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Gesellschaft

„Modernität lässt sich nicht an solch einem Kopftuch festmachen“

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Der Begriff „Deutschtürken“ ist mittlerweile bekannt. Aber was versteht man unter „Türkischdeutsche“? Sophia D., eine Lehramtsstudentin, zeigt, wie man selbst zu einem Berührungspunkt zwischen Deutschland und der Türkei werden kann.

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„Modernität lässt sich nicht an solch einem Kopftuch festmachen“
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Mit einem Lächeln betritt Sophia D. mit ihren Unisachen mein Büro. Leicht erschöpft von der soeben vergangenen Lernphase setzt sie sich. Mit „Hoşgeldiniz“ begrüße ich sie, denn ich weiß, dass Sophia D., ursprünglich aus Düsseldorf, mich versteht. Sophia studiert Politikwissenschaften und Anglistik an der Universität Heidelberg. Sie hat eine spezielle Vorliebe für verschiedene Kulturen und verbringt soviel Zeit wie möglich vor Ort in anderen Ländern. „Ich denke, es ist eine tolle Erfahrung und bessere Möglichkeit, eine andere Kultur, ein anderes Land und die Leute persönlich kennenzulernen, als nur zu reisen.“ Das war auch der Grund für ihren einjährigen Auslandsaufenthalt in Indien, als sie in der elften Klasse war.

Die enge Verflechtung und das „Nebeneinanderherleben“ von Türken und Deutschen in Deutschland weckten ihr Interesse, auch in die Türkei zu gehen, um dort für eine Weile zu leben. So kam es, dass sie insgesamt ein Jahr in der Türkei verbrachte. „Weltwärts“, ein vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ins Leben gerufenes Freiwilligenprogramm, brachte sie nach dem Abitur in ein kleines Dorf bei İnegöl (Bursa). „Zum einen habe ich in der Dorfschule Englisch unterrichtet, aber auch abends Kurse für interessierte Dorfbewohner gegeben und habe da vor Ort, da meine Schüler wenig Englisch konnten, Türkisch gelernt – um mit ihnen kommunizieren zu können.“ Der zweite Aufenthalt war dann ein Praktikum in İnegöl, währenddessen sie ihr Türkisch weiter verbesserte.

„Türkei ist mehr als nur Döner und Kopftuch“

Sophia hatte eine Reihe von Gründen, sich speziell für die Türkei zu entscheiden. „Auch wenn die Türkei kein komplett fremdes Land für mich war, wusste ich, es IST anders, es IST eine andere Kultur, und gleichzeitig aber eine Kultur, die auch etwas mit mir zu tun hat, mit der ich in Berührung komme, eben aufgrund dessen, dass so viele Türken hier sind. Und obwohl die türkische Kultur auch nah an der eigenen Kultur ist, und eine Kultur ist, die ich auch im eigenen Land kennen lernen könnte, und die trotzdem so unzugänglich für mich schien, fand ich es wichtig, diese Kultur kennenzulernen. Ich denke, es gibt viele Türken, die vor allem in ihrer türkischen Community leben und wenig Kontakt zu Deutschen haben. Ich als Deutsche hatte genauso wenig Kontakt zu Türken, und ich kann mir gut vorstellen, dass es der Mehrheit der Deutschen so geht, und ich finde es deshalb auch wichtig, dass man einander, wenn man im gleichen Land lebt, auch kennenlernt und irgendwie der Austausch auch da ist. Ich hatte vor meinem Türkei-Aufenthalt keinerlei Kontakt zu Türken!“ Auf einer Geburtstagsfeier lernte Sophia vor ihrer ersten Reise in die Türkei eine Türkin kennen, welche sie nach Hause einlud. „Die hat sich unheimlich gefreut, dass da jetzt eine Deutsche ist, die in die Türkei geht und Türkisch lernen möchte“, teilt sie mit.

In der Türkei angekommen, wusste die Großstädterin Sophia ein gutes Verhältnis zu ihren Schülerinnen und Schülern zu pflegen, aber es gab auch Aspekte, die für sie eine Umstellung bedeuteten. Einer davon war, dass der Umgang mit der Privatsphäre auf dem Dorf in der Türkei ein wesentlich anderer war als der gewohnte: „In der Anfangszeit meines Aufenthaltes in der Schule hatte ich einen Brief meiner Mutter geschickt bekommen, in der Schule geöffnet, gelesen und dort erfahren, dass aus einem bekannten Familienkreis ein Familienvater gestorben ist, weshalb ich emotional sehr berührt war. Die Schüler haben das mitbekommen und mich dann auch getröstet. Abends im Englischkurs wussten die anderen Kinder auch Bescheid. Inzwischen kam – bedingt durch das Stille-Post-Syndrom – an, dass mein Vater, oder mein Onkel gestorben wäre und sie haben mich dann darauf angesprochen. Ich war ganz überrascht, dass die Information sehr schnell die Runde machte. Ich habe relativ schnell gemerkt, dass ich mich anpassen muss, indem ich aufpasse, was ich mit wem bespreche und was ich wie darstelle, weil die Wahrscheinlichkeit eben sehr hoch ist, dass die Anderen es wahrscheinlich auch mitbekommen werden und dass es nicht immer ganz so, wie es tatsächlich war, weitergegeben wird. Aber ich denke, das ist eben der Dorfcharakter, und ich denke, dass es in Deutschland nicht anders ist.“

