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Gesellschaft

Abdullah II. und sein Kampf um die Deutungshoheit über den Islam

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König Abdullah II. von Jordanien
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Ein Gastbeitrag von Volker Keller

Wer bestimmt eigentlich, was Islam ist und was nicht? Die Al-Azhar Universität in Kairo? Der Revolutionsführer von Teheran? Oder der „Kalif von Bagdad“? Jedes Mal würde ein anderes Ergebnis herauskommen. Die Frage wirft ein Problem auf, weil der Islam keine absolute Autorität wie Papst oder Dalai Lama kennt, aber herausgefordert ist zu definieren, wie er von allen Muslimen zu verstehen sein soll und wie nicht.

Immer wieder trat in jüngster Zeit eine informelle Gruppe von höchsten Würdenträgern zusammen auf und reagierte öffentlich auf Verzeichnungen des Islam von außen und innen mit einer Richtigstellung theologischer Unrichtigkeiten. Das war so nach der Rede von Papst Benedikt XVI. in Regensburg. 38 prominente Gelehrte aus vielen Regionen der Welt schrieben einen Offenen Brief an den Papst und teilten mit, dass sie ihm „einige Fehler aufzeigen müssten“.

Mit einem scharfen Rechtsgutachten gingen 120 Theologen 2014 mit der Terrororganisation „Islamischer Staat“ ins Gericht und wiesen ihr Unkenntnis und Illegitimität nach. Zu den Unterzeichnern gehört der oberste Rechtsgelehrte Jordaniens und Berater von König Abdullah II., Sheikh Izz-Edine Al-Khatib Al Tamimi. Schon 2004 hatte er im Auftrag des jordanischen Herrschers mit 23 weiteren renommierten Gelehrten die Amman Message (Amman-Botschaft) ausgearbeitet und den Text im Namen des Königs als Darstellung des offiziellen Islam Jordaniens und damit für Muslime in aller Welt als verbindlich veröffentlicht. Seitdem verpasst Abdullah II. bei seinen Auslandsreisen keine Gelegenheit, mittels dieser „Botschaft“ über den „wahren Islam“ aufzuklären, sei es im Nahen Osten, in New York, in Bangkok oder in Amsterdam. Mittlerweile ist der Text von 522 religiösen und politischen Würdenträgern unterzeichnet worden und hat Gewicht in der islamischen Welt. Zuletzt hat der König 2015 das Forum der Generalversammlung der Vereinten Nationen genutzt, um auf der Grundlage der Amman Message den Terror des „Islamischen Staates“ zu verurteilen und sein Land, umgeben von Gewalt und Zerfall, klar zu positionieren: „Jordanien ist stolz, mit ihren Ländern zusammen zu arbeiten, um globale Initiativen für Toleranz und Dialog zu fördern.“ Diese Werte seien reflektiert in der Amman Message, in der es um eine gemeinsame Welt gehe.

Der Appell der Botschaft richtet sich nach innen, an die Muslime, und nach außen, an die nicht-islamische Welt. Die Muslime werden auf die Werte Frieden, Freiheit, Toleranz und Respekt verpflichtet und zur Einheit gerufen, vor Sympathie für Extremismus werden sie gewarnt; Nichtmuslime sollen erkennen, dass die im Westen umstrittene Religion nicht für „Kampf der Zivilisationen“ steht, sondern für Dialog der Zivilisationen und ihre Koexistenz. Die Amman Message vertritt islamischen Humanismus: „Was Menschlichkeit ausmacht“, so fasste Abdullah II. den Inhalt in einer Rede vor Studenten in Bangkok zusammen.

Jordanien: Religionsfreiheit ohne Demokratie

Abdullah II. ist zwar kein Islamgelehrter, kein Groß-Ayatollah wie sein Nachbar im Iran, Revolutionsführer Khamenei, aber er hat dennoch Rang und Namen in der islamischen Welt – er stammt aus dem Clan der Haschemiten. Diese Dynastie kann ihre Abstammung zurückführen auf Hasan, den Sohn von Fatima, der Tochter des Propheten Muhammads, und Alis, einem Cousin Muhammads. Als Nachfahren des Propheten übten die Haschemiten zwischen dem 10. Jahrhundert und dem 20. Jahrhundert als Großscharife das Amt der Wächter der heiligen Stätten von Mekka und Medina aus. An ihre Stelle setzte sich ab 1932 der Herrscher von Saudi Arabien, aber der frühere Glanz, die alte Ehre umstrahlt auch noch Abdullah II.

Glaubwürdigkeit als ein Protagonist für liberale und humane Werte gewinnt er zudem dadurch, dass in seinem Land tatsächlich Koexistenz von Muslimen und Christen praktiziert wird. Die Christen stellen nur drei Prozent der Bevölkerung. Durch königliche Ernennungen sind sie im Oberhaus (und damit im Parlament) überrepräsentiert. Die Kirchen betreiben Kindergärten, Schulen und eine Universität, sie weisen einen hohen Bildungsstand auf und stehen loyal zum König. Regelmäßig finden in Amman muslimisch-christliche Religionsdialoge statt. Papst Franziskus dankte Abdullah II. auf seiner Nahostreise 2014: Der Monarch nehme eine „Führungsrolle“ wahr, wenn es darum gehe, ein „angemessenes Verständnis der vom Islam verkündeten Tugenden und eines friedvollen Zusammenlebens unter den Anhängern der verschiedenen Religionen zu fördern“.

