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Kultur/Religion

Pilgern im Christentum: Auf den Spuren der sieben Ur-Gemeinden in Anatolien

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Die Praxis zu pilgern findet sich in allen Religionen. Im Christentum gibt es zwar keinen zentralen Pilgerort wie im Islam. Neben Jerusalem und Rom befinden sich in Anatolien viele Pilgerstätte für Christen. (Foto: cihan)

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Die Praxis zu pilgern findet sich in allen Religionen. Im Christentum gibt es zwar keinen zentralen Pilgerort wie im Islam. Neben Jerusalem und Rom befinden sich in Anatolien viele Pilgerstätte für Christen.
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In diesen Tagen bereiten sich Millionen von Muslimen in aller Welt auf ihre Pilgerreise nach Mekka und Medina vor. Jedoch ist das Pilgern kein auf den Islam beschränktes Phänomen. Fast in allen Religionen gibt es den Glauben an heilige Orte. Um diese zu besuchen, machen sich jedes Jahr Millionen von Menschen auf die oft beschwerliche Pilgerreise. Die Reise ist nicht nur eine körperliche Belastung, sondern auch eine Möglichkeit der inneren Erneuerung. Dabei spielt die Anreise selbst eine genauso wichtige Rolle, wie der eigentliche Zielpunkt des Pilgers.

Heute reist man zwar mit modernen Transportmitteln und verbringt kaum mehr Zeit für die An- und Abreise. In der Vergangenheit jedoch dauerte eine Pilgerreise mit Karawanen nach Mekka bis zu sechs Monate. Dabei waren die Pilger nicht nur klimatischen Strapazen und möglichen Raubüberfällen ausgesetzt, sondern auch auf ein Jahrhunderte altes speziell für die Pilger eingerichtetes Versorgungssystem und nicht zuletzt auf die Gastfreundschaft der örtlichen Bevölkerung angewiesen. Eine Pilgertradition gibt es auch im Christentum, jedoch gibt es keinen theologisch festgeschriebene Pilgerorte. Neben vielen lokalen Pilgerstätten sind Jerusalem, Rom, Santiago de Compostela und nicht zuletzt die Türkei Ziel von christlichen Pilgern.

Der von Christen als Sohn Gottes verehrte Jesus ist auch für die Muslime eine wichtige Persönlichkeit. Er wird neben Noah, Abraham, Moses und Mohammad als einer der fünf großen Propheten verehrt. Jesus hat zwar in und um Jerusalem gelebt und gewirkt, die ersten wichtigen christlichen Gemeinden jedoch sind vor allem in Anatolien entstanden. Eben diese Gemeinden sind für viele christliche Pilger, die in die Fußstapfen St. Paulus treten, der Anatolien mehrfach besucht hatte, Pilgerstätten. Andere Pilger zieht es wiederum aufgrund der so genannten „Sieben Gemeinden der Offenbarung” hierher.

Wer die Bibel liest, wird auf den folgenden Vers stoßen: „Was du siehst, schreibe in ein Buch und schicke es den sieben Gemeinden: nach Ephesus, nach Smyrna, nach Pergamon, nach Thyatira (Akhisar), nach Sardes, nach Philadelphia (Alaşehir) und nach Laodizea.” Doch was waren diese sieben Gemeinden und wie sehen die heute die Pilgerorte aus?

Sankt Johannes‘ Reise nach Anatolien

Einigen Erzählungen zufolge soll Sankt Johannes nach dem Tode Jesu dessen Mutter Maria von Jerusalem nach Ephesus – damals die größte römische Stadt in Kleinasien – mitgenommen haben. Zu dieser Zeit soll er in Konflikt mit den politischen Autoritäten geraten sein, da er sich weigerte, am Kaiserkult teilzunehmen. Als er sich weigerte, dem Kaiser Domitian Opfergaben darzubringen, wurde er nach Patmos verbannt, eine einsame Strafkolonie.

Im hohen Alter erreichte Sankt Johannes Patmos und hatte eine Vision, die ihn dazu inspirierte, Briefe an sieben Gemeinden zu schreiben, die in Ephesus und Umgebung ansässig waren. Diese Briefe dienten dazu, den christlichen Glauben der Gemeinden zu stärken. Heute können die Orte, die einen Brief von Sankt Johannes erhalten haben, besucht werden. In den ersten Jahrhunderten gingen die christlichen Gemeinden ihren Gebeten in ihren eigenen Häusern oder in Höhlen, Synagogen oder auf öffentlichen Plätzen nach. Die Kirchenruinen stammen alle aus dem vierten Jahrhundert. Dies bedeutet, dass sie nicht in direktem Zusammenhang mit Sankt Johannes gesehen werden können.

