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Politik

Angela Merkel – das dunkle Kapitel

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Gestern noch systemkonforme DDR-Bürgerin, heute CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin? Ralf Georg Reuth und Günther Lachmann haben ein Buch über das „erste Leben” der Kanzlerin geschrieben. DTJ sprach mit einem der Autoren. (Foto: ap)

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Angela Merkel - das dunkle Kapitel
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Ist „Das erste Leben der Angela M.“ ein Anti-Merkel-Buch, das sie kurz vor der Wahl diskreditieren soll?

Wir haben ein auf belastbaren Fakten beruhendes historisches Buch geschrieben. Aktuelle Politik spielt darin keine Rolle. Wir haben vor vielen Jahren mit den Recherchen begonnen. Dass es nun erscheint, liegt einzig und allein daran, dass es jetzt fertig geworden ist. Auch ging es uns nicht darum, Angela Merkel zu diskreditieren. Wir wollten nur jenen Teil ihres Lebens aufarbeiten, über den sie selbst gesagt hat, dass von den ihren 35 Jahren in der DDR nur wenig bekannt ist.

Woraus entstand eigentlich die Motivation, ein Buch über die Kanzlerin zu schreiben? Worin unterscheidet sich Ihr Ansatz von jenem bekannter Merkel-Biografien wie den– eher freundlichen – von Gerd Langguth oder Wolfgang Stock bzw. den kritischen von Nikolaus Blome oder Gertrud Höhler?

Wie bereits gesagt, wollten wir die Lücke im Lebenslauf der Angela Merkel füllen, die sie selbst gelassen hat. Dabei sind wir dann auf Widersprüche gestoßen. Wir haben festgestellt, dass sich viele ihrer Aussagen nicht mit der Wirklichkeit decken. So sagt Angela Merkel, die DDR sei ihr nie eine Heimat gewesen, im Grunde verbinde sie nichts mit der DDR. Gleichzeitig aber schließt sie sich den Massenorganisationen des SED-Staates an und übernimmt darin sogar Leitungsaufgaben. Sie beschreibt sich selbst als eine unpolitische Außenseiterin. Wie passt das zu ihrem Engagement als stellvertretende FDJ-Sekretärin in der Schule und als Sekretärin für Agitation und Propaganda an der Akademie der Wissenschaften? Wie passt ihre Behauptung dazu, sie habe die Politik von US-Präsident Ronald Reagan begrüßt? Da geht einfach vieles nicht zusammen. Und das haben wir herausgearbeitet.

In den ersten Rezensionen wurde vor allem über Angela Merkels Rolle in der DDR und ihre Charakterisierung als „Reformkommunistin“ berichtet. Waren die Ergebnisse der Recherche nicht schon vorher bekannt? Was ist neu? Ist noch mehr an unvorteilhaften Enthüllungen zu erwarten?

Wenn alles schon vorher bekannt gewesen wäre, hätte es jetzt wohl kaum einen solchen Wirbel gegeben, oder? Interessant finde ich übrigens, dass Frau Merkel vor allem vom Vorsitzenden der Linken, Riexinger, und Linken-Fraktionschef Gregor Gysi sowie Lothar de Maizière verteidigt wird. Das ist deshalb interessant, weil zu Gysi und Lothar de Maizière im Zusammenhang mit Angela Merkel Dinge im Buch stehen, die weitaus brisanter sind als das, was wir gerade öffentlich diskutieren. Wir zitieren etwa aus einem vertraulichen Dokument, das belegt, wie der CDU-Mann de Maizière damals Gysi um Rat gefragt hat. Wir schreiben, wie Mitarbeiter der Gauck-Behörde in einem Gutachten zu dem Ergebnis kommen, dass Lothar de Maizière ein einflussreicher Mitarbeiter der Staatssicherheit im Bereich der Kirche gewesen sei. Auch Wolfgang Schäuble kommt in diesem Kontext vor. Die beiden Gutachter wurden damals übrigens vom heutigen Bundespräsidenten Joachim Gauck sofort entlassen. Gauck bedauert diesen Schritt heute.

Sie schreiben, Angela Merkel hatte zu Beginn die Wiedervereinigung abgelehnt. Wann hat sie diesbezüglich ihre Meinung geändert?