Auch innerhalb der islamischen Gemeinschaft tritt der König für Entspannung zwischen den Fronten ein, indem er die Muslimbruderschaft als Wohlfahrtsorganisation, die Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser führt, anerkennt.

Die verwundete Ehre der Muslime

Die Amman Message spricht Muslime emotional bei ihrer verwundeten Ehre an. Sie leiden darunter, dass die arabische Nation nur in Geschichtsbüchern existiert, Spaltung, Marginalisierung, Isolation und Schwäche kennzeichneten die Gegenwart. Doch es gibt Grund zur Hoffnung: Der Islam habe die Kraft zum Fortschritt, zu Modernisierung durch Wissenschaft, Technologie und humane Ethik – aber nur, wenn die muslimischen Länder und Denominationen „Brüderschaft“ leben. Wiedergeburt durch Einheit!

In Jordanien finden Wahlen zum Unterhaus statt, Abgeordnete können ihre Meinung freier äußern als in islamischen Nachbarländern und Parteien gründen. Aber über ihnen thront abgehoben der König, der unantastbar ist und jederzeit in die Entscheidungen des Parlaments und der Regierung eingreifen kann, wenn sie ihm nicht passt, entweder per Veto oder mit Auflösung beider Institutionen. In der parlaments- und regierungsfreien Zeit kann er Gesetze erlassen. Er betont in der Amman Message lediglich die Wichtigkeit von „Beratung“, die konsequente Umsetzung seines liberalen Denkens scheut er noch – Demokratie zu wagen.

Abdullah II. nimmt nicht die in islamischen Ländern verbreiteten einfachen Erklärungen des mangelhaften Ist-Zustandes auf, entweder der Westen sei dafür verantwortlich oder man habe nur ungenügend auf Allah gehört, sondern spricht das Versagen der muslimischen Welt an. Ebenso fordert er den Westen auf, ehrlich zu sein und nicht in der Weise zu vereinfachen, dass man den islamischen Ländern alles Übel zuschreibt und sich selbst freispricht. „Extremismus und Fanatismus sind keine Eigenschaften, die nur eine Nation charakterisieren, sondern alle Nationen, Rassen und Religionen machen damit ihre Erfahrungen.“

Wer könnte ihm im Westen widersprechen – wenn er ehrlich ist? Als im Iran Mohammad Mossadegh zum Präsidenten gewählt wurde und die Gewinnbeteiligung des Iran an der Ausbeutung des iranischen Öls durch die Britischen Ölgesellschaften von 20 auf 50 Prozent erhöhen wollte, stürzten ihn die Geheimdienste der USA und Groß-Britanniens und verhalfen Reza Schah Pahlawi zur uneingeschränkten Macht. In der Folge einer gewaltsamen Verwestlichung des Landes, kam es zur Revolution durch Ayatollah Khomeini und zur Gründung der diktatorischen Iranischen Republik. Um die Macht des Iran einzudämmen, stärkte der Westen Saddam Hussein im acht-jährigen grausamen Krieg gegen seinen Nachbarn. Als Saddam zu mächtig wurde, führten dieselben und weitere Verbündete Krieg gegen ihn, töteten ihn und lieferten das Land dem Bürgerkrieg aus. Im irakischen Chaos entstand die Terrorgruppe Al-Qaida im Irak (AQI) und aus ihr wiederum der sogenannte „Islamische Staat“. Der König hat ganz recht: Das Problem der islamischen Welt lässt sich nicht monokausal erklären.

Der Koran lehrt Gleichheit

Dem westlichen Feindbild von der arabischen Religion als auch dem militanten Islam setzt die Amman Message das Konzept eines humanen Islam entgegen. Als Grundlage dient das erste im Text verwendete Koranzitat: „Menschheit! Wir haben euch geschaffen, indem wir euch von einem männlichen und weiblichen Wesen abstammen ließen, und wir haben euch zu Stämmen und Völkern gemacht, damit ihr euch untereinander kennen sollt“ (Sure 49,13).

Alle Menschen und Völker stammen von dem einen Gott ab. Darin sind sie alle gleich, Gott kennt grundsätzlich kein Ansehen der Person, „keine Unterscheidung nach Farbe, Rasse oder Religion“. Deshalb verpflichtet der Glaube das einzelne Geschöpf, die gleichen Rechte aller anzuerkennen und alle zu achten („honouring of all human beings“). Den Völkern eröffnet ihr gemeinsamer Ursprung eine „weite Plattform, um im Respekt vor den Sichtweisen und dem Glauben anderer zusammen zu kommen und gemeinsam einer menschlichen Gesellschaft zu dienen“.

Mit der Amman Botschaft ist Abdullah II. in den Kampf um die Deutungshoheit des Islam eingetreten. Dass er gut ausgeht, liegt auch an uns. Jeder differenzierte Medienbericht im Nahen Osten über Europa, der nicht pauschal über Konflikte berichtet, sondern auch darüber, dass Muslime von Bürgerrechten Gebrauch machen und in Europa eine neue Heimat gefunden haben, relativiert das Feindbild vom Westen und verstärkt das Interesse an Dialog und friedlicher Koexistenz – ganz im Sinne der Amman Message. Schließlich war es das christliche Deutschland, das Millionen Muslimen aus dem Nahen Osten die Toren geöffnet und sie aus der Not gerettet hat.

Über den Autor: Volker Keller, 1959 in Bremen geboren, Evangelische Theologie in Hamburg und Vergleichende Religionswissenschaft in Bremen studiert und ist als Gemeindepastor in der Evangelischen Kirchengemeinde in Bremen-Vegesack tätig.