„In Deutschland geht noch zu viel an Potenzial verloren!“

Ihr größtes Vorurteil gegenüber der in der Türkei gelebten Kultur betraf das Kopftuch. Dieses Vorurteil ließ sie nicht daran hindern, nach langer Recherche aus religiöser Überzeugung auch eins zu tragen. „Ich weiß noch, wie ich meine Gastmutter, Ayşe abla, eine 30-jährige Englischlehrerin, fragte, wie sie denn als moderne Frau ein Kopftuch tragen könne.“ Heute muss Sophia darüber lachen, wenn sie daran denkt, dass Modernität sich nicht an solch einem Kopftuch festmachen lässt. „Ich weiß noch, wie ich sie gefragt habe, wie es wäre, wenn sie jetzt in Deutschland wäre, ob sie dann auch Kopftuch tragen würde, wenn sie quasi in einer Gesellschaft leben würde, die nichts mit ihrer zu tun hatte. Heute sitze ich hier und trage selbst ein Kopftuch“, lacht sie. „Einer der Gründe für meine Türkeireise war auch, mehr Wissen über den Islam erlangen zu wollen. So wie ich über die türkische Kultur wenig Wissen hatte, so war es, dass ich auch über den Islam sehr wenig wusste. Ich kannte die gängigen Stereotypen, Vorurteile, die die deutschen Medien darbieten, und wo ich mir nicht vorstellen konnte, dass eine Religion nur aus diesen von den Medien dargebotenen Elementen bestehen könnte. Ich wollte deshalb in ein muslimisches Land, um nicht mehr ÜBER Muslime zu lesen oder zu reden, sondern um aus erster Hand Infos zu bekommen“, fügt Sophia ihren Beweggründen, in die Türkei zu reisen, hinzu.

Nach ihren Türkei-Aufenthalten und vor dem Hintergrund, dass Sophia nun in einem Nachhilfeinstitut arbeitet, das viele Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund besuchen, gibt sie den Hinweis, dass in der Schulpolitik etwas für eine bessere Integration geändert werden muss. „Wegen der Defizite im Bildungssystem, welches eine Auswahl nach der vierten Klasse fordert, und wegen der Vorurteile, die noch in den Köpfen der Menschen vorhanden sind, geht unheimlich viel Potenzial verloren. Es muss sowohl seitens des Staates als auch privat vonseiten der Eltern, die ihre Kinder mehrsprachig erziehen möchten, noch viel getan werden. Mehrsprachigkeit sollte auf jeden Fall gefördert werden. Es ist im Rahmen der Möglichkeiten, zwei oder mehrere Sprachen gleichzeitig zu lernen.“ Als Grund für die wachsende Emigration von Akademikern aus Deutschland nennt sie die besseren Chancen, die das Ausland Personen mit Migrationshintergrund oder muslimischem Glauben biete. „Selbst ich als Deutsche würde im Ausland bessere Chancen haben als hier in meinem eigenen Land – weil ich ein Kopftuch trage. Aber nicht nur das Kopftuch, sondern auch andere Faktoren begünstigen die Emigration aus Deutschland.“

„Ich schämte mich, dass in meinem Land so etwas passierte“

Auf die Frage nach den NSU-Morden antwortet Sophia, dass sie während ihres Türkei-Aufenthaltes davon Wind bekam. „Es kann schlüssige Gründe geben, warum versucht wird, solche Begebenheiten unter den Tisch zu kehren, das nicht so öffentlich zu machen, es nicht so groß aufzuziehen. Es wäre schlecht für den Ruf des Landes, vor allem für ein Land wie Deutschland. Aber gerade deshalb müsste man damit bewusst umgehen, sich damit auseinandersetzen, es aufdecken. Es ist ein Skandal, dass die rechtsradikalen Hintergründe so lange im Verborgenen blieben. Aber Verschwörungstheorien gegen den Staat gibt es auch immer wieder, die ebenfalls keinen großen Anklang finden sollten“, beendet Sophia das Thema.

Nach einem Besuch bei Sophia D. merke ich, dass sie viel von der türkischen Küche mitgenommen hat. „Die türkische Küche habe ich ganz besonders gerne. Meine Gastmutter hatte unheimlich gut gekocht! Mantı esse ich am liebsten“, freut sich die Kulturmittlerin zwischen der Türkei und Deutschland. Und auf die Frage nach dem Fußballverein antwortet sie „Fenerbahçe“ – laut der schmunzelnden Sophia sei es in der Türkei ein MUSS, einen bestimmten Fußballclub zu vertreten.

Sophia D. wird von Mitstudierenden aufgrund ihrer offenen Art als Brücke vor allem zwischen Türken und Deutschen wahrgenommen, die zum weiteren Prozess der Integration einen großen Beitrag leistet und weiter leisten wird. Vor allem als zukünftige Gymnasiallehrerin.