Ephesus

Die mit Abstand bekannteste Gemeinde war Ephesus, das bereits Anfang des ersten Jahrhunderts eine Bevölkerungszahl von 150 000 aufgewiesen haben soll. Unabhängig von der Verbindung zu Sankt Johannes wohnte auch Sankt Paulus für einige Jahre in Ephesus. Allerdings wurde er dann von Schmuckverkäufern, die Pilger vor dem Tempel von Artemis ausbeuteten, aus der Stadt gejagt.

Für heutige Besucher ist die eindeutigste Erinnerung an das Christentum in Ephesus erstaunlicherweise leicht zu übersehen: Die Ruinen einer riesigen Basilika. Hier wurde die erste Kirche Maria, der Mutter Jesu, gewidmet. Sie wurde im vierten Jahrhundert an der Seite eines weiteren Gebildes, dessen Zweck unklar ist, gebaut. In diesem Gebäude traf das dritte ökumenische Konzil von 431 die Entscheidung, Nestorius, den Patriarch von Konstantinopel, aus der Kirche zu vertreiben. Dies führte zur Kirchenspaltung und wahrscheinlich zur Geburt der chaldäischen Kirche.

Smyrna

Das antike Smyrna stand am Abhang von Bayraklı, im nördlichen Teil des heutigen İzmir. Obwohl der Ort ausgegraben wurde, gibt es wenig, was die Besucher an die einstige christliche Gemeinde erinnert. Sankt Johannes soll Sankt Polykarp als Bischof von Smyrna bestimmt haben. Dieser soll bei lebendigem Leibe verbrannt worden sein, weil er sich weigerte auf den Kaiser zu schwören.

Pergamon/Bergama

Zum Weltkulturerbe ernannt, ist die antike Stadt Pergamon im Norden von İzmir bekannt für ihre fantastischen griechisch-römischen Ruinen. Viele Besucher werfen kaum einen Blick auf die große, aber nur noch begrenzt erhaltene Ruinenstätte Kızıl Avlu (Der Rote Hof), die einst als Tempel für die ägyptischen Götter Isis, Serapis und Harpokrates gebaut worden war. Sankt Johannes zufolge soll dies der Thron des Teufels gewesen sein, daher errichtete man eine kleine Kirche im Inneren des Tempels.

Thyateira

Thyateira liegt direkt im bebauten Zentrum des modernen Akhisar, in der Nähe von Sardis. Obwohl Ruinen eines Gebäudes mit einer Apsis überlebt haben, wurden keine christlichen Artefakte gefunden. Man sieht nur die Überreste einer mit Säulengang versehenen Straße. Interessant ist, dass in der Apostelgeschichte des Lukas, einem weiteren Buch der Bibel, Sankt Paulus berichtet, dass er eine Verkäuferin mit lilafarbener Kleidung namens Lydia, getauft haben soll. Eine Frau aus Thyateira, die er in Philippi im heutigen Griechenland am Ende seiner zweiten Reise traf.

Sardis

Die Hauptausgrabungsstätte in Sardis wird dominiert von den Überresten einer großartigen Synagoge und einer riesigen, wiederaufgebauten Wand einer Halle des Kaiserkultes. Schaut man sich die aneinandergereihten Läden neben der Synagoge genauer an, so erkennt man eine Schrift mit großen Kreuzen, die hineingeschnitzt wurden. Diese sollen womöglich andeuten, dass dieses Gebäude in eine Taufkapelle umgewandelt worden ist. Läuft man weiter zu dem abseits liegenden Tempel von Artemis, sieht man auf der rechten Seite die Überreste einer kleinen Apsis einer Kirche aus dem vierten Jahrhundert mit einer Kuppel aus Ziegelsteinen, die darüber zusammengebrochen ist. Eindrucksvoller ist aber auf der Nordseite des großen Tempels eine unversehrte Kirche, zu der 200 Jahre später eine Apsis hinzugefügt wurde.

Philadelphia

Ebenso wie in Thyateira, so befinden sich auch in Philadelphia die Überreste christlicher Vergangenheit im Zentrum der heutigen Stadt Alaşehir in der Nähe von Sardis. Der Unterschied ist hier allerdings, dass die Überreste ausschließlich aus Ziegelsäulen bestehen, die einst die Kuppel einer gigantischen Kirche zu Zeiten Sankt Johannes, des Theologen stützten. Das Gebäude wurde 1922 gegen Ende des türkischen Unabhängigkeitskrieges zerstört.

Laodicea

In gewisser Weise lohnt sich der Besuch von Laodicea unter jenem aller sieben Gemeinden am meisten. Es liegt in der Nähe von Pamukkale. Hier untersuchten Archäologen vor kurzer Zeit ein Sammelsurium aus gefallenen Steinen und versuchen nun, die byzantinische Kirche im Herzen der Ruine mit ihrem schönen Mosaikboden originalgetreu nachzubauen.