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Türkei wichtigstes politisches Thema auf der Frankfurter Buchmesse
Auf der Frankfurter Buchmesse wollen Autoren die Inhaftierung von Kollegen in der Türkei nicht hinnehmen. Auch die deutsche Buchbranche hat die Unterdrückung der Meinungsfreiheit zu ihrem Anliegen gemacht. Die Türkei sieht sich dagegen als Opfer.
Am türkischen Stand in der Halle 5.0 der Frankfurter Buchmesse erhält der Besucher kostenlos ein kleines Heft mit Märchen aus 1001 Nacht – und einen Sammelband zum gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli. Die Türkei habe dieses „Massaker“, dem der Westen mit „Toleranz“ begegnet sei, „bittersüß“ überlebt, heißt es darin im Vorwort in etwas holpriger Übersetzung.
Regierungskritiker Can Dündar, Ex-Chefredakteur der türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“, sieht das etwas anders: „Wir haben zwar einen Militärputsch überlebt. Aber jetzt haben wir es mit einem politischen Putsch zu tun“, sagt Dündar am Donnerstag auf der Messe – und meint damit den türkischen Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan.
Der inzwischen im Exil lebende Dündar, der sein in der Haft entstandenes Buch („Die Verteidigung der Wahrheit“) vorstellt, gehört zu den gefragtesten Autoren in Frankfurt. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat die politische Lage in der Türkei mit der Verhaftung von mehr als 100 Journalisten und Autoren zum wichtigsten politischen Thema der Messe gemacht.
Brief von Erdoğan aus der Haft
Bei der Eröffnung hatte der Vorsteher des Börsenvereins, Heinrich Riethmüller, einen aus der Haft in Istanbul geschmuggelten erschütternden Brief der türkischen Autorin Aslı Erdoğan vorgelesen. Die Mitherausgeberin einer pro-kurdischen Zeitung wird des Terrorismus verdächtigt. Am Mittwochabend gab es auf der Messe auch eine kleine Solidaritätsdemonstration für Aslı Erdoğan.
Ihr Namensvetter im Präsidentenamt sei gerade dabei, die Türkei in Richtung einer „islamischen Diktatur“ zu treiben, stellt Dündar fest. Der Türkei-Korrespondent der Zeitung „Die Welt“, Deniz Yücel, sieht das ähnlich. „Frieden nutzt ihm nicht.“ Nicht umsonst habe Erdoğan den gescheiterten Putsch als „Gunst Allahs“ bezeichnet.
„Ich bin sehr deprimiert“, sagt am Donnerstag auf der Messe Elif Şafak, die derzeit international prominenteste türkische Schriftstellerin. Die in London und Istanbul lebende Autorin macht für die Entwicklung die Aggressivität und den Patriarchalismus einer von Männern dominierten Politik und Gesellschaft verantwortlich.
Türkischer Generalkonsul: „Falsche und ungerechte Behauptungen“
Der Börsenverein hat zusammen mit der Schriftstellervereinigung PEN Deutschland inzwischen mehr als 80 000 Unterschriften für eine Petition gesammelt, in der die Wiederherstellung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei gefordert und die Bundesregierung zu entschieden mehr Einsatz aufgerufen wird.
Die Türkei sieht sich dagegen als Opfer: Es gebe „falsche und ungerechte Behauptungen“, hat der türkische Generalkonsul in Frankfurt, Mustafa Çelik, bei einem Empfang für geladene Gäste zum Auftakt der Messe gesagt.
Autorin Şafak hat die Hoffnung auf mehr Demokratie in der Türkei noch nicht aufgegeben. Sie setzt dabei auf die Literatur. „Ich baue Brücken.“ Aus Reaktionen von Lesern wisse sie, dass in der Türkei auch Menschen ihre Bücher läsen, die fremdenfeindlich seien oder Vorurteile gegen Minderheiten wie Homosexuelle hätten.
Die auf Englisch schreibende Şafak wurde wegen eines früheren Romans bereits vor zehn Jahren wegen „Herabwürdigung des Türkentums“ vor Gericht gezerrt. In ihrem auf der Buchmesse vorgestellten neuen Roman geht es um drei in Oxford lebende muslimische Studentinnen und ihre Probleme. Es scheint die Menschen in der Türkei stark zu berühren: Das Buch steht dort auf der Bestsellerliste seit Wochen ganz oben. (Thomas Maier, dpa/dtj)