Online hat in den letzten Wochen die türkischen Parteien mit dem größten Stimmenpotenzial unter die Lupe genommen. Und die wichtigsten Fragen geklärt: Welche Parteien prägen das Land? Wer bestimmt die türkische Politik? Wofür stehen die Parteien und was sind ihre Besonderheiten?

Die erschienenen Beiträge in der Übersicht:

Die CHP vor den Türkei-Wahlen 2023: Gelingt der Überraschungscoup? (9. März 2023)

HDP: Kurden, Demokratie – und der allgegenwärtige Terrorverdacht (16. März 2023)

AKP nach 21 Jahren an der Macht auf dem Weg in die „alte Türkei“ (23. März 2023)

Junior-Partner Erdoğans: Die Rolle der MHP bei den Türkei-Wahlen 2023 (30. März 2023)

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