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Politik

Verschwörungstheoretiker Yiğit Bulut anstelle von erfahrenem Wirtschaftspolitiker Ali Babacan?

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Die Ernennung des bisherigen Kabinettsberaters, Ökonomen und Fernsehjournalisten Yiğit Bulut zum Ersten Wirtschaftsberater Erdoğans heizt Spekulationen an. Bulut empfiehlt seit Längerem eine Abwendung von der EU. (Foto: cihan)

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Die Ernennung des bisherigen Kabinettsberaters, Ökonomen und Fernsehjournalisten Yiğit Bulut zum Ersten Wirtschaftsberater Erdoğans heizt Spekulationen an. Bulut empfiehlt seit Längerem eine Abwendung von der EU.
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Die Türkei diskutiert, wer zukünftig über die Wirtschaftspolitik des Landes entscheiden wird. Sowohl internationale Beobachter als auch Vertreter der türkischen Wirtschaft sehen in Ali Babacan einen kompetenten und vertrauenswürdigen Namen. Der künftige türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan jedoch will ein Team von treuen Gefolgsleuten in Schlüsselpositionen bringen. Als wichtigsten Anwärter für das Amt des Wirtschaftsministers wird Yiğit Bulut gehandelt.

Die Tatsache, dass Erdoğan seinen früheren Wirtschaftsberater im Kabinett, Bulut, zu seinem neuen Ersten Wirtschaftsberater im Präsidentenamt ernannt hat, lässt Beobachter aufhorchen. Es wird nun darüber spekuliert, dass Bulut im Zuge der bevorstehenden Regierungsumbildung zum 28. August den bisherigen Wirtschaftsminister Ali Babacan ersetzen könnte.

Bulut war im August 2013 nach Ende der Gezi-Proteste zum Wirtschaftsberater des Premierministers ernannt worden, obwohl der frühere „Habertürk“-Kolumnist lange Zeit als harscher Gegner der Administration Erdoğan galt.

Bulut veröffentlicht derzeit seine Kolumnen regelmäßig in der regierungsnahen „Star Gazete“. In diesem Zusammenhang plädiert Bulut dafür, Alternativen zum westlichen System zu schaffen und die Verbindungen der Türkei zur Europäischen Union zu kappen. Diese werde, so Bulut, perspektivisch weder auf politischer noch auf wirtschaftlicher Ebene eine tragende Rolle in der Welt spielen.

Bulut: Im Westen künftig nur noch die USA von Bedeutung

Im Gegensatz dazu plädiert Bulut für die „Vision einer neuen Türkei“, die ihre sozialen, ökonomischen und kulturellen Beziehungen in den nahöstlichen und eurasischen Raum wiederbelebt, statt sich weiter am westlichen Modell zu orientieren.

Die mögliche Ersetzung Babacans durch Bulut soll bereits jetzt für ernste Fragen und Unruhe in Finanzkreisen und unter Investoren gesorgt haben. Dort ist man der Auffassung, dass die kontroversen Thesen Yiğit Buluts über die Finanzmärkte die türkische Wirtschaft vor Probleme stellen könnte. Man ist dort in Sorge, der künftige Präsident Erdoğan könnte den als unrealistisch betrachteten Vorstellungen Buluts mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen als erwartet.

Am 11. Mai hatte Bulut beispielsweise in einem Artikel für „Star“ unter dem Titel „2023: Die große Doktrin für die Türkei ist geschrieben“ einen Elf-Punkte-Plan dargestellt, der unter dem Titel „Vision 2023“ die derzeitigen Beziehungen der Türkei zur EU auf den Prüfstand stellen soll. Stattdessen solle sich die Türkei in Richtung Eurasien orientieren und neue sozioökonomische Partnerschaften entwickeln, die auf einfache Weise Potenziale und Wachstumsmöglichkeiten erschließen können.

Bulut ging in diesem Zusammenhang davon aus, dass künftig nur noch die USA als westliche Macht ein bedeutsamer Ansprechpartner für die Türkei sein werde. „Ich werde es deutlich sagen: In der neuen Konstellation wird der neue Westen für die Türkei lediglich die USA bedeuten. Wir brauchen Europa und seine materiellen und moralischen Verbindungen nicht, die für uns zur Belastung werden könnten“, so Bulut.

„Es gibt heute in der Welt nur zweieinhalb Führer. Einer ist Erdoğan, einer ist Putin“

Derzeit jedoch sieht es so aus, dass die türkischen Exportraten in die EU im April um 20% gegenüber dem Vorjahreswert gestiegen sind, von 4,93 Mrd. US$ auf 5,94. Im Moment gegen damit 44,2% der türkischen Exporte in die EU, während es im April 2013 nur 39,6% waren. Der Anteil der Exporte und Importe technologischer Produkte lag bei 3,8 bzw. 14,6%.

Auch der jüngste Bericht des Unternehmensberaters Ernst & Young zeigte, dass die USA und die EU 2013 die beiden größten Investoren im Land waren, die zu 24% bzw. 16% des Gesamtaufkommens der Investitionen im Land beitrugen.

Ungeachtet der auf diese Weise untermauerten langjährigen Beziehungen zum Westen und des EU-Beitrittsprozesses geht Bulut davon aus, dass die USA und die Allianzen Türkei-Russland-Eurasien und China-Indien-Iran die künftige Weltordnung bestimmen werden. Auch deshalb solle seiner Auffassung nach die EU kein Partner für die Zukunft sein. „Die Welt hat ein Führungsproblem“, diagnostiziert Bulut. „Es gibt heute in der Welt nur zweieinhalb Führer. Einer ist Erdoğan, einer ist Putin und der halbe ist Barack Obama“, meinte der Erdoğan-Berater in einer TV-Sendung im August 2013. Obamas Autorität werde durch Lobbyisten in den USA herausgefordert, die ihm Steine in den Weg legen würden.

Verschwörungstheorien über Juden und Freimaurer

Dass Premierminister Erdoğan die Gezi-Park-Proteste und später auch die Korruptionsermittlungen als Resultat internationaler Verschwörungen zwischen ausländischen Kräften und deren inländischen Handlangern darstellte, unter anderem einer „Zinslobby“ oder der vermeintlich von der Hizmet-Bewegung dominierten „Parallelstruktur“ im Staatsinneren, führen Beobachter auf den Einfluss Yiğit Buluts zurück.

Der Berater, der bereits eine Doktorarbeit über den angeblichen Einfluss von Juden und Freimaurern auf den Kommunismus verfasst hatte, hatte oft „ausländische Kräfte“ bezichtigt, die Türkei destabilisieren zu wollen. So meinte Bulut unter anderem, die deutsche Lufthansa wäre die treibende Kraft hinter den Protesten im Gezi-Park gewesen. Sie wollte demnach den Bau des dritten Flughafens in Istanbul verhindern, da sie dadurch mit einem jährlichen Verlust von 100 Millionen Passagieren pro Jahr rechnen müsse, die lieber über Istanbul als über deutsche Flughäfen reisen würden.