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Politik

Kopf-an-Kopf-Rennen im Zeichen der Staatsgläubigkeit

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Hessen funktioniert – trotz der Qualität des Angebots an politischen Parteien. Eine in diesem Bundesland besonders weit rechts stehenden CDU und eine sich daran anpassende FDP stehen gegen eine besonders etatistische rot-grüne Opposition. (Foto: dpa)

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In Hessen tritt eine besonders weit rechts stehende CDU und eine sich daran anpassende FDP gegen eine besonders etatistische rot-grüne Opposition an.
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Hochspannung nicht nur im Bund: In Hessen wird am 22. September mit dem Bundestag auch ein neuer Landtag gewählt. Dabei zeichnet sich in Wiesbaden ein enges Rennen zwischen der CDU/FDP-Regierungskoalition und Rot-Grün ab. Der Umfragevorsprung, den SPD und Grüne lange hatten, ist einem Patt gewichen.

Anders als in Bayern oder im Bund ist in Hessen aber eine Wechselstimmung messbar: Die Wähler geben laut Umfragen Rot-Grün den Vorzug vor einer schwarz-gelben Koalition. Ein Regierungswechsel in dem wirtschaftlich starken Bundesland mit sechs Millionen Einwohnern würde SPD und Grünen im Bundesrat eine eigene Mehrheit bringen.

Möglich ist auch eine Rückkehr der unsicheren «hessischen Verhältnisse» von 2008: Damals gab es eine Mehrheit von SPD, Grünen und Linkspartei, doch die SPD scheiterte bei der Regierungsbildung. Der sozialdemokratische Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel will nicht mit der Linken zusammengehen. Er setzt darauf, sie aus dem Landtag herauszuhalten. Meinungsforscher erwarten zwischen 3,5 und 5 Prozent Stimmen für die Linkspartei. CDU und FDP unterstellen, Schäfer-Gümbel werde wie seine Vorgängerin Andrea Ypsilanti ein Links-Bündnis ansteuern. Vier SPD-Abweichler hatten Ypsilantis Wahl damals platzen lassen.

Diese Turbulenzen wirkten bei der vorgezogenen Landtagswahl 2009 nach. Die SPD stürzte auf den hessischen Tiefststand von 23,7 Prozent ab. Die CDU wurde mit 37,2 Prozent erneut stärkste Partei, die FDP erzielte ein Rekordergebnis von 16,2 Prozent. Die Grünen verbesserten sich auf 13,7 Prozent. Die Linke kam mit 5,4 Prozent erneut in den Landtag.

Der Landtag zählte mit Überhang- und Ausgleichsmandaten zuletzt 118 Sitze. Die CDU hielt 46 Sitze, gefolgt von SPD (29), FDP (20), Grünen (17) und Linkspartei (6). Für die 55 Direktmandate kandidieren diesmal 284 Bewerber. Landesweit treten 18 Parteien und Wählergruppierungen an.

Welche sind die Hauptthemen?

In Reih und Glied stehen die Wahlplakate an den Straßen in Hessens Innenstädten und werben um die Stimmen der Wähler. „Hessen bleibt am Ball“, verspricht die CDU, die das Land gemeinsam mit der FDP regiert. Im Landtagswahlkampf geht es um mehr Betreuungsplätze für Kinder, um die Energiewende, die Wirtschaftslage und den Kampf gegen Fluglärm. Ein Überblick über die wichtigsten Themen:

SCHULEN: Was ist guter Unterricht? In Hessen sind sich bei diesem Thema nicht einmal die Wunsch-Koalitionspartner SPD und Grüne sonderlich gewogen. Die SPD will eine Gemeinschaftsschule bis Klasse zehn aufbauen, die Grünen wollen nach jahrelangem Streit über G8 oder G9 im Land vor allem Frieden an den Schulen einkehren sehen. CDU und FDP setzen auf Wahlfreiheit für die Eltern und wollen die vielfältige Schullandschaft mit Gymnasien, Real- und Hauptschulen, Mittelstufen- und Gesamtschulen sowie mit G8 und G9 erhalten. Beim Ausbau der Ganztagsbetreuung setzen Schwarz-Gelb und die Grünen auf freiwillige Angebote, die SPD dagegen will vollwertige Ganztagsschulen einrichten. Am Montag hat allerdings auch Hessens FDP mit einer außerordentlich sozialistischen Forderung Aufsehen erregt: Er forderte eine Zwangs-Vorschule, weil seiner Auffassung nach „50 Prozent der Migrantenkinder und 20 Prozent der Nicht-Migrantenkinder beim Schuleintritt nicht altersgerecht Deutsch können“ würden.

