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Politik

Der Aufmarsch der Empörten

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Anti-Brüssel-Slogans und Euroskepsis, bei Bedarf aber auch schon mal fremdenfeindliche Parolen: Die europäische Rechte ist heterogen, könnte sich aber am Ende nach den EU-Wahlen auch im Europaparlament zu einer Fraktion zusammenfinden. (Foto: rtr)

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Mit einem empörten „Es reicht!“ melden sich all jene zu Wort, die das „Volk“ vor der EU schützen wollen. In der Mehrheit sind diese Parteien politisch rechts der Mitte anzusiedeln. Bernd Lucke, Parteichef der Alternative für Deutschland (AfD) will sich „bis zur Ermüdung von diesen rechtsextremistischen Strömungen“ abgegrenzt haben. Und tatsächlich haben im Laufe der vorangegangenen Monate vor allem weit rechts stehende und islamfeindliche Exponenten die Partei verlassen.

Im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 hatte er von „Entartungen der Demokratie“ gesprochen und damit selbst einen Terminus benutzt, bei dem sich manche an den Sprachgebrauch des Hitler-Regimes erinnert fühlten. Lucke selbst verwies darauf, dass auch Altkanzler Helmut Schmidt oder Finanzminister Wolfgang Schäuble ebenso wie Mediziner und Informatiker den Begriff verwendeten, ohne dass ihnen jemand Nähe zum Nationalsozialismus unterstellen würde. Dennoch sind es gerade solche Äußerungen, die Kritiker zu der Auffassung gelangen lassen, die eurokritische Partei bediene sich einer ähnlichen Sprache wie Rechtspopulisten.

Während zahlreiche Rechtsextremisten in Ländern der EU diese im Rahmen ihrer generellen Demokratie- und Menschenfeindlichkeit kritisieren, argumentieren euroskeptische Rechtspopulisten vielmehr aus einer finanz- und einwanderungspolitischen Perspektive. Trotzdem gibt es Schnittpunkte zwischen den beiden Lagern. Wo liegen die Gemeinsamkeiten, wo gibt es Unterschiede?

Für die „Verlierer und Abgehängten“

Rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien operieren in einem gemeinsamen ideologischen Koordinatensystem aus Fremdenfeindlichkeit, Antiislamismus und Protektionismus. Sie bieten einfache Lösungen für komplexe Probleme und wollen, wie im Falle des französischen Front National (FN), die „Verlierer und Abgehängten“ für ihre Sache begeistern.

Zu diesem Zweck bedienen sie sich einfacher Feindbilder: das Fremde, der Islam, Einwanderer, Flüchtlinge oder die Europäische Union. Die Pauschalkritik an den „ineffizienten EU-Behörden“ wird mit antisemitischen Verschwörungstheorien verwoben. Die eigene Nation mit dem Mutterleib gleichgesetzt. Schlechte Chancen haben sie den jüngsten Umfrageergebnissen zufolge damit nicht.

Westeuropa

Der französische FN ist die wohl prominenteste Partei des rechten Spektrums in Europa. Bei den französischen Kommunalwahlen vor zwei Monaten fügte sie den regierenden Sozialisten von Staatspräsident François Hollande eine herbe Niederlage zu und übernahm erstmals gleich mehrere Bürgermeisterposten in der „Grand Nation“.

Mit dem besten Wahlergebnis seit der Gründung des FN im Jahre 1972 geht die Partei der Ultrarechten nun gestärkt in die heiße Phase des Europawahlkampfs. Die jüngsten Umfrageergebnisse sehen den FN gar als möglichen Sieger in Frankreich. Im Frühjahr traf sich die Parteivorsitzende Marine Le Pen bereits mit Vertretern anderer rechtspopulistischer EU-Parteien, um Kooperationen nach der Wahl möglichst schnell ins Rollen bringen zu können.

Mit am Tisch saß damals auch Geert Wilders, der Parteichef der niederländischen Partij voor de Vrijheid (PVV). Die Einpersonenpartei liegt nach einer zwischenzeitlichen Schwächephase in den Umfragen wieder auf den vorderen Plätzen. Wilders will Grenzabschottung, Einreisestopps für mittel- und osteuropäische Arbeitnehmer und in letzter Instanz die Auflösung der EU durchsetzen.

Im Nachbarland Belgien wirbt der Vlaams Belang für die Unabhängigkeit Flanderns und wird von FN und PVV darin unterstützt. Alle drei Parteien distanzieren sich neuerdings von Antisemitismus, Schwulen- und Frauenfeindlichkeit, um sich eine bürgerlich Fassade anzueignen und auch Wähler anzulocken, die ihre islam- und ausländerfeindliche Gesinnung mit säkularistischen und hedonistischen Überlegungen statt mit traditionell rassistischen begründen.

Mitteleuropa

In Deutschland haben rechtspopulistische und rechtsextremistische Parteien nur eingeschränkte Chancen, weil die eurokritische AfD, die rechtsbürgerliche Positionen vertritt, einen großen Teil des Protestpotenzials binden wird. Die neonationalsozialistische NPD kann sich allerdings nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Aufhebung der Fünf-Prozent-Hürde bei den EP-Wahlen Hoffnung auf zumindest ein Mandat machen, zu dessen Erringung knapp unter 1% der Stimmen reichen dürften.

In Österreich sorgt die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) dafür, dass fremdenfeindliches Gedankengut wieder salonfähig ist. Bei der vergangenen Europawahl 2009 konnte die FPÖ 17,8 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Dieses Ergebnis dürfte die Partei jetzt übertreffen, zumal die 2005 gegründete Abspaltung Bündnis Zukunft Österreichs (BZÖ) des 2008 verstorbenen Volkstribuns Jörg Haider in Umfragen ebenso deutlich unter der in der Alpenrepublik geltenden 4%-Hürde liegt wie die neu gegründeten „Reformkonservativen“ (REKOS) des früheren MdEP Ewald Stadler.

