Connect with us

Geschichte

Bergkarabach: Warum die Türkei Aserbaidschan stützt – und sich Armenien annähert

Published

on

Weites, leeres Land: Die Landschaft Bergkarabachs ist geprägt von Hügeln, Landwirtschaft – und Krieg. Foto: Nare Gevorgyan / Unsplash
Spread the love

Die Türkei ist traditionell eng mit Aserbaidschan verbunden. Im Bergkarabach-Konflikt schlägt sich Ankara auf die Seite Bakus. Doch zugleich bemüht sich Präsident Erdoğan um Entspannung in den Beziehungen zu Armenien. Warum das auch in Kriegszeiten zusammenpasst.

Zerstörte Brücken, rostiger Stacheldraht, unpassierbare Schluchten: Die Grenzregion zwischen der Türkei und Armenien ist ein unwirtlicher Ort. 30 Jahre lang geschlossen, war die Grenzlinie ein Symbolbild für das belastete Verhältnis der ungleichen Nachbarstaaten. Doch 2022 kam es zu einer Wende: Ankara und Jerewan näherten sich plötzlich an – und öffneten die Grenze.

Daran ändert auch der Kurzkrieg um die abtrünnige Kaukasus-Region Bergkarabach nichts. Aserbaidschan, das traditionell gute Beziehungen zur Türkei pflegt, hatte die Versorgungskorridore für das mehrheitlich von Armeniern bewohnte Gebiet erst monatelang blockiert und dann vergangene Woche von allen Seiten angegriffen. Zum Einsatz kamen auch türkische Bayraktar-Drohnen.

Alijew und Erdoğan verfolgen Ziele des Panturkismus

Die Bewohner der inoffiziellen armenischen Exklave Bergkarabach konnten dem nichts entgegensetzen und schwenkten schnell weiße Fahnen. Kurz nach Beginn der Kampfhandlungen hatte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (AKP) zu Wort gemeldet und seine Unterstützung für Aserbaidschan unterstrichen. Armenien gab er die Hauptschuld für den neu entflammten K0nflikt.

Warum Aserbaidschan in Bergkarabach Krieg führt

Die Türkei und Aserbaidschan arbeiten wirtschaftlich, militärisch und politisch eng zusammen. Die beiden Präsidenten Ilham Alijew und Erdoğan verbindet eine Männerfreundschaft. Gemeinsam verfolgen sie die Ziele des Panturkismus, die Einheit der turksprachigen Länder. Neben der Türkei zählen dazu unter anderem auch Turkmenistan, Kirgisistan und eben Aserbaidschan. Unter türkischer Führung machen sie seit 2009 in der Organisation der Turkstaaten (OTS) gemeinsame Sache.

Erdoğan geht auf Armeniens Ministerpräsidenten Paschinjan zu

Zugleich nahm Erdoğan, der vom günstigen Gas und Öl aus Aserbaidschan profitiert, den armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan gegen Kritik in Schutz. An den Provokationen, die zum jüngsten Angriff geführt hätten, trage er keine Schuld, unterstrich der türkische Präsident. In ihm sieht er einen Partner, mit dem er – nach einem Ende des Konflikts – die Beziehungen zu Armenien weiter normalisieren könnte.

Dass Erdoğan auf den in seiner Heimat stark in der Kritik stehenden Paschinjan zugeht, hat gleich mehrere Gründe. Einerseits hat er nicht vergessen, dass der armenische Regierungschef im Juli zu Erdoğans Vereidigung nach Ankara kam, während viele westliche Staatschefs fernblieben. Andererseits stärken offene Grenzen und gute Beziehungen zu Armenien die türkische Exportwirtschaft. Hinzu kommt: Erdoğan will seinen politischen Einfluss stärken – auch im Kaukasus.

Erdoğan will Türkei als Ordnungsmacht etablieren

International tritt der starke Mann am Bosporus zuletzt immer häufiger als gemäßigter Vermittler auf. Das Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland ist nur ein Beispiel dafür, wie die Türkei sich aktuell auf internationalem Parkett geriert. Auch für eine Vermittlung zwischen Armenien und Aserbaidschan bringt sich Erdoğan in Stellung – und versucht, sein Land als Ordnungsmacht in der Region zu etablieren.

Armenien und die Türkei: Entspannung an einer der bizarrsten Grenzen der Welt

So sagte er im Dezember vergangenen Jahres gewohnt breitbeinig: „Das 21. Jahrhundert wird das Zeitalter der Türken.“ Dazu passt die ausgestreckte Hand gen Jerewan. Ob die aber von allen Armeniern ergriffen wird, ist fraglich. Zu tief eingebrannt hat sich aus ihrer Sicht der osmanische Völkermord von 1915 und 1916 in die kollektive armenische Seele. Daran ändern auch erste Direktflüge zwischen den Hauptstädten der beiden Länder nichts.

Neue Spannungen, alte Muster?

Der Ausgang des Bergkarabach-Konflikts wird darüber entscheiden, wie Ankara, Baku und Jerewan künftig miteinander umgehen werden. Gliedert Alijew die mehrheitlich christlichen Armenier aus Bergkarabach friedlich in seine muslimische Gesellschaft ein oder kommt es zu ethnischen Säuberungen? Wie stabil sitzt Paschinjan im Sattel, sollte er Bergkarabach wirklich aufgeben?

Fragen über Fragen. Nur eines scheint klar: Bei neuen Spannungen droht ein altes Muster. Die Türkei würde sich auf die Seite des Verbündeten Aserbaidschan schlagen. Die Phase der vorsichtigen Entspannung wäre vorbei – und die Grenzen zwischen der Türkei und Armenien wieder geschlossen.