FINANZEN/STEUERN: Mit einer Unterschriftenkampagne für mehr Steuergerechtigkeit wirbt die SPD im Wahlkampf um Stimmen. Sie will ein härteres Strafrecht (allerdings nur für Steuersünder, nicht für Gewaltverbrecher), längere Verjährungsfristen und schärfere Sanktionen für Banken, die sich an Steuerhinterziehung beteiligen. Schwarz-Gelb hält die Vorschläge wahlweise für alt oder nutzlos – und setzt auf die laufende Verfassungsklage gegen den Länderfinanzausgleich, um mehr Geld in den Landeshaushalt fließen zu lassen. Auch hessische Eltern sollten kostenlose Kitas zur Verfügung haben, argumentiert die schwarz-gelbe Regierung des Geberlandes mit Blick auf das benachbarte Empfängerland Rheinland-Pfalz.

WIRTSCHAFT/ARBEIT: Brummt die hessische Wirtschaft oder nicht? CDU und FDP sagen Ja und werben mit Kontinuität: Noch nie hätten so viele Menschen im Land Arbeit gehabt, sei so viel Geld in Straßen und Infrastruktur investiert worden – und das solle auch so bleiben. Grünen-Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir, der Wirtschaftsminister werden möchte, hört den Motor stottern. Er will die Gesundheits- und Kreativwirtschaft, die Informations- und Umwelttechnologie fördern und so die Abhängigkeit des Landes vom Finanzplatz Frankfurt senken. Ob Al-Wazir im Falle eines rot-grünen Wahlsiegs aber tatsächlich Wirtschaftsminister wird, ist noch längst nicht ausgemacht. Denn die SPD will in diesem zentralen Bereich ein gewichtiges Wort mitreden.

WOHNEN/MIETEN: Angesichts steigender Mieten im Rhein-Main- Ballungsraum zeigen sich die Parteien hier besonders engagiert. In seltener Einigkeit treten sie für eine Bremse bei Bestandsmieten und Neuvermietungen in Ballungszentren ein, wie sie auch auf Bundesebene gefordert wird. Allein die FDP ist strikt dagegen. Sie fürchtet, weitere Regulierungen im Mietbereich könnten Investoren abschrecken. Die CDU/FDP-Landesregierung hat zudem ein Programm zum Bau von 1000 Sozialwohnungen bis 2019 angekündigt. Das reicht aber nach Ansicht der Opposition bei weitem nicht aus.

ENERGIEWENDE: Mit einer Personalie hat die SPD in dem traditionell eher grünen Kompetenzbereich einen Akzent gesetzt: Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel nominierte die parteilose Expertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) für sein Schattenkabinett. Im Falle eines rot-grünen Wahlsiegs soll sie als Beauftragte in der Staatskanzlei die Energiewende koordinieren. Einzig FDP-Wirtschaftsminister Florian Rentsch stellt sich hier gegen die ideologisch gesteuerte Belastungspolitik mit seiner Forderung, die staatliche Förderung der Ökoenergien vorläufig zu stoppen.

FLUGLÄRM: Rund um Deutschlands größten Flughafen wohnt ein beträchtlicher Teil der hessischen Wähler. Dass der von dort ausgehende Lärm reduziert werden muss, finden alle Parteien. Doch radikale Schritte befürwortet einzig die Linke. Gemeinsam mit lärmgeplagten Anwohnern ist sie für die Schließung der umstrittenen neuen Landebahn. Die Grünen halten deren Bau für falsch, aber auch für nicht mehr rückgängig zu machen. Während CDU und FDP weder an der neuen Bahn noch am weiteren Flughafenausbau rütteln, will die SPD den geplanten Bau eines dritten Terminals überprüfen lassen.

Die Spitzenkandidaten der Parteien bestätigen den nicht unbedingt optimalen Eindruck:

Volker Bouffier – der joviale Landesvater von der CDU

Seit Mitte 2010 führt Volker Bouffier Regierung und CDU in Hessen, nun muss er deren Macht verteidigen. Vorher amtierte der 61-jährige Jurist aus Gießen elf Jahre lang als Innenminister. Bouffier gehörte zum Freundeskreis von Politikern der Jungen Union um Roland Koch, die gemeinsam Parteikarriere machten. Doch während Koch als hessischer Regierungschef mit Vorliebe bundespolitische Debatten provozierte, hält Bouffier sich zurück. In Parteifragen denkt er konservativer als Koch. Der Vater von drei erwachsenen Kindern gibt gern den jovialen Landesvater und nutzt sein Talent, auf Menschen zuzugehen. Bouffier ist sportbegeistert – er hätte in seiner Jugend gern professionell Basketball gespielt, doch ein Unfall stoppte ihn. Gegen fremdenfeindliche und islamophobe Tendenzen innerhalb des Landesverbandes, für die unter anderem Namen wie Erika Steinbach, Hans-Jürgen Irmer oder Ismail Tipi stehen, wurde unter seiner Regie ebenso wenig unternommen wie gegen den offen rassistischen Ortsverband in Dietzenbach.