Osteuropa

Im Osten der EU erlangte die polnische Bewegung „Unabhängigkeit des Vaterlandes“ bei der vergangenen Europawahl 2009 insgesamt 7,3 Prozent der Stimmen. Umfragen zufolge könnte diese Partei bei der anstehenden Wahl mehr als 15 Prozent der polnischen Stimmen auf sich vereinen. In Tschechien tritt die „Libertas-Partei“ zwar nicht für das Europaparlament an, sie tritt aber offen rassistisch auf und attackierte in Vergangenheit mehrfach Roma-Siedlungen mit Waffengewalt.

Südosteuropa

In den südosteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten Bulgarien, Rumänien und Ungarn hetzen die Parteien „Ataka“, „Großrumänien“ und „Jobbik“ offen gegen Juden, Roma und Türken. Die „Jobbik-Partei“, was übersetzt „Bewegung für ein besseres Ungarn“ bedeutet, sieht sich als letzte Bastion des wahren „Ungarntums“ und baute zuletzt eine eigene paramilitärische Garde, die „3. Neue Ungarische Garde“, auf. Aufmärsche sind keine Seltenheit, auch von Einschüchterungsversuchen gegenüber Minderheiten wurde berichtet.

In Griechenland erfreut sich die aggressiv auftretende „Goldene Morgenröte“ eines enormen Zulaufs und erhebt Anspruch auf ehemalige griechische Gebiete auf dem Staatsgebiet Mazedoniens. Bei Gewaltausbrüchen gegen Einwanderer wurden bereits mehrere Menschen getötet. Ein Verbotsverfahren wurde angestrengt, befindet sich derzeit aber noch in der Schwebe.

Südeuropa

Während in Spanien und Portugal kleine, rechtsradikale Splitterparteien kaum Einfluss auf das Ergebnis der Wahlen zum europäischen Parlament haben werden, ist die „Lega Nord“ eine seit Jahrzehnten etablierte Kraft im Parteienspektrum Italiens. Ihr gemäßigtes Auftreten übertüncht oftmals die rechtsradikalen Parolen der Partei, die insbesondere im Norden Italiens auf große Bestätigung treffen. Bei der Europawahl 2009 erlangte sie 10,2 Prozent. Die Partei „La Destra“, die der frühere Regionspräsident von Latium, Francesco Storace, anführt und die sich mit der neofaschistischen „Fiamma Tricolore“ vereinigt hatte, kandidiert als Teil des Berlusconi-Bündnisses „Forza Italia“.

Nordeuropa

In Dänemark sorgt die Dänische Volkspartei (IFP) für Aufruhr. Die 14,8 Prozent aus dem Jahr 2009 wollen die Rechtspopulisten bei dieser Wahl übertreffen. Die „Wahren Finnen“ lagen 2009 etwas darunter. Mit 12,9 Prozent sorgten sie damals dennoch für einen Paukenschlag. Das liberale Finnland hat seitdem mit einer Partei zu kämpfen, die nicht davor zurückschreckt, Flüchtlingsheime zu attackieren.

In Großbritannien tritt die United Kingdom Independence Party (UKIP) zwar vergleichsweise gemäßigt auf. An ihren europaskeptischen und protektionistischen Forderungen lässt sie jedoch keinen Zweifel aufkommen. Die UKIP bedient sich eines einfachen, aber wirkungsvollen Tricks: Vertrauen durch Nähe und gemeinsame Feindbilder. Politiker der Partei stilisieren sich zu Kümmerern, die auf den Willen des Volkes einzugehen scheinen.

Ohne Glatze und Springerstiefel gegen die EU

Grölende rechte Hooligans wird man in den Reihen der UKIP vergeblich suchen, wenn auch beispielsweise einzelne Exponenten durch extremistische Auffassungen auffallen, etwa ein Ratskandidat in Kent, der kürzlich Aufsehen erregte, als er Zwangsabtreibungen für behinderte Kinder forderte. Insgesamt aber versucht die UKIP, Seriosität auszustrahlen. Mit diesem Strategiewechsel versuchen europaweit rechte Parteien, Wählerstimmen bei der Europawahl abzufischen. Protestwähler häufen sich bei den Wahlen zum EU-Parlament und die anhaltende Wirtschaftskrise tut ihr Übriges, um den Stimmenanteil euroskeptischer, populistischer oder rechtsextremer Parteien zu erhöhen.

Rechtspopulisten und Rechtsextremisten stoßen insbesondere bei jüngeren männlichen Industriearbeitern, Arbeitslosen und Mittelständlern auf ein enormes Wählerpotenzial. Sozialforscher haben herausgefunden, dass die Schwäche der etablierten Parteien, die Legitimationskrise der EU, vor allem aber begründete Existenzängste und die Verarmung ganzer Landstriche dafür verantwortlich sind.

Dass rechtspopulistische Parteien bei der Europawahl genug Prozentpunkte bekommen, um eine eigene Parteigruppe im EU-Parlament gründen zu können, scheint zwei Wochen vor dem Urnengang unvermeidlich. Die große Frage ist nur, ob sich rechtsnationale Parteien auf der europäischen Ebene einigen können. Ausgeschlossen ist das nicht. Denn neben den vielen Unterschieden verfolgen die rechten Parteien Europas alle ein Ziel: die Abschaffung der Europäischen Union.