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Politik

Die Flüchtlinge und wir: Denkfehler, Geschäfte, Enttäuschungen

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Die Flüchtlingsfrage und die Frage nach der gesellschaftlichen Rolle des Islam bleiben ein Politikum. Eigentlich geht es jedoch um die Frage nach der eigenen Identität. Eine Wertedebatte, wie sie Innenminister de Maiziere fordert könnte dabei hilfreich seien. Vorausgesetzt, man wiederholt nicht die Fehler der Vergangenheit.

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Ankunft von Flüchtlingen in Köln
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Der Ton, in dem in der Bundespolitik über Flüchtlinge gesprochen wird, hat sich in den vergangenen Tagen und Wochen etwas geändert. Er ist härter geworden. „Viele Menschen, die zu uns gekommen sind, bringen Träume von einem besseren Leben mit“, sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), um darauf hinzuweisen, dass sich aus diesen Träumen keine Ansprüche ableiten ließen.

Die veränderte Tonlage resultiert einerseits daraus, dass die Kluft zwischen dem optimistischen „Wir schaffen das“ der Kanzlerin und den Alltagserfahrungen größer geworden ist. Es hängt aber auch mit dem Bestreben zusammen, den Rechtspopulisten AfD, die die Flüchtlingsfrage ständig ausreizen, auf Dauer nicht alleine das Feld zu überlassen. Ein weiterer Grund ist die Angst eines großen Teils der deutschen Gesellschaft vor einer vermeintlichen Überfremdung.

De Maizière war der erste Redner des „Zweiten Zukunftskongress Migration und Integration“, der am Dienstag in Sichtweite des Bundestages stattfand. Der CDU-Politiker sprach von einem „Denkfehler der Vergangenheit“: Anders als viele in Deutschland annähmen, habe die Bedeutung von Religion und Glaube in der Welt nicht abgenommen – im Gegenteil. Vor den rund 500 Teilnehmern – vorrangig Praktiker aus der Verwaltung oder Initiativen – brach der Minister eine Lanze für ein Verständnis des eigenen und des fremden Glaubensbekenntnisses.

Verantwortung der Religionsgemeinschaften

Keiner müsse in Deutschland religiös werden oder in die Kirche gehen, wenn er das nicht wolle, betonte de Maizière. Kenntnisse über den christlichen Glauben und Traditionen sowie über andere Religionen seien aber sinnvoll und wichtig. Viele Flüchtlinge und Migranten seien sehr religiös. „Wir haben die Bedeutung von Religion unterschätzt, auch bei uns“, mahnte der Minister. Damit komme den Religionsgemeinschaften eine große Verantwortung zu. Mit Blick auf in Deutschland lebende Muslime bekräftigte der Minister die große Chance und Aufgabe, die ihnen bei der Integration anderer Muslime zukomme.

De Maizière übte jedoch auch Selbstkritik. Er ging nicht so weit wie seine Chefin Angela Merkel, die davon sprach, die Zeit zurückdrehen zu wollen, doch gestand er Fehler ein. Im vergangenen Jahr sei vieles schnell, teils provisorisch entschieden und umgesetzt worden. Doch Hysterie und Polemik würden den eigentlichen Aufgaben nicht gerecht. „Es ist wichtig, dass wir über Sorgen sprechen, aber ohne übertriebene Ängste.“ Ziel müsse sein, dass sich jeder zugehörig fühle. „Ohne Neugier, Realismus und Geduld wird die Integration nicht funktionieren“, bekräftigte de Maizière. Dabei werde nicht jeder sofort zurechtkommen, wie auch nicht jeder Deutsche gleichermaßen zurechtkomme.

Geschäftsfeld Flüchtlinge

Für viele Unternehmen und Verbände entstehen mit den neu angekommen Flüchtlingen auch neue Geschäftsfelder: „Mit der Refugee Card zu einer gelungenen Integration“, steht auf einem Werbeprospekt, den zwei Männer im Anzug an einem anderen Stand verteilen. Wie will man das mit einer Chipkarte erreichen, Wissen über Deutschland oder gar Werte vermitteln? Doch darum geht es der Firma Cadooz auch gar nicht. Sie bietet Kommunen eine aufladbare Bezahl-Karte für Flüchtlinge an. Mit der Karte sollen Flüchtlinge, die Geld vom Amt erhalten, in Geschäften bezahlen können – allerdings nur im Inland. Außerdem dürfen sie pro Monat 40 Euro in bar abheben.

In einer Stadt in Bayern werde die Karte bereits getestet, sagt Firmenvertreter Martin Loreck. Mit der Karte könne sichergestellt werden, dass Flüchtlinge nicht einen Teil des für den Lebensunterhalt gedachten Geldes benutzten, um eine noch offene „Rechnung“ bei dem Schlepper zu bezahlen, der sie nach Deutschland gebracht habe.

Vor dem Eingang des Bundespresseamtes hat ein Hersteller einen Zwei-Zimmer-Wohncontainer aufgestellt. Die Telekom AG ist mit einem kleinen Stand vor Ort. Sie hat, als plötzlich so viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), bei den Landesbehörden und in den Kommunen 700 ehemalige Beamte aus dem eigenen Haus untergebracht. Die bearbeiten heute Asylanträge oder kümmern sich um den IT-Bereich einer mit der großen Zahl von Asylbewerbern oftmals überforderten Verwaltung.

Und was sagen diejenigen, die sich um die alltäglichen Sorgen und Nöte der vielen Syrer, Iraker, Afghanen, Eritreer und Somalier kümmern? „Wir haben Flüchtlingen zum Beispiel ganz einfache Dinge erklärt, warum Pünktlichkeit in Deutschland so wichtig ist, und wie man sich bei uns begrüßt“, sagt Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Es sei aber falsch, den Eindruck zu erwecken, „jetzt kommen die Barbaren hierher, und denen müssen wir erst einmal das Einmaleins erklären“.

Ehrenamtliche reichen nicht aus

Mathias Hamann leitet die Notunterkünfte für Flüchtlinge bei der Berliner Stadtmission. Er ärgert sich manchmal, wenn ein Bundestagsabgeordneter zu ihm kommt und ihn „zum Teil auch inquisitorisch“ fragt, wie es denn mit der Versorgung und Integration so läuft. Hamann sagt, ihm fehle oft schlicht das nötige Geld. Sein Stellenplan sehe zum Beispiel gar keine Sprachmittler vor. Mit Ehrenamtlichen alleine seien die vielfältigen Aufgaben nicht zu bewältigen.

Yalçın Bayraktar ist Leiter des Amtes für Migration und Integration beim Landratsamt Bodenseekreis. Er sagt, er habe in seinem Verwaltungsbezirk etliche Ehrenamtliche, „die uns brutal viel Arbeit abnehmen“ und andere, die das Helfen vor allem für ihre Selbstverwirklichung nutzten und „uns mehr Arbeit machen als Tausend geflüchtete Menschen“.

Die Integrationsforscherin Naika Foroutan griff die Frage der Integration als gesamtgesellschaftliches Thema auf. Wenn man die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und die jüngsten Ausschreitungen in Bautzen beobachte, müsse auch hinterfragt werden, wer sich ausgeschlossen fühle. Die Vize-Direktorin am Berliner Institut für Integrations- und Migrationsforschung der Humboldt Universität warnte davor, die Integrationsdebatte ausschließlich auf die Migranten auszurichten. „Wir müssen alle mitnehmen“, betonte sie: Nur so könne der gesellschaftliche Zusammenhalt gewährt werden.

(Mit Material von dpa und kna)