Panorama
Ein Zeuge ohne Gedächtnis: Stilecht mit Glatze, Springerstiefeln und Bomberjacke
Dreiste Zeugenaussagen sind im Prozess gegen die Terrorgruppe des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) keine Seltenheit. Nun zeigt ein besonders drastischer Fall, wie es schlimmer kaum geht. (Foto: dpa)

Als sich im November 2011 die breite Öffentlichkeit nach der Enttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) über die Mordserie empörte, erhielt der Verfassungsschutz in Hessen einen ominösen Brief. Bernd T., der zu diesem Zeitpunkt hinter Gitter saß, hatte ihn geschrieben und bot den Sicherheitsbehörden seine Zusammenarbeit an.
Er habe Informationen zum Mord an Halil Yozgat, den mutmaßlich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 6. April 2006 in Kassel getötet hatten. Außerdem könne er Angaben zur Neonazi-Szene in seiner Heimatstadt Kassel und zu Aufenthalten der mutmaßlichen Terroristen dort machen.
Zeuge will sich nicht erinnern
Staatsanwaltschaft, Bundes- und Landeskriminalamt nahmen den Zeugen ernst und schickten Beamte in die JVA. Im Tausch für die Informationen versuchte Bernd T. Hafterleichterungen durchzupressen. Konkret soll es ihm dabei um Hafturlaub, Ausgang und eine möglichst baldige Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Hünfeld gegangen sein.
Heute will sich Bernd T. an nichts mehr erinnern. Er sollte vergangene Woche als Zeuge vor dem Münchener Oberlandesgericht im sogenannten NSU-Prozess aussagen und tat dabei, was so viele andere Szenekollegen bereits taten: Er schwieg und machte kaum verwertbare Angaben. „Ich lehne generell den Kontakt zur Polizei ab“, sagte er.
In Neonazi-Uniform zum NSU-Prozess
Dass er sich weiterhin der rechten Szene verbunden fühlt, zeigte bereits seine Aufmachung. In Springerstiefeln und Bomberjacke sowie kurzgeschorenen Haaren zum wohl größten Neonazi-Prozess der deutschen Nachkriegsgeschichte zu erscheinen, ist wohl an sich bereits ein unmissverständliches Statement.
Seine Vorstrafen zeigen es ebenfalls eindeutig: Bernd T. ist tief in der Neonazi-Szene seiner Heimatstadt verwurzelt. Außerdem stellt er sich selbst als Vereinspräsident der Kasseler Neonazitruppe „Combat 18“ vor, die als bewaffneter Arm des Neonazi-Netzwerks „Blood and Honour“ gilt.
„Ich wollte sehen, was passiert“
Sein Aussageverhalten vor Gericht ist ebenfalls szenetypisch: Er windet sich, macht widersprüchliche Angaben, will von früheren Zeugenaussagen nichts mehr wissen und verschweigt offensichtlich entscheidende Details.
Besonders dreist: Vor Gericht bestreitet Bernd T. nicht nur, mit Mundlos und Böhnhardt in Kontakt gestanden zu haben, er will auch den Behörden nie etwas davon erzählt haben. Unterlagen bestätigen seine Aussage von damals allerdings schwarz auf weiß.
Obwohl der Vorsitzende Richter, Manfred Götzl, mehrfach nachfragt, bleibt der Zeuge bei seiner Aussage. Einiges spricht nun dafür, dass sich der Zeuge mit der damaligen Aussage Vorteile und Haftentlastungen verschaffen wollte. Bernd T. sagt dazu: Er habe die Behörden nur „aus einem Spaß heraus“ und „aus Langeweile“ angeschrieben. „Ich wollte sehen, was passiert.“
Was weiß Bernd T. wirklich?
Auf mehrfache Nachfrage wird er verbohrt wie ein Kind und sagt: „Dann kann ich mich eben an nichts erinnern. Ich will keine Angaben machen.“ Will er oder kann er keine Angaben machen? Weiß Bernd T. mehr, als er zugibt oder ist er einfach ein Angeber, der sich mit zweifelhaften Angaben einige Monate früher die Freiheit sicherte?
Die Frage ist berechtigt. Immerhin wohnte der Bruder von Bernd T. von 2003 bis 2005 in Zwickau. Nur circa 500 Meter von der Polenzstraße 2 entfernt, wo Beate Zschäpe, Böhnhradt und Mundlos sieben Jahre lang lebten.
Die schreckliche Bilanz
Die Terrorgruppe des sogenannten NSU soll von 2000 bis 2011 aus Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bestanden haben. Die beiden mutmaßlichen männlichen Mitglieder der Gruppe sollen acht türkischstämmige und einen griechischen Händler sowie eine Polizistin getötet und 14 Banken in Chemnitz, Zwickau, Stralsund und Arnstadt überfallen haben.
Zschäpe ist seit 2013 wegen Mittäterschaft in zehn Mordfällen, besonders schwerer Brandstiftung und Mitgliedschaft in und Gründung einer terroristischen Vereinigung vor dem Münchener Oberlandesgericht angeklagt.
Mittlerweile haben die Taten des sogenannten NSU fünf Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Länderebene beschäftigt und unzählige Entlassungen und Rücktritte verursacht. Wirkliche Erkenntnisse bleiben jedoch rar, Verschwörungstheorien beliebt.