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Menschenrechte

Frauen in türkischer U-Haft vollständig entblößt

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Diese acht Frauen machten die Zwangsentkleidung bei der polizeilichen Durchsuchung publik. Foto: Twitter
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Geschlecht, Alter, Delikt – das alles spielte keine Rolle: Wer in der Türkei von der Polizei in Gewahrsam genommen wird, muss damit rechnen, sich unter Umständen komplett ausziehen zu müssen. Das Vorgehen wurde nun durch die öffentliche Kritik mehrerer Abgeordneter in der Türkei flächendeckend bekannt. Den ersten Vorstoß unternahm wie gewohnt der HDP-Abgeordnete und Menschenrechtsaktivist Ömer Faruk Gergerlioğlu. Die AKP-Fraktionsvorsitzende Özlem Zengin hat diese menschenrechtsverletzende Praxis in Abrede gestellt, die Aufregung in den sozialen Medien ist groß.

Sie zählt zu den Frauen, die im Zuge des postmodernen Staatsstreichs vom 28. Februar 1997 inhaftiert und drangsaliert wurden. Heute ist Özlem Zengin eine typische Karrieristin der türkischen Regierungspartei AKP und aktuell Fraktionsvorsitzende. Das Leid, das ihr und Tausenden anderen konservativen Frauen mit Kopftuch in der Türkei widerfahren ist, gehört heute zu ihren stärksten politischen Argumenten. Die AKP ist dafür bekannt, das Kopftuch politisch zu instrumentalisieren. „Unseren Schwestern wurde das Kopftuch vom Kopf gerissen“, heißt es dann oft. Auch hier in Deutschland verteidigen AKP-Unterstützer die harten Maßnahmen der türkischen Regierung gegenüber Andersdenkenden mit denselben Methoden. Was ihr einst zugestoßen ist, passiert in der heutigen Türkei offenbar wieder. Doch das will Zengin nicht wahrhaben.

„Wir wurden vollständig entblößt“

Müberra Boşçu, Nur Ener Kılınç, Birgül Koçal, Hacer Koç, Betül Alpay Kocabıyık, Tuba Özdemir, Yasemin Baltacı, Zekiye Ataç. Das sind acht türkische Frauen, die dem Vernehmen nach ein Leben gemäß islamischer Richtlinien führen und entsprechend bedeckt sind. Mit ihrem jüngsten Outcoming haben sie große Zivilcourage bewiesen. All diese Frauen wurden im Zuge der Hexenjagd nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 inhaftiert. Heute berichten sie in den sozialen Medien, damals durch die Polizei in der Untersuchungshaft vollständig entblößt worden zu sein. Ein Schritt, der großen Mut erfordert und alles andere als selbstverständlich ist. Damit wollten sie auf einen Missstand aufmerksam machen, unter dem offenbar weitere Frauen weiterhin zu leiden haben. Die acht Frauen haben ihre Situation mit jeweils einem Video pro Person und dem Hashtag #ÇıplakAramayaSessizKalma – Erhebe deine Stimme gegen Zwangsentkleidung (bei der polizeilichen Durchsuchung) – öffentlich gemacht.

Gergerlioğlu mutig wie gewohnt

Ihr Ruf nach Gerechtigkeit wurde als erstes vom HDP-Abgeordneten Ömer Faruk Gergerlioğlu erhört. Der Menschenrechtsaktivist hat die vollständige Entblößung von Frauen ins türkische Parlament getragen. Via Twitter schrieb er:

„Weil ich die Zwangsentkleidung bei der polizeilichen Durchsuchung thematisiert habe, wurde ich beschuldigt, ein Lügner zu sein, (…) sie hatten auch keine Scham, Strafanzeige gegen mich zu erstatten. Gott sei Dank weiß ich nicht den Staat hinter mir, sondern das Volk.“

Ahmet Davutoğlu: „Alle Kameraaufzeichnungen überprüfen“

Danach hat auch Ahmet Davutoğlu, Parteivorsitzender der GELECEK-Partei, den Vorwurf der Betroffenen aufgegriffen. Er habe sich die Videos der Frauen angesehen. Diese forderten die Überprüfung der Kameraaufzeichnungen auf den entsprechenden Wachen. Davutoğlu hält diese Forderung für legitim. „Ein schwerwiegender Vorwurf steht im Raum. Was jetzt gemacht werden muss, ist ganz einfach: alle Videos überprüfen.“ Außerdem behauptet der einstige AKP-Ministerpräsident, dass er die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen hätte, wenn er in der Regierung wäre. Solidarisch mit den acht Frauen zeigte sich auch Mustafa Yeneroğlu. Der ehemalige AKP-Politiker ist heute Mitglied der neuen Oppositionspartei DEVA und übt seit Monaten Kritik in Richtung seiner alten Partei; begonnen hatte er damit noch während seiner Zeit in der AKP.

Yeneroğlu: „Diese Frauen hatten recht, nicht der Justiz zu vertrauen“

„Ich habe mir die Vorwürfe der Frauen von ihren Anwälten berichten lassen. Die Behörden müssen diese beschämenden Taten aufklären“, fordert Yeneroğlu. Er hatte sich bereits im September auf Twitter zu diesem Thema geäußert. Damals war der deutsch-türkische Politiker noch Mitglied der AKP. Der in Deutschland aufgewachsene Yeneroğlu leitete zeitweise auch die parlamentarische Menschenrechtskommission. „Es steht im Widerspruch zu den Grundwerten des Rechtsstaats, Menschen der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation zu beschuldigen und zu verurteilen, die eine Sympathie für die Lehren von Fethullah Gülen haben, seine Lesezirkel besucht haben, Mitglied einer Gewerkschaft sind oder Geld auf eine Bank eingezahlt haben. Ich glaube, dass diese Anschuldigungen vom Verfassungsgericht oder spätestens vom Europäischen Gericht für Menschenrechte zurückgewiesen werden. Das wird der Regierung schaden“, schrieb der erste und bislang einzige DEVA-Abgeordnete im Oktober.

Mücella Yapıcı: „Wegen Gezi wurde ich vollständig entblößt“

Nachdem die AKP-Fraktionsvorsitzende Özlem Zengin die Behauptungen der acht Betroffenen in einem Interview mit dem französischen Sender Euronews leugnete, meldete sich auch die Autorin und GEZI-Unterstützerin Mücella Yapıcı zu Wort. „Schämt ihr euch denn gar nicht?“, beklagte die Aktivistin. Sie sei „nur wegen der Unterstützung eines Parks im Alter von 60 Jahren vollständig entblößt durchsucht worden“, nur um sie zu demütigen. „Damit andere Frauen das nicht erleben müssen, habe ich das öffentlich gemacht. Dagegen habe ich geklagt, in dem Fall wird weiterermittelt“, so Yapıcı.

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