Geschichte
Die Geschichte des 1. Mai in der Türkei
Der 1. Mai ist wahrscheinlich einer von wenigen Jahrestagen, die in „Was geschah am …?”-Internetseiten eine ganze Reihe von Informationen liefern. In der Türkei ist in diesem Zusammenhang das Jahr 1977 nie vergessen worden. (Fotos: zaman)

In der Türkei fragen sich die Menschen, ob der morgige Tag friedlich verlaufen oder es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften kommen wird. Der türkische Geheimdienst hat bereits im Vorfeld vor Anschlägen gewarnt. Der 1. Mai wird als Tag der Arbeit oder Maifeiertag bezeichnet und ist in Ländern wie Deutschland, der Schweiz und seit 2009 auch in der Türkei ein gesetzlicher Feiertag.
Unabhängigkeitskundgebung auf dem Balkan und in Istanbul
Der Arbeitertag wurde im Osmanischen Reich zum ersten Mal im Jahre 1905 in Izmir gefeiert. In den darauffolgenden Jahren folgten auch Istanbul und weitere Städte auf dem Balkan, u.a. Skopje (heutiges Mazedonien). Da sich der 1. Mai auf dem Balkan immer mehr in eine Unabhängigkeitskundgebung entwickelte, verbot die regierende Ittihat ve Terakki (das Komitee für Einheit und Freiheit) im Jahre 1912 Streiks und Feierlichkeiten im gesamten Gebiet des Osmanischen Reiches.
Erst in den Jahren der Besetzung Istanbuls durch die Engländer (1918-1922) wurde der 1. Mai von den Arbeitergruppen als Feiertag begangen und entwickelte sich dieses Mal zur Unabhängigkeitskundgebung der Türken. Das Jahr 1922 war in diesem Zusammenhang besonders bemerkenswert. Die sozialistischen Arbeitergruppen versammelten sich am heute unter Touristen sehr beliebten Sultanahmet-Platz am Goldenen Horn und marschierten bis in den überwiegend von Arbeitern bewohnten Stadtteil Kağıthane.
Vom Verbot bis zur Namensänderung
Kurz vor der offiziellen Gründung der Türkischen Republik wurde der 1. Mai im Wirtschaftskongress zu Izmir (1923) als Feiertag anerkannt. Nur ein Jahr später, also kurz nach der Gründung der neuen Republik, wurden 1.Mai-Kundgebungen verboten. 1935 gab es dann eine Namensänderung. Der 1. Mai wurde in „Frühlings- und Blumenfest“ umbenannt. In den 60er-Jahren schließlich, als die Arbeiterbewegung wieder an Boden gewann und die TKP, die Kommunistische Partei der Türkei, im Parlament saß, feierten viele Arbeiter wieder in Massenkundgebungen den „Tag der Arbeit“.
Der blutige 1. Mai 1977
Der 1. Mai 1977 stellt in der Geschichte des Arbeitertages eine Zäsur dar, die bis heute nachwirkt. Bei Kundgebungen am Taksim-Platz gingen Sicherheitskräfte mit Gewalt gegen Demonstranten vor, dabei kamen 34 Menschen zu Tode.
Aus heutiger Sicht stellen die gewalttätigen Auseinandersetzungen von 1977 einen wichtigen Meilenstein dar, die im Putsch vom 12. September 1980 mündeten. Etwa 500.000 Arbeiter nahmen am Aufmarsch am Taksim-Platz teil, welcher vom revolutionären Gewerkschaftsverband DISK (Türkiye Devrimci İşçi Sendikaları Konfederasyonu) organisiert wurde. Von mehreren Positionen aus feuerten bis heute unbekannte Scharfschützen in die Menge. Während ein Teil der Opfer an Schussverletzungen starb, wurden andere bei der durch die Scharfschützen verursachten Massenpanik getötet.
Der Fall konnte gerichtlich nie richtig aufgearbeitet werden. Wegen dem Ablauf der Verjährungsfrist ist heute ein neues Gerichtsverfahren nicht mehr möglich. Dem Rechtsanwalt Rasim Öz zufolge, der selbst Augenzeuge des blutigen 1. Mai 1977 war, wurde „der Fall absichtlich verschleppt, damit er wegen Verjährung geschlossen werden konnte“. Öz, der zugleich Rechtsanwalt von DISK ist, ist sich sicher, dass hinter den blutigen Ereignissen „eine im Staat als Staat organisierte Bande“ steckt.
Nach dem Putsch von 1980 wurden Feiern zum 1. Mai einmal mehr verboten und der Tag verlor seinen Status als gesetzlicher Feiertag. Bis 1992 wurde er ihn deshalb nur noch inoffiziell begangen. Erst 2009 hat die AKP-Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan den 1. Mai als gesetzlichen Feiertag eingeführt.