Thorsten Schäfer-Gümbel – der neue SPD-Hoffnungsträger

Als die SPD 2008 nach der gescheiterten Wahl von Andrea Ypsilanti im Tal der Tränen war, musste ein junger Hinterbänkler aus Gießen ran. Der damals noch belächelte Thorsten Schäfer-Gümbel ist fünf Jahre später zum Hoffnungsträger der SPD geworden. Er führte die Flügel der Partei zusammen. Aus einem leicht linkischen Abgeordneten wurde ein selbstbewusster Fraktionschef, der sein Bild beharrlich aufpoliert hat. Politisch ist der linke „TSG“ geschmeidiger geworden. Mit der Wirtschaft will es sich der 43-Jährige nicht verderben. Der Sohn eines Zeitsoldaten und Lastwagenfahrers kommt aus einfachen Verhältnissen. Schäfer-Gümbel und seine Frau Annette haben drei Kinder.

Jörg-Uwe Hahn – der FDP-Landeschef steht treu zur Union

Der hessische FDP-Vorsitzende und Justizminister Jörg-Uwe Hahn ist immer für einen Spruch gut. Deshalb reden Medien gern mit ihm, er bringt sich aber auch öfter mal in die Bredouille. So ließ sich ein Zitat zur vietnamesischen Herkunft von FDP-Bundeschef Philipp Rösler als ausländerfeindlich lesen. Dabei ist Integration für den 56-jährigen Juristen aus Bad Vilbel ein großes Thema. Er sorgte immerhin dafür, dass es in Hessen islamischen Religionsunterricht gibt. Andererseits ist er immer wieder auch für zweifelhafte Idee wie die „Zwangs-Vorschule“ gut. Hahn führt die Landes-FDP seit 2005 und hält sie fest an der Seite der Union. Das Verhältnis zur Bundesführung der Liberalen ist gespalten: Mal kritisiert er sie, mal stützt er sie. Der Sohn eines Bundeswehroffiziers ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Tarek Al-Wazir – als Grünen-Vorsitzender schon lang im Wartestand

Hessens Grünen-Chef Tarek Al-Wazir ist nicht nur der dienstälteste Fraktionschef im Landtag. Der 42-Jährige wird auch regelmäßig in Umfragen zum beliebtesten Politiker des Landes gewählt. Der Sohn eines Jemeniten und einer Deutschen gilt als eines der großen politischen Talente seiner Partei. Der Offenbacher, unumschränkter Chef der Hessen-Grünen, ist bekannt für scharfen Verstand und ätzende Kritik. Für Al-Wazir gilt die Wahl als letzte Chance, in Hessen Minister zu werden. Ansonsten dürfte er sich ein anderes Feld suchen – zum Beispiel in der Bundespolitik. Mit seiner Frau, die er in der Internationalen Schule in Sanaa kennenlernte, hat er zwei Söhne. Inwieweit die Pädophilie-Affäre in Hessen, wo sich unter anderem die berüchtigte Odenwaldschule befindet, den Grünen schaden wird, ist ungewiss.

Janine Wissler – selbst bei der Linken weit links

Die Spitzenkandidatin der hessischen Linkspartei, Janine Wissler, musste schon vor dem 22. September wählen: Landes- oder Bundespolitik. Sie entschied sich, erneut für den Landtag in Wiesbaden zu kandidieren, wo sie seit 2009 die Linksfraktion führt. Die 32-jährige Politologin aus Langen ist eine der scharfzüngigsten Rednerinnen im Parlament. Ihre politische Heimat sind ultralinke Strömungen in der Partei wie das Netzwerk Marx 21. Wissler kandidierte bei der Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt/Main 2012, allerdings wenig erfolgreich. Sie kam auf 3,8 Prozent der Stimmen.

Auch die AfD kandidiert, ihr werden aber keine Chancen auf einen Landtagseinzug eingeräumt.

Schwarz-Gelb hat den Vorsprung von Rot-Grün in den Umfragen wettgemacht – offenbar auch wegen des „Ypsilanti-Faktors“ und dank des Rückenwinds aus Berlin. Obwohl der Landtag noch bis Anfang 2014 im Amt ist, lässt Bouffier die Hessen am Sonntag mit dem Bund wählen. Ein taktisch geschickter Schachzug: Angela Merkel ist in Hessen weit populärer als der 61-jährige Bouffier.

Der frühere Innenminister hat das Amt von Roland Koch geerbt hat, als dieser 2010 nach elf Jahren als Ministerpräsident in die Wirtschaft wechselte. Seither pflegt Bouffier, der in der Hessen-CDU unumstritten ist, den Stil des bedächtig-jovial regierenden Landesvaters. Einen Amtsbonus hat er sich aber nicht verschafft. Im direkten Vergleich liegt Schäfer-Gümbel in Umfragen fast gleichauf. (dpa/dtj)

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