Als die Straße nicht mehr „Wir sind das Volk“ rief, sondern „Wir sind ein Volk!“ schwenkten die politischen Gruppen langsam um. Angela Merkel war damals beim Demokratischen Aufbruch (DA). Wie die anderen neuen Bewegungen auch, war der DA für einen demokratischen Sozialismus in einer eigenständigen DDR. Erst im Dezember 1989 trat der DA für die Einheit ein. Merkel behauptet, erst im Dezember zum Demokratischen Aufbruch gestoßen zu sein, also als dieser bereits für die deutsche Einheit war. Nach Aussagen von Zeitzeugen war sie aber bereits im Oktober 1989 dabei, zu einer Zeit also, als noch niemand von Einheit sprach. Außerdem haben wir einen Brief gefunden, den Merkel Anfang Dezember 1989 an Christa Wolff schrieb. Auch darin ist von Einheit nicht die Rede. All das erweckt den Eindruck, als habe sie ihre Eigendarstellung den Erwartungen der westdeutschen Christdemokratie angepasst.

Wie viel DDR steckt noch in der CDU? Liegt es mit am DDR-Erbe, dass die CDU so viele planwirtschaftlich oder kollektivistisch anmutende Punkte in ihr Programm aufgenommen hat (wie Energiewende, „Leitkultur“ oder den Ausbau der Kinderkrippenbetreuung)?

Ich kann in der CDU keine DDR erkennen. Sie ist eine überalternde Partei, die ihren Kurs voll und ganz auf ihre Vorsitzende Angela Merkel zugeschnitten hat. Sie ist gesellschaftspolitisch sozialdemokratisiert und ökologisch nah bei den Grünen. Unter Angela Merkel hat sie alle mehrheitsfähigen Positionen der anderen Parteien übernommen und dabei ihre eigene Identität verloren. Die CDU ist nicht mehr sie selbst, sie ist die Angela-Merkel-Partei. Ohne Angela Merkel und ihre Autorität dürfte sie wie Soufflé in sich zusammenfallen.

Ist die DDR-Vergangenheit schon so stark historisiert, dass Enthüllungen über Systemnähe exponierten Politikern auch im Westen nicht mehr schaden können?

Wenn Sie mit „historisiert“ vergessen meinen, dann stimme ich Ihnen zu. Die DDR ist voll und ganz aus dem Bewusstsein der Menschen verschwunden. Das gilt vor allem für den Westen. Wir erinnern uns die Zeit des Nationalsozialismus, aber nicht mehr an das autoritäre Unrechtsregime im geteilten Deutschland. Es sind vor allem Künstler, die diesen Teil der deutschen Geschichte aufarbeiten. Ein Beispiel ist nur der preisgekrönte Film „Das Leben der anderen“.

Profitiert Merkel nur von der Schwäche ihrer inner- und außerparteilichen Gegner, oder was sind die wesentlichen Faktoren dafür, dass ihr Rückhalt in der Bevölkerung so stabil ist?

Die Menschen entscheiden sich für Angela Merkel, weil sie genau das Gegenteil von allen anderen ist: Sie ist uneitel, zurückgenommen, beherrscht und in der Lage zuzuhören. Das ist wahrlich nicht viel, aber gegen das restliche versammelte politische Personal reicht es offenbar aus, um die Wähler für sich zu gewinnen.

Wird Merkel zu einer Langzeitkanzlerin nach Helmut-Kohl-Vorbild?

Es gibt derzeit bundesweit keinen Politiker, der es mit ihr aufnehmen könnte. Der einzige Feind, vo dem sie sich fürchten muss, ist die Euro-Krise.

Wie wird eines Tages eine CDU nach Merkel aussehen?

Die Frage habe ich Ihnen schon beantwortet: Sie wird in sich zusammenfallen wie ein Soufflé.
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Autoreninfo: Günther Lachmann, geboren 1961 in Papenburg, studierte Volkswirtschaft und ist Autor mehrerer Bücher. Er ist verantwortlicher Redakteur der WELT-Gruppe in Berlin und Kolumnist für das